Einmal, so schien es, komme die Stadt Leipzig ohne kulturpolitischen Skandal zu einer wichtigen Personalentscheidung. Mit dem derzeitigen Chemnitzer Schauspiel-Chef Enrico Lübbe sah man einen Konsenskandidaten gefunden, an dem auch der Meinungsmonopolist im hiesigen Tageszeitungsgeschäft LVZ sein Gefallen hatte. So verkündete die Zeitung – wohl mit Deckung aus dem Rathaus – dessen Nominierung als erste. Und ins Blaue hinein.
Hätte, hätte, Fahrradkette: Einmal mehr agiert die Rathausspitze grobmotorisch, wo Fingerspitzengefühl gefragt ist. Die Farce um die Kulturbürgermeisterfindung anno 2009 lässt grüßen. Damals verprellte OBM Burkhard Jung zwei geeignete Kandidaten, seitdem muss sich die Stadt mit Michael Faber (parteilos) als Notlösung herumschlagen.
Nachdem auf Nachtkritik.de bereits ein Kommissionsmitglied berichtete, dass Lübbe nicht als Vorschlag aus den drei Beratungen der 13-köpfigen Gruppe hervorging, legt ein anderes Mitglied dem kreuzer gegenüber nach: »Wir haben Enrico Lübbe ausdrücklich nicht empfohlen.« Die Person nannte das Vorgehen der Stadt »frech«. Man habe natürlich – auch auf Vorgabe der Stadt – einen Spagat zwischen künstlerischen Ansprüchen und der angestrebten Ausrichtung des Stadttheaters üben müssen. Jungs Schritt sei rechtlich zulässig, aber warum die Kommission so übergangen werde, ärgert das Kommissionsmitglied. Und man muss in der Tat fragen, warum sich die Stadtspitze erst so viele Mühen macht, wenn sie dann doch eigenmächtig handelt. Der Zeitdruck steigt: Für den bereits 2013 zu besetzenden Intendantenposten waren bis zum Bewerbungsschluss am 29. Februar 40 Bewerbungen eingegangen. In der Auswahlkommission saßen als Vertreter der Stadt OBM Jung, Kulturbürgermeister Faber und drei Betriebsausschussmitglieder, ferner Wilfried Schulz und Frank Baumbauer – beide hatten sich auf Intendantenposten in Dresden (Schulz), Hamburg und München (Baumbauer) ihre Meriten erworben – sowie die Kulturjournalisten Martin Linzer und Hartmut Krug, Theaterwissenschaftsprofessor Günther Heeg von der Uni Leipzig, Anne Gummich, Professorin an der hiesigen Hochschule für Musik und Theater, und Rolf Bolwin vom Deutschen Bühnenverein.
In der Stadt war am Freitag für eine Stellungnahme niemand zu erreichen.