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Reinhard Kaiser-Mühlecker

Reinhard Kaiser-Mühlecker

Buchstabe für Buchstabe ein Genuss

Reinhard Kaiser-Mühlecker. 160 S.

Unruhe liegt über dem Hof, auf den in den 50er Jahren eine junge Frau aus Linz zieht: Sie hat Theodor geheiratet, den Erben des Hofs, der Dinge nur gerne sieht, wenn er sie kennt, der Städte nicht kennt, Züge und Autos nicht. Statt seiner Frau Aufmerksamkeit zu widmen, beschreibt der nicht mehr ganz junge Bräutigam seitenweise seine Mutter. Verschwiegen wird der todkranke Vater, der in einem kleinen Zimmer vor sich hin vegetiert. Und ebenso lange verschwiegen werden die Schulden, mit denen Theodor sich nach und nach überhäuft. Die Jahre vergehen vermeintlich ereignislos. Sprachlosigkeit und Fremdheit machen sich zwischen Theodor und seiner Frau breit. Theodor bestellt den Hof und sitzt nach getaner Arbeit an seinen Lieblingsstellen in der Natur, auch wenn es kühl wird, dann eben auf einem Holzbrett: »Es war ein hartes Holz mit schöner Maserung, die ich nun nicht besehen konnte; aber ich wusste sie.« Treffender kann man einen Menschen in einem Satz nicht charakterisieren.»Der lange Gang über die Stationen« des 1982 geborenen österreichischen Autors Reinhard Kaiser-Mühlecker ist das vielleicht interessanteste Debüt des Frühjahrs. Es interessiert sich nicht für Jugendliche oder für Großstädte, es pfeift auf Lakonie, auf Hauptsatzatmosphäre und auf Figuren, die ihren Platz in der modernen Gesellschaft suchen und ständig alles hinterfragen. Stattdessen steht Kaiser-Mühleckers Protagonist fest in seinem dörflichen Leben und versteht nicht, warum seine Frau nicht dasselbe tut. Dieses Unverständnis drückt Kaiser-Mühlecker durch die Flucht in Naturbeschreibungen aus, und zwar in einer präzisen, konzentrierten, oft altertümlichen Prosa, bei der jedes Wort, jede Wiederholung, jeder gedankliche Einschub wohlüberlegt sind, in der Semikola wieder eine Bedeutung bekommen, die Buchstabe für Buchstabe und Satzzeichen für Satzzeichen genossen werden will. Das Buch hinterlässt seine Leser aufgewühlt: Weil Theodors Welt unbegreiflich ist. Und weil es ungeheuerlich ist, dass ein so junger Autor eine solche Welt in solchen Sätzen doch verständlich machen kann. Katharina Bendixen


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