Zwei Metal-Fans philosophieren. Der in London lebende Soziologe Keith Kahn-Harris ist Autor der viel beachteten Studie »Extreme Metal. Music and Culture on the Edge«. Zugleich beschäftigt er sich mit jüdischer Kultur und betrachtet auf seinem Blog Metal-Jew mögliche Verbindungen zwischen beiden Welten. Er erklärt, warum Extrem-Metal unsere Vorstellung von Musik attackiert, er als Jude die Lieder eines Nazis mag und wieso er es als neunjähriger Metal-Fan nicht leicht hatte.
kreuzer: Was fasziniert Dich am Extrem-Metal?
KAHN-HARRIS: Das Grenzüberschreitende. Der Stoff, das Material, von dem Metal handelt, ist außergewöhnlich, herausfordernd und schwierig. Und es schien mir zugleich auch so unmoralisch zu sein; das reizte mich. Ich wollte, einfach gesagt, herausfinden, was ich darüber denke und was andere Menschen darüber denken.
kreuzer: Kann man Metal intelligibel für Menschen erklären, die damit nichts anfangen können?
KAHN-HARRIS: Ja, ich denke schon. Viele Menschen haben zu einer Zeit ihres Lebens einmal Heavy Metal gehört. Und Extrem-Metal ist dann einfach erklärt: Man nimmt Heavy Metal ohne irgendwelche Melodien, ohne konventionelle Liedstrukturen und Harmonien und spielt das ziemlich schnell. Das sollte eine Idee von Extrem-Metal geben.
kreuzer: Hörer »normalerer« Musik reagieren oft mit Ekel auf Extrem-Metal. Ist das der Geschlossenheit des Metal-Sounds oder dieser Geister geschuldet?
KAHN-HARRIS: Dieser von vielen Menschen empfundene Ekel rührt, glaube ich, aus dem Umstand, dass Extrem-Metal die Vorstellung attackiert, die sie von Musik haben. Es geht nicht um Melodien und Harmonien, man versteht kein Wort, es scheint das Licht der Hässlichkeit zu feiern. Für viele ist das schockierend, auch in der diverser gewordenen Welt, mit allen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Internets.
kreuzer: Auch wenn es sich etwas gebessert hat, die Vorwürfe, gewalttätig und satanistisch zu sein, gibt's noch immer.
KAHN-HARRIS: Um ehrlich zu sein, manchmal trifft das auch zu. Aber man muss das mit Vorsicht betrachten. So gewalttätig, roh und martialisch etwa Black Metal ist und welcher gefahrvoller Themen sich die Musiker auch bedienen: Sie leben in der gleichen Welt wie alle anderen. Das macht eine große Ironie des Extrem-Metals aus.
kreuzer: Ist das alles nur Theater, das eine Ventilfunktion innehat?
KAHN-HARRIS: Ja und nein. Extreme Menschen fühlen sich zum Metal hingezogen, weil er ihre tiefsten Begierden und Ängste bloßlegt. Hier entsteht eine starke Verbindung auf der emotionalen Ebene. Aber auf der anderen Seite ist es wirklich eine Art Theater, bei dem eine Trennung von Künstler und Werk besteht. Es ist teilweise die Fähigkeit, mit diesen überschreitenden Themen mit einer gewissen Sicherheit zu spielen, was den Extrem-Metal so interessant macht. In diesem Spielen mit Transgression und Klischee sind die Musiker sehr gut.
kreuzer: Spielen hier Humor und Ironie eine große Rolle?
KAHN-HARRIS: Absolut. Das überrascht viele Leute, weil sie Metal oft als sehr ernsthaftes und humorloses Genre verstehen. Aber Ironie und Humor sind ganz zentral im Extrem-Metal. Hier gibt es ein großes Gespür für Lächerlichkeit, fürs Simulieren im Also-ob. Metal-Fans sind viel geschickter, das zu dechiffrieren als viele andere. Das ist wahrscheinlich das bestgehütete Geheimnis im Metal.
kreuzer: Wie kannst Du mit Deinem jüdischen Background Burzum-Fan sein? Der Kopf dieser Black-Metal-Band, Varg Vikerness, ist immerhin ein Neonazi, der zum Beispiel der israelischen Metal-Band Salem eine Briefbombe zusandte.
KAHN-HARRIS: Das ist in der Tat eine merkwürdige Erfahrung. Musikalisch ist Burzum absolut außergewöhnlich, minimalistisch und wunderschön. Aber Vikerness persönlich ist ein höchst unangenehmer Typ, keine Frage. Das kann man nicht beschönigen. Und trotzdem mag ich seine Musik.
kreuzer: Das ist wie Ezra Pound lesen?
KAHN-HARRIS: Genau, das ist der Fall. Oder wie Wagner hören: Wie weit kann man den Musiker Wagner lösen vom Antisemiten Wagner?
kreuzer: Dir geht's bei Deinem Blog Metal-Jew um die Verbindung von Metal und Jüdischsein?
KAHN-HARRIS: Eigentlich ist das keine einfache Verbindung, obwohl natürlich Juden im Metal involviert sind. Mir geht es darum, Metal aus einer jüdischen Perspektive zu betrachten. Wie geht man als Jude mit Metal um, darum dreht sich mein Interesse, das sind ja scheinbar zwei sehr verschiedene Kulturen. Und ich habe immer schon gern Verbindungen zwischen Welten gesucht, die den meisten Menschen völlig separiert erscheinen.
kreuzer: Es gibt jüdische Metal-Bands, aber gibt es so etwas wie jüdischen Metal?
KAHN-HARRIS: Das würde ich nicht sagen, dafür sind es zu wenige. Es gibt jüdische Metal-Bands, die hoch interessante Sachen machen, wie zum Beispiel Orphaned Land, eine israelische Band, die Musik des Nahen Ostens mit Metal mixt. Aber das ist im Moment ein Randphänomen, die jüdische Bereicherung des Metals war nicht so groß wie zum Beispiel der Punk-Szene.
kreuzer: Wann kamst Du zum Metal?
KEITH KAHN-HARRIS: Als ich etwa neun Jahre alt war. Das war aber etwas kompliziert, da ich niemanden anderen kannte, der Metal hörte und damals kein einsamer Wolf sein wollte. Metal passte auch nicht zum Umfeld, in dem ich aufwuchs, weil es so gegensätzlich war, daher verlor sich mein Interesse – zunächst. In meiner mittleren Teenie-Zeit nahm ich den Metal-Faden wieder auf, durch alternative Rockmusik, via Grindcore und Death Metal.
kreuzer: ... und schließlich wurde Dein sozialwissenschaftliches Interesse geweckt?
KAHN-HARRIS: Ja. Ich war immer neugierig, wollte wissen, was hinter dem Metal-Phänomen steckt. Zumal ich ja nicht den Mainstream-Metal im Sinn hatte, sondern den Extremen. Ich wollte wissen, welche Menschen so etwas hören und produzieren, und was eigentlich hinter der Idee des Extrem-Metal steckte. An der Universität entdeckte ich den Zweig Popular Music Studies – da kann ich etwas beisteuern, war mein Gedanke.
kreuzer: Letzte Frage: Dein derzeitiges Lieblingsalbum?
KAHN-HARRIS: Oh, gosh. Ich höre derzeit sehr gern das neue Meshuggah-Album »Koloss«. Ich mag die Band sehr, auch weil sie einen jüdischen Namen haben.