Der Dokumentarfilm »Der Versicherungsvertreter – Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker« zeigt den Aufstieg und Fall des einst millionenschweren Versicherungsmaklers Mehmet Göker.
Glitzerkonfetti, sprühende Pyrotechnik, abgestanden-dramatische Musik: Mehmet Göker liebt den großen Auftritt, das wird bereits in den ersten Minuten des Dokumentarfilmes klar. Dass sich der schillernde Selfmademan fortwährend mit sicherer Hand in Stil und Ton vergreift – auch das wird rasch offensichtlich – ist mehr als eine Macke. Es ist seine Masche, um sich in einer Mischung aus Kumpel und Kapo die Angestellten gefügig zu machen – und sein Ego bis zum Platzen aufzublasen.
Mit »Versicherungsvertreter – Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker« hat Regisseur Klaus Stern eine nicht minder wundersamen Film vorgelegt. Mittels Firmenvideos, Interviews mit ehemaligen Göker-Mitstreitern, einem Strafverfolger und und ausführlichen Stellungnahmen von Göker selbst entsteht so ein erstaunliches Porträt des MEG-Gründers und seines Unternehmens zugleich. Wie viel Hybris verträgt ein Mensch? Warum machten so viele mit? Das sind die Fragen, die Stern zwar nicht beantwortet, aber immerhin anreißt.
Höher, schneller, weiter: Die in Kassel ansässige MEG AG war 2009 der zweitgrößte Versicherungsmakler für private Krankenversicherungen in Deutschland. Gegründet hatte ihn wenige Jahre zuvor der gelernte Versicherungskaufmann Mehmet Göker und wollte diesen nach eigenen Angaben – »ein realistisches Ziel« – zum größten Finanzvertrieb der Welt aufbauen. Das Geschäftsmodell war dabei sehr einfach: Er kaufte Adressdatensätze, die dann seine Mitarbeiter abtelefonierten, um möglichst viele private Krankenversicherungen zu verkaufen. Weil die schwarz-gelbe Bundesregierung gerade den Weg für die Massenflucht aus der gesetzlichen Versicherung bereitet hatte, winkten die Versicherungen mit gewaltigen Provisionen. Göker nahm sich des lukrativen Geschäftsfelds an. Bereits 2008 wegen Steuerhinterziehung zu 720.000 Euro verurteilt, meldet die MEG im Herbst 2009 Insolvenz an. Die Privatschulden Gökers, der mittlerweile in der Türkei lebt, belaufen sich auf 21 Millionen. Verfahren wegen Untreue und Insolvenzverschleppung sind noch anhänglich.
»Das Leben ist eine riesige Torte und ich will mehr als einen Krümel davon abbekommen.« – Mit Motivationstrainervokabular gelingt es Göker, eine immer größere Schar vorzugsweise junger, aus ihren Anzügen smart hervor lächelnden Herren um sich zu scharen und auf sich einzuschwören. Wie im mittelalterlichen Lehnswesen erschafft er durch Treueide und Abhängigkeiten quasi-feudale Strukturen. Der laut eigenem Bekunden in seiner Jugend am »Spiel des Lebens« und »Monopoly« kapitalismusgeschulte Göker scheute aber auch nicht davor zurück, Menschen zu manipulieren und vor versammelter Mannschaft zu demütigen, wenn das Soll nicht erbracht wird. »Eigentlich können wir diese Drecksniederlassung schließen«, plautzt es dann aus ihm heraus. Überwachen und Strafen: Ein vorzeitig Ausgestiegener vergleicht das sektenartige Vorgehen von Göker und seinen Paladinen mit jenem faschistoiden Sog, den das Buch »Die Welle« beschreibt. Im »Inner Circle« hat man sich sogar kollektiv den »MEG«-Schriftzug aufs Handgelenk tätowieren lassen. Reisen, Autos, Frauen: Man lebte bis zur grandiosen Pleite auf großem Fuß.
Leider fehlt dem Film ein Element. Dieser Mangel wird besonders deutlich, wenn sich Göker explizit auf seinen Konkurrenten Carsten Maschmeyer und dessen damalige Finanzvertriebsgesellschaft AWD bezieht. Wie konnte denn dieses gigantische Kartenhaus über mehrere Jahre so ins Endlose wachsen? Waren die hessische Politik und Medien daran beteiligt, welche – eventuellen – Verstrickungen, welcher Klüngel und welcher Filz machten das ans Schneeballsystem grenzende Firmengebaren möglich oder förderten es gar? Sicherlich ist das nicht Klaus Sterns Fragestellung, aber so bleibt im Film eine Leerstelle, kommt der Zuschauer über staunendes Kopfschütteln ob solcher Verblendung und Größenwahns nicht hinaus.