Es ist auf den ersten Blick eine so unglaubliche Geschichte, dass sie nicht wahr sein kann. Im Idealfall wurde sie von Hollywood erfunden. Aber – das wird bei Ben Afflecks »Argo« schon im Vorspann klar – so kreativ war noch nicht mal die Traumfabrik. Was Affleck hier in seiner dritten Regiearbeit erzählt, beruht auf einer wahren Begebenheit über eine freigegebene Geheimakte des CIA – und ist gerade deswegen vielleicht noch unglaublicher.
»Argo« erzählt – wenn auch nur am Rande – von der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft am 4. November 1979 in Teheran, auf dem Höhepunkt der iranischen Revolution. Während 52 Botschaftsmitarbeiter 444 Tage in Haft waren, gelang einigen Mitarbeitern die Flucht. Sie verschanzten sich in der kanadischen Botschaft, waren als sogenannte Hausgäste willkommen. Da die Aktenvernichtung vor der Erstürmung iranischer Revoluzzer nicht abgeschlossen werden konnte, war es nur eine Frage der Zeit bis den Geiselnehmern auffiel, dass sechs Amerikaner fehlten. Für das Leben aller Beteiligten ungünstig. Der CIA-Agent Tony Mendez (gespielt von Affleck selbst, ganz im Stil der siebziger Jahre mit Vollbart und Cord-Jackett) sollte die entflohenen Geiseln aus dem Iran holen. Dafür entwickelte er einen unglaublichen Plan. Mit einem erfundenen Filmprojekt, das selbst in Hollywood vorgestellt wurde, sollten die Hausgäste als Filmcrew auf Locationsuche das Land verlassen. Der Film dahinter, »Argo«, ist ein Science-Fiction-Fantasyabenteuer mit Mondlandschaften, Wüsten und exotischen Drehorten, eine filmische Konkurrenz zu »Star Wars«. Das ganze Projekt musste Hand und Fuß haben: Werbeanzeigen in Hollywoods Branchenblättern, szenische Lesungen aus dem Drehbuch in vollem Kostüm, ein Produzent, der auf den Tisch haut und sagt: »Wenn ich einen fingierten Film drehe, wird es ein fingierter Kassenknüller!«
»Argo« ist nicht nur ein packender Politthriller. Es ist Geschichtsstunde und bissige Hollywoodsatire zugleich. Afflecks Ruf als Regisseur, das ist schon seit dem oscarnominierten »The Town« kein Geheimnis mehr, ist fast schon besser als der als Schauspieler. Der Showdown ist fast schon gelassen und unspektakulär – zum Glück. Hier wird kein amerikanisches Heldenstück erzählt. Der Ruhm gehörte den Kanadiern. Die USA durfte offiziell von der ungewöhnlichen Befreiungsaktion nichts wissen und vor allem nicht darüber sprechen. Affleck beweist also nicht nur ein Händchen für ein reduziertes Timing, er hat auch ein Gespür für Humor. Zum Beispiel wenn Alan Arkin als verbissener Produzent Lester Siegel und John Goodman als oscarprämierter Make-Up-Artist John Chambers in einer nervenaufreibenden Parallelmontage die eigenen Studios nicht durchqueren können, weil ein schlechtes B-Movie gedreht wird. Anspielungen wie diese liebt Hollywood; eine Selbstreferenzialität, wie sie erst »The Artist« hatte. Nicht zu unrecht wird »Argo« daher schon für die kommende Award-Saison als heißer Kandidat gehandelt.