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Norbert Vogel

Norbert Vogel

Eine Stadt, die es nicht mehr gibt - Norbert Vogels Fotoband »Meine graue Stadt« zeigt Leipzig vor der Wende

Norbert Vogel. 128 S.

Zu Anfang seines Romans »Der Zauberberg« spricht Thomas Mann von der »hochgradige[n] Verflossenheit« seiner Geschichte. Die rühre daher, »daß sie vor einer gewissen, Leben und Bewußtsein tief zerklüftenden Wende und Grenze spielt«. Mann meinte die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Aber trifft die Rede von der »hochgradigen Verflossenheit« nicht ebenso auf die DDR zu?Nur zwanzig Jahre sind seit der Wiedervereinigung vergangen, aber der »real existierende Sozialismus« kommt einem heute merkwürdig entrückt, beinahe unwirklich vor. In seinem Fotoband »Meine graue Stadt« dokumentiert Norbert Vogel diese Zeit am Beispiel seiner Wahlheimat Leipzig. Es ist das Porträt einer Stadt, die es nicht mehr gibt. Dieses DDR-Leipzig mit seinen rußgeschwärzten verfallenen Häusern, dem Smog über der Stadt, den giftigen Schaumkronen auf Elster und Karl-Heine-Kanal hatte etwas Apokalyptisches - und tatsächlich ging ja von hier das Fanal zum Untergang der historischen Fußnote namens DDR aus. Vogel interessiert sich kaum für Sehenswürdigkeiten, meist hat er in den Randbezirken fotografiert, im Leipziger Osten, vor allem aber im von Verfall und Umweltzerstörung besonders gezeichneten Industriestandort Plagwitz. Zwar mischen sich durchaus poetische Momente in die ostzonale Tristesse - wie der als Engel verkleidete Musiker auf dem Kirchentag 1989. Aber nie gleiten Vogels Bilder ins Nostalgische ab. Dafür sorgen die ironischen Effekte, die sich nicht auf einzelne Bildmotive beschränken, sondern vor allem auch durch die Anordnung der Fotos erreicht werden, etwa wenn auf der linken Seite die Genossen mit erhobener Faust auf der Tribüne »50 Jahre Oktoberrevolution« bejubeln, während rechts das Volk, offenbar nicht im gleichen Maße enthusiasmiert, seine Schilder und Plakate bereits eingepackt hat. Auch dies schon Vorzeichen des Untergangs. Olaf Schmidt


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