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Ralph Grüneberger und Walter Thomas Heyn: Leipziger Liederbuch

Ralph Grüneberger und Walter Thomas Heyn: Leipziger Liederbuch

Ralph Grüneberger und Walter Thomas Heyn: Leipziger Liederbuch. 115 S.

Im Jahre 1987 war ganz schön was los. Michail Gorbatschow rief auf dem Plenum des Zentralkomitees der KPdSU die Perestroika aus, ein gewisser Mathias Rust landete mit seiner Cessna in der Nähe des Roten Platzes, Thomas Gottschalk moderierte zum ersten Mal »Wetten, dass …?«. Und in Leipzig? Im Auftrag des GISAG-Kombinats organisierten der Dichter Ralph Grüneberger und der Musiker Walter Thomas Heyn zwei Aufführungen ihres »Leipziger Liederbuchs«. In einem schönen Band hat nun die Leipziger Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik, deren Vorsitzender Grüneberger ist, die Liedtexte, ausgewählte Noten und Dokumente, die die damaligen Abläufe betreffen, zusammengestellt. Dazu gibt es zwei CDs, auf denen das »Leipziger Liederbuch« zu hören ist, wie es im Juni 1987 im Gewandhaus aufgeführt wurde, besser: hätte aufgeführt werden sollen. Denn verschiedene Instanzen hatten natürlich ein Wörtchen mitzureden. Und so lässt sich die Neuausgabe des »Liederbuchs« auch lesen, anschauen und hören als exemplarische Dokumentation zur Zensurgeschichte der DDR. Offene Kritik kommt in diesen Liedern selbstredend nicht zum Ausdruck, aber verhalten fällt sie auch nicht gerade aus. In seiner damaligen Vorbemerkung kündigt Grüneberger schon vorsichtshalber an, dass in dem Liederbuch »kein getöntes Leipzig-Bild« zu finden sei. Und gleich zu Beginn heißt es in »Blaugelber Himmel«: »Leipzig, du bist keine Schönheit / Deine Haut ist schon viel zu grau.« Die Hommage an Herbert Grönemeyers »Bochum« (1984) haben die Zensoren entweder übersehen oder durchgehen lassen. Aber während Grönemeyer die Kumpelkultur des Potts feiert, prangert Grüneberger vor allem die ökologische Katastrophe mit all ihren Folgen an. Übrigens beschränkt sich die Grönemeyer-Anleihe auf den Text, musikalisch stehen die Lieder unüberhörbar im Zeichen Hanns Eislers. So ersteht vor unserem inneren Auge noch einmal das Bild des kohlschwarzen, stinkenden, maroden Vorwende-Leipzig: »Die alten zerwohnten Häuser / Krümmen sich unterm Rauch / Sie tragen die Himmel seit Kaiser / Kriegsnarben im Mauerwerk auch.« Das »Leipziger Liederbuch« lädt ein zu einer Reise in eine Zeit, die nach Jahren gar nicht so weit entfernt liegt und uns doch hochgradig vergangen und fast schon unwirklich erscheint. Olaf Schmidt


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