Schon über den Namen könnte man diskutieren: »Nazistück«. Ist das nur plumpe Provokation oder Ausdruck von Naivität und Unbekümmertheit? Oder steckt doch etwas Substanzielles hinter der Spinnwerk-Inszenierung, die am 16. Februar Premiere feierte? Erfahren wird das vorläufig niemand mehr, denn die Produktion wurde am Samstagnachmittag ausgesetzt.
»Das kam absolut überraschend«, schildert Alexander Müller die Ereignisse. Er ist einer der beteiligen Schauspieler. »Wir waren gerade in den Vorbereitungen der zweiten Vorstellung. Da hat uns die Nachricht doppelt getroffen, immerhin hatten wir die Inszenierung schon einmal verschoben.« Ursprünglich sollte das »Nazistück« bereits vor einem Jahr gezeigt werden. Die Inszenierung, die unter anderem auf gemeinsamen Recherchen der Beteiligten über die Leipziger Neonaziszene und Gesprächen mit Szenesaussteigern beruht, wurde dann aber auf Wunsch der Spinnwerkleitung zunächst Ende Mai für eine Woche zum dramaturgischen wie inhaltlichen Nachjustieren verschoben. Dann wurde der neue Premierentermin in die jetzige Spielzeit verrückt und die Produktion noch einmal komplett überarbeitet.
Am Samstag vermeldete dann die Zentrale in der Bosestraße: »Die Produktion NAZISTÜCK wird bis auf Weiteres vom Spielplan des SPINNWERK genommen.« Intendant Sebastian Hartmann hatte die Premiere besucht und konnte die Verantwortung für das »Nazistück« nicht übernehmen. Weiter heißt es in einer schließlich am Montag veröffentlichten Pressemitteilung: »Aus Sicht der künstlerischen Leitung des Centraltheater finden im Kontext der Inszenierung rechtsradikales und antisemitisches Gedankengut weder eine hinlängliche künstlerische Reflexion, noch ist eine unmissverständliche Distanz zum Gegenstand ›alltäglicher Rassismus und rechtsradikale Ideologie‹ in ausreichendem Maße erkennbar.«
Man habe bewusst, so erklärt Schauspieler Müller – der Regisseur war heute nicht zu erreichen –, auf eine ironische Brechung oder Erklärszenen verzichtet. »Wir wollten zeigen, wie es ist. Wie und dass Nazitum täglich stattfindet.« Dieser Realitätsbezug als Inszenierungsansatz ist ihnen nun als Makel ausgelegt worden, wie Sebastian Hartmann und Chefdramaturg der Gruppe am Samstag in einem rund dreistündigen Gespräch darlegten. Man wirft keinem vor, neonazistische Propaganda zu verbreiten. Die Darstellungsweise sei aber zu uneindeutig und könnte als Lob brauner Ideologie missverstanden werden. Die Ebenen zwischen Wirklichkeit und Theaterbühne wären zu verschwommen gewesen, fasst Müller die Kritik zusammen. »Man war sich nicht ganz sicher, wer jetzt auf der Bühne ist – Nazi oder Schauspieler. Eigentlich ein Kompliment für Schauspieler.« Aber in diesem Fall führte es zum Abbruch.
Gerade wenn es um das Thema Nazis, Gewalt, Rassismus und Antisemitismus geht, stoßen Inszenierungen schnell an Grenzen. Am Theater Halle etwa wurde 2009 das Stück »Ultras« nach der Premiere entschärft, weil sich der Regisseur antisemitischer Hetze schuldig gemacht habe. Was darf Kunst? Wie stellt man rassistische Figuren angemessen dar – und wie nicht? Muss man immer Erklärstücke aufführen, um nie Missverständnisse aufkommen zu lassen oder bevormundet man damit nicht das Publikum? Das sind Fragen, die auch die Macher des »Nazistücks« während Recherche und Probenarbeit umgetrieben haben, erzählt Schauspieler Alexander Müller. »Wir wollen auf jeden Fall dran bleiben am Thema.« Das Centraltheater hat seine Unterstützung und Dialogbereitschaft verlautbart. Vielleicht, so überlegt Müller, kann man eine Podiumsdiskussion zusammen mit Sebastian Hartmann und Theaterwissenschaftlern organisieren, um gerade über Grenzen und Möglichkeiten der Nazi-Darstellbarkeit zu debattieren. »Dann hätte der Entwicklungsprozess unseres Stücks mit all seinen Hürden doch etwas erreicht.« Der kreuzer wird sich dieser Debatte im Aprilheft annehmen.