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Martin Vopěnka: Meine Reise ins Ungewisse

Martin Vopěnka: Meine Reise ins Ungewisse

Martin Vopěnka: Meine Reise ins Ungewisse. 240 S.

Wenn Vater und Sohn die Sommerferien für eine Reise nutzen, mag das den nächsten Road-Novel-Abklatsch mit Abenteuer und Männerfreiheit verheißen. Tatsächlich geht es um eine Art Luftveränderung nach dem Tod von Mutter und (Ex-)Ehefrau; die Ansage, dass die Reise aus dem heimatlichen Prag heraus ins Ungewisse führen soll, ist ernst gemeint: Der Vater hat, so stellt sich bald heraus, wirklich keinen Plan. Die aufgeräumten Gebirgszüge Österreichs liegen längst hinter ihnen, als er dem achtjährigen Kind und Reisebekanntschaften immer noch erklärt, worin eigentlich das Konzept des Ungewissen besteht. Das Auto fährt durch sich abwechselnde Landschaften und Sprachen auf dem Weg über Italien (nicht kinderlieb), Ungarn (adipös), Griechenland (unter Touristen, mit denen man nichts gemeinsam hat), Bulgarien und Rumänien (kaltes Gebirge, Nähe zum Himmel) und es scheint sich kaum etwas zu ereignen, zumal Geld keine Rolle spielt. Währenddessen ereignet sich recht viel. Ruhig erzählt plätschert der Roman zunächst so vor sich hin und offenbart dabei eine Fülle an Geschehnissen jenseits von Erinnerungen und Verweisen in die Geschichte: der Geruch von Moldau früher und heute, das ländliche Böhmen, Leute, die rein aus Geschäftssinn nett sind; ein kursorischer, atmosphärisch dichter Einblick in die Länder am Wegesrand. Das Beziehungsgefüge entspinnt sich verhalten, justiert sich in der neuen Situation neu, denn ohne die Mutter ändern sich die gegenseitigen Verpflichtungen ebenso wie die Gewohnheiten. Das schweißt die beiden auf berührende Art zusammen, sie werden wie vertraute Kumpels, die sich auch mal nette Sachen sagen. Nett: So könnte das Ganze ein Ende finden, mit der Rückfahrt im Spätsommer, eventuell inklusive der kleinen Peinlichkeit, dass sie den Anfang des neuen Schuljahrs verpassen. Doch so kommt es nicht, weil es stattdessen eine komplett unerwartete Wendung gibt, mit der der Gedanke, dass kein Mensch weiß, wo man ist, seine Anziehung verliert, vielmehr bedrückend und gefährlich wird. Jetzt mischt sich vollkommen ungeahnte, geradezu thrillerartige Spannung in diesen Roman von der Straße, der damit das Genre wechselt und auch die Leserschaft lehrt, was das Ungewisse ist. Franziska Reif


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