Im Westen was Neues. Die engagierte Ausstellung »Europa im Cluster« zeigt noch bis Samstag 17 miteinander verwobene Kunstwerke junger Leipziger im alten Kaufhaus Held in Lindenau. Dabei gelingt es ihnen, Politik und Kunst spannend und unprätentiös zu verweben.
Cluster ist englisch für Büschel, Traube, Gruppe, Anhäufung, Schwarm. Ein Cluster verbindet Sprache und Form, stellt Informationen in einen sinnhaften räumlichen Zusammenhang. Sie werden in der Physik oder Mathematik verwendet, um komplexe Inhalte besser verständlich darzustellen. Und jetzt Europa im Cluster? Wie sieht das dann aus? Die Idee der Aussteller war es, zu Europas Geschichte, Gegenwart, Identifikationsprozessen, Grenzen und Strukturen zu arbeiten und diese Auseinandersetzung in ein politisch-künstlerisches Projekt zu verwandeln. Wie durch einen Cluster wollen sie dies übersichtlich zusammenfassen und damit den Blick des Besuchers schärfen.
Ein Joghurt auf das Auto von Sarkozy
Diesen scharfen Blick kann man beispielsweise in der Black Box trainieren. Die ist ein separater, abgedunkelter Raum, in dem sich drei Kunstwerke befinden, die von Scheinwerfern angestrahlt werden. Durch die Lichtveränderungen verändern sich auch die Motive. Das Bild rechts vom Eingang zeigt ein Stillleben mit Festtafel. Im schummerigen Licht lässt sich nur schwierig erkennen, was hier zum Verzehr bereitliegt. Die Etagère steht auf einer Festtafel – wer sie deckt und an ihr speist, bleibt unklar. Sie thematisiert die Unzertrennlichkeit von Lebensmittelverbrennung und Hunger und die Unzulänglichkeit der Umverteilung. Aber auch als gespaltene Persönlichkeit oder als vergammelndes Paradies ewiger Frische tritt Europa in den Kunstwerken auf, die damit Bezug nehmen auf die immer höhere Mauern ziehende Festung Europa und deren Flüchtlingspolitik. Völlig absurd kommt einem Oliviers Geschichte vor, die in einem Dokumentarfilm erzählt wird: Er warf einen Joghurt auf das Auto von Sarkozy und verbrachte dafür sechs Monate im Gefängnis. »The justice in france, Kafka is kind« sagt Olivier in gebrochenem Englisch.
Das europäische Verdauungssystem
Ein weiteres Werk zeigt einen überdimensional großen und schweren, von Fett aufgedunsenen, schwammigen menschlichen Körper, der in einem kargen, leeren Raum schwebt. Der Körper scheint gierig alle natürlichen, kulturellen und menschlichen Ressourcen zu verschlingen, die er wie ein Strudel in sich aufsaugt. Durch die Verdauung dieser sozialen und im Doppelsinn wertvollen Ressourcen versorgt der menschenähnliche Fettkörper seine, für ihn lebenserhaltenden (Staats)Organe und seinen übersättigten Quellkörper mit (Nähr)stoffen. Die Dramatik liegt in der Produktion der Stoffwechselendprodukte, denn der erbärmliche Rest dieser Verdauungsprozedur ist die blöde Scheiße, die wir in unserer heutigen Gesellschaft schlucken müssen.
Am Eingang erwartete den Besucher bereits ein Stapel von Post-Its, auf denen man beim Laufen durch die Ausstellung Gedanken, Widersprüche, Anmerkungen und Ergänzungen festhalten kann, um diese am Ende auf einer Tafel anzukleben. Man merkt schnell, diese Ausstellung will nicht den elitären Anspruch haben, polierte Skulpturen und feststehenden Wissens zu präsentieren, sondern ist der Versuch, die Ansätze, Lernprozesse, Gedanken und Erfahrungen aller Partizipierenden offenzulegen und damit kollektiv weiterführbar zu machen.