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Mojca Kumerdej: Chronos erntet

Mojca Kumerdej: Chronos erntet

Mojca Kumerdej: Chronos erntet. 471 S.

Die Samenkörner der Aufklärung beginnen zu keimen, doch noch immer herrschen Aberglaube und Unwissen in Europa im späten 16. Jahrhundert. Mojca Kumerdej vertieft sich in die Geschehnisse der Dorfgemeinschaften und Städte und folgt verschiedenen Protagonisten: einem jungen Mädchen, das schwanger wird und sich gegen den Zorn seines Vaters behaupten muss; einem verträumten Stadtschreiber, der sich im Philosophieren verliert; einem Bischof und einem Grafen, die in ihrer Jugend Freunde waren und nun erbitterte Dispute über Macht, Menschheit, Religion und Gottes Existenz führen. Ebenjener Bischof zettelt schließlich einen Hexenprozess an, in dem nicht nur das sensationslüsterne Volk eine Rolle spielt, sondern auch Kräfte, die die alte Ordnung fallen sehen wollen. Die Autorin seziert in diesem, ihrem zweiten, Roman die Beweggründe und Unzulänglichkeiten der Menschen – vor allem, indem sie sie sprechen, zweifeln, begründen, grübeln, aufhetzen, abwägen und Angst haben lässt. Obwohl es sich um einen historischen Roman handelt, wird man seitenlange Schilderungen von prachtvollen Kleidern und höfischem Leben hier vergeblich suchen. Stattdessen betrachtet die Autorin Schmiede, Pfarrer, Bauern und Händler ohne den romantischen Zerrspiegel des Historismus. Besonders köstlich: Die Gespräche mit »dem Volk«, das im vielgesichtigen Plural des Misstrauens und der Ahnungslosigkeit vor sich hin plappert und gegen alles hetzt, was ihm neu und fremd vorkommt. Kumerdej zeigt Menschen, die die Schuld an ihrem eigenen Unglück stets anderen in die Schuhe schieben und verleumden, was das Zeug hält – und dass die Taktik der Ausgrenzung bis jetzt dieselbe geblieben ist. Alexandra Huth


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