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Kultur

»Ich kann keine Lösungen bieten«

Interview mit Fatih Akin zu »Müll im Garten Eden«

  »Ich kann keine Lösungen bieten« | Interview mit Fatih Akin zu »Müll im Garten Eden«

Regisseur Fatih Akin (»Gegen die Wand«, »Soul Kitchen«) widmet sich in »Müll im Garten Eden« dem Dorf Çamburnu, dem Heimatort seiner Großeltern. Dort verwandelt eine Mülldeponie das einst idyllische Dorf. Mit seinem Dokumentarfilm klagt Akin die Methoden der türkischen Behörden an und zeigt die Folgen. Im Interview zum Film berichtet Akin über ähnliche Physiognomien, sein Verhältnis zu Demokratie und Mehrheiten sowie über ruppige Deponienarbeiter.

kreuzer: Herr Akin, Ihr Film »Müll im Garten Eden« zeigt, wie der Bau einer Mülldeponie das pittoreske Dorf Çamburnu verschandelt. Er zeigt auch die Willkür von Behörden. Gibt Ihr Film Anlass zur Hoffnung oder löst er eher Sorge aus?

FATIH AKIN: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die ganze menschliche Existenz besteht aus Warten und Hoffnung. Das wusste schon der Graf von Monte Christo. Viele meiner Filme enden zweideutig. Ein Auge lacht, ein Auge weint. Im Fall von Çamburnugab es kein Happyend. Die Behörden haben sich durchgesetzt.

kreuzer: Was sagt der Film über die türkische Politik?

AKIN: Dass die Regierungvieles sehr kurzfristig löst. Es gibt ein Müllproblem. Erdogan ist bekannt für schnelle Lösungen. Also nimmt er den Müll dort weg, wo ihn jeder sieht und packt ihn dahin, wo ihn nur wenige Menschen sehen. Er opfert die Wenigen, um sich Wählerstimmen der Millionen zu sichern. So funktioniert dort Politik.

kreuzer: Im Film sagt Çamburnus Bürgermeister, dass die Behörden den Bau der Deponie gegen seinen Willen durchgedrückt haben. Was wissen Sie über die Hintergründe?

AKIN: Es gibt ein allgemeines Interesse. Es ist die Mehrheit, die das durchsetzt. Dabei geht es nicht um Geld oder Korruption. Denn niemand wird reich. Es geht um Politik und Demokratie. Die Mehrheit findet diese Deponie dort richtig gut.

kreuzer: Zeigt Ihr Film nicht gerade, wo Demokratie nicht funktioniert?

AKIN: Was ist denn Demokratie? In einer Demokratie entscheidet die Mehrheit der Bevölkerung. Wie bei Stuttgart 21 oder in Frankreich pro Atomkraft. Die Schlaueren sind meist gegen solche Entscheidungen. Die Menschen in Çamburnu sind dagegen. Sie sind die geopferte Minderheit. So funktioniert Politik. Eine Revolution, wie die im Iran 1980, hat eine Mehrheit verursacht. Hitler ist in einer Demokratie an die Macht gekommen! Demokratische Entscheidungen müssen nicht immer die gesündesten sein.

kreuzer: Sie beziehen eindeutig Stellung mit Ihrem Film. Verletzen Sie da Grenzen der Neutralität eines Dokumentarfilms?

AKIN: Ich kenne keinen Dokumentarfilm, der keine Haltung hat. Der Film ist aus einem Aktivismus entstanden. Ich kenne dieses Dorf als Heimat meiner Großeltern, entdeckte es und fühlte mich als Teil des Ganzen. Dieses Dorf ist bedroht. Wie kann ich den Leuten helfen? Ich mache das, was ich am besten kann: einen Film. Der erste Gedanke war, dass der entstehende Film die Verantwortlichen unter Druck setzen könnte. Das ist mir und dem Film nicht gelungen. Also musste ich den Film zu Ende drehen. Ich habe mich bemüht, in der Polemik nicht aufdringlich zu sein, wollte den Zuschauer nicht mit meiner Haltung penetrieren, ihm genügend Raum geben, um selbst zu reflektieren. Und lasse auch die Gegenseite zu Wort kommen.

kreuzer: Ihre Haltung ist eindeutig. Sie montieren Bilder von der erhaltenen, reinen Natur gegen Bilder, die die Zerstörungskraft der Moderne zeigen. Lässt sich der Film als Ihr Plädoyer für die unberührte Natur lesen?

AKIN: Als Filmemacher bin ich ein Grüner. Nicht parteipolitisch, sondern umweltbewusst und reflektierend. Ich bin sicher kein Heiliger. Ich fahre Auto, fliege viel, aber Umwelt ist ein Thema, das mich, wie Millionen andere weltweit, beschäftigt. Ich habe die Möglichkeit, darüber Filme zu machen und Leute zum Nachdenken anzuregen. Ich kann keine Lösungen bieten. Ich bin kein Experte. Ich bin jetzt nicht schlauer als vor dem Film. Hoffnung macht mir das zehnjährige Mädchen, das im Film den Ingenieur aufklärt.

kreuzer: Aber er weicht aus und sagt, dass die Natur das wieder einrenke...

AKIN: Achten Sie auf die Szene. Man sieht ihm die Lüge an. Seine Nase wächst. Der Film ist eine Kritik. Kritik ist die einzige Waffe der Beherrschten. Das habe ich in der Türkei gelernt. In der Türkei oder auch in China nehmen die Herrschenden diese Waffe den Beherrschten weg. Schlauere Gesellschaften schützen sie. Wer laut genug protestiert, kann Staaten zum Einsturz bringen. Siehe Leipzig und »Wir sind das Volk« oder der Arabische Frühling.

kreuzer: Es fällt auf, dass Sie nicht mit harten Fakten, wie etwa Krankheiten, arbeiten...

AKIN: Meine Fakten sind Bilder. Ich bin Bildersammler. Im Dokumentarischen ist das meine Stärke.

kreuzer: Wie haben sich die Dreharbeiten gestaltet?

AKIN: Die Gegenseite macht sehr dämliche Aussagen, wofür ich ihr Platz einräume. Aussagen, wie: »Wir können nichts für den starken Regen«, stellen sie bloß. Wenn die mir hundertmal sagen, der Müll sei organisch, ich dort aber alte Rechner oder medizinischen Abfall wie Spritzen sehe und filme, dann sind das Fakten. Wir haben vieles illegal gemacht, indem wir über Zäune kletterten und auch öfter vertrieben wurden. Hunde wurden uns hinterher gejagt. Es kam zu Prügeleien mit den Deponie-Betreibern. Als das so nicht weitergehen konnte, habe ich beim Gouverneur von Trabzon eine Drehgenehmigung beantragt und die auch bekommen. Die Offiziellen sind überzeugt davon, dass alles mit rechten Dingen zugeht.

kreuzer: Wie haben Sie die Aufnahmen zum Film organisatorisch gelöst?

AKIN: Es war sehr schnell klar, dass ein Kamerateam vor Ort sein muss, um sofort reagieren zu können. Aus Deutschland ist das nicht möglich. Vor Ort gab es diesen wunderbaren Dorffotografen, der arbeitslos war, weil man heute sogar mit Telefonen fotografieren kann. Er arbeitete als Hausmeister. Mein Kameramann und ich haben seine Fotos gesehen und waren sehr beeindruckt von der Art, wie er Landschaften fotografiert und wie er mit Licht umgeht. Wie er Menschen porträtiert. Also gaben wir ihm vor Ort einen Kamera-Crashkurs. Wir ließen ihm eine Kamera dort. Er wurde zu unserem Kameramann und somit auch zum Regisseur vor Ort. 70 Prozent des fertigen Films stammen von ihm. Wir gaben letztlich Hilfe zur Selbsthilfe. Mein Cutter und ich gaben aus Deutschland Ratschläge, dirigierten ihn, wie er die Kamera halten muss, damit das Richtmikro den Ton einfängt. Mit der Zeit wurde in den Bildern eine Qualität sichtbar. Er hatte keine Scheu, Politiker zu filmen, die zu einer Besichtigung zur Deponie kamen. Er hatte auch einen Spion in der Deponie, der dort arbeitete und ihn informierte.

kreuzer: Was hat Sie am Thema gereizt?

AKIN: Ich nehme das Thema sehr universell wahr. Die Rhetorik ist dieselbe, wie bei Tepco nach Fukushima. Dort hieß es: Ist alles nicht so schlimm. Nein, es tritt keine Radioaktivität aus. Das Grundwasser wird nicht verseucht. Dasselbe sagten die Betreiber im Golf von Mexiko, als die Ölplattform zu Schaden kam. Der italienische Kapitän, der mit seinem Kreuzfahrtschiff an das Riff vor der Insel gefahren ist, sagt: Nein, das ist nicht meine Schuld. Wann immer so etwas passiert, folgen dieselben fadenscheinigen Argumente. Ich sehe den Film im Genre Umweltfilm. Gefilmt aus der Perspektive der Menschen, die im Dorf meines Großvaters leben. Ich war in Istanbul und habe Interviews mit Greenpeace geführt, aber die haben im Film nichts verloren. Es ist als filmisches Mittel konsequenter, ja epischer, über fünf Jahre nur im Dorf zu bleiben.

kreuzer: Die Deponie soll bis 2014 in Betrieb sein. Was passiert dann?

AKIN: Dann wird sie geschlossen und an anderer Stelle eine neue gebaut. Mit den gleichen Methoden. Es sei denn, der Film schafft ein Bewusstsein in der Türkei. Vielleicht demonstrieren dann nicht nur 100 Leute, sondern viel mehr.

kreuzer: Ist es typisch deutsch, wie Sie mit dem Thema Müll umgehen? Die Deutschen, die ihren Müll trennen und sich unheimlich viele Gedanken darüber machen, wie sie damit umgehen. Sind Sie, was den Müll angeht, deutsch sozialisiert?

AKIN: Es gibt wenige Nationen, die so fortschrittlich mit ihrem Müll umgehen – und sei es Atommüll – wie hierzulande. Der Film greift aber nicht das globale Müllproblem auf, sondern geht im Kleinen ran. Meine Hamburger Herkunft führt eher zu einem distanzierteren Blick.

kreuzer: Ist »Müll im Garten Eden« wie »Soul Kitchen« ein sentimentaler Film?

AKIN: Ich war schon immer sentimental. Ich musste oft an Asterix und sein kleines gallisches Dorf denken, das versucht, sich gegen die römische Mehrheit durchzusetzen. »Soul Kitchen« zeigt eine Heimat von mir, Çamburnu eine andere.

kreuzer: Von Ihnen stammt der Satz: »Heimat ist ein Zustand und nicht ein Ort.« Wie nähern Sie sich dem Thema Heimat?

AKIN: Jeder von uns beschäftigt sich mit der Frage, woher man kommt und wohin man geht. Mich hat mein Vater geprägt, genau wie er von seinem Vater geprägt wurde. Die soziale Umgebung prägt den Charakter. Raum hat Einfluss auf die Person. Mich interessierte, woher mein Großvater kommt. Aus welcher Umgebung, welcher Landschaft und welche Menschen ihn umgeben. Ich bin da als Großstadtmensch hingereist und habe viele Physiognomien gesehen, zu denen ich mir eine gewisse Ähnlichkeit einbilde. Die sehen mir ähnlich. Ich fand die Leute dort sehr würdevoll. Nach Würde und Demut strebe ich. Das würde ich mir gerne in meinem schnelllebigen Großstadtleben aneignen.

kreuzer: Sie engagieren sich neben anderen internationalen Prominenten auch für das uralte Dorf Hasankeyf, das einem riesigen Staudamm weichen soll und geflutet werden wird.

AKIN: Das Problem von Hasankeyf ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung für den Bau dieses Stausees ist. Das ist ein kleiner Ort, der aber lautstark von Prominenten unterstützt wird. Die Mehrheit erhofft sich aber Arbeitsplätze und mehr Elektrizität.

kreuzer: Ist das ein Defizit in den demokratischen Strukturen der Türkei? Sind Minderheiten zu wenig geschützt?

AKIN: Wer beschützt die Leute, die gegen Stuttgart 21 sind? Gegen eine Mehrheit ist die Minderheit machtlos. Die Minderheit kann nur kritisieren und Bewusstsein schaffen.

kreuzer: Wie könnten Lösungen aussehen?

Ich war lange nicht Mitglied in der deutschen Filmakademie, weil mich das demokratische Verfahren dort gestört hat. Die Mehrheit wollte Filme, die ich nicht so gut fand. Eine kleine, kluge Einheit, eine Jury hätte vielleicht die besseren Filme ausgewählt. Das stimmt aber nicht. Man regt sich genauso über Jurys wie über Mehrheitsentscheidungen auf. Was richtig oder falsch ist, weiß ich nicht. Ich spüre aber, dass Demokratie verteidigt werden muss.


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