Schon früh war klar, dass »Wagner Reloaded« eine Show ist, die ihren Reiz wohl nur aus ihrem Trash-Faktor zieht. Das ließen bereits das Plakat und die vorangehende Pressekonferenz vermuten. Die Premiere am letzten Freitag hat dies bestätigt. Doch das größte Problem der Show, die den MDR-Musiksommer eröffnete und deren Premiere neben etwa 7.000 Zuschauern auch MDR-Intendantin Karola Wille und Ministerpräsident Stanislaw Tillich beiwohnten, liegt in einem missglückten Versuch, Wagners Antisemitismus zu kommentieren.
Eins vorneweg: Auszunehmen von der Kritik ist die handwerkliche Leistung der Künstler, da gibt es gute Artistik, tolle Maschinen vom Theater Titanick und auch akzeptables Bombastgeschrammel der finnischen Cellorocker von Apocalyptica. All das hätte Potenzial zu wenn auch trashiger, so doch annehmbarer Unterhaltung gehabt, wäre da nicht Regisseur und Chefchoreograf Gregor Seyffert. Selbstverliebt zeigt er seinen Wagner-Superman, tanzt den »Meister«, besser: dessen übermenschliches Ich, mit nackter heroischer Tänzerbrust. Ja, das ist ein ganz toller Hecht. Der Seyffert, natürlich. Und der Wagner auch.
Selbst das wäre noch ertragbar gewesen, wenngleich unter Schmerzen. Unerträglich wird das Arena-Spektakel in dem Moment, in dem es krude antisemitische Klischees bedient und es vor lauter Eigen- und Wagnerliebe gar nicht mehr merkt.
Das Seyffert-Genie Wagner hat sich gerade spektakulär von der Decke abgeseilt, um dem Mensch-Wagner (Oliver Preiß) sein Talent zu offenbaren, da kommt – auf großen Wagen durch die zum Teil auf Pappkisten sitzenden Zuschauer gefahren – das böse Heer jüdischer Komponisten. Plötzlich sieht man einen Haufen schwarz gekleideter Männchen, die zu Klezmer-Musik wild und unkoordiniert ihren Taktstock schwingen. Die haben keine richtigen Gesichter, höchstens riesige schwarze Augenbrauen, die haben keine Kultur, keine Persönlichkeit. Das sind die Juden! Es ist die Karikatur des Jüdischen, die Wagner aufgenommen und selbst geprägt hat. Wagner-Seyffert steht allein im Kampf gegen den vielköpfigen Feind, der ihn mit seiner jüdischen Hampelei zu überwältigen droht. Wagner reckt die gestählte Brust, reißt die muskelbepackten Arme in die Höhe und richtet sie dann auf die jüdische Konkurrenz, er schlägt sie mit seiner deutschen Musik in die Flucht. Dabei helfen ihm riesige Kanonen, die unentwegt Papierfetzen auf das feindliche Lager schießen. Cyber-Nazis reißen den Juden dann die schwarzen Gewänder vom Leib, darunter Anzüge in Judensterngelb. Was folgt, ist der Abtransport des besiegten Gegners, während die Leinwand einen Zug auf fahrenden Schienen zeigt. »Wagner Reloaded« tanzt den Holocaust. Die Zuschauer, viele tausend Menschen in der Halle, klatschen begeistert Beifall. Später, am Ende des Stückes, bejubeln sie das steinerne Wagner-Riesendenkmal, das Seyffert auf die Bühne karren lässt.
Natürlich wollte Seyffert auf Wagners Antisemitismus hinweisen, auf dessen Hetzschrift »Das Judentum in der Musik«, natürlich wollte er auf Wagners Neid auf Künstlerkollegen wie Felix Mendelssohn-Bartholdy oder Giacomo Meyerbeer anspielen. Aber nicht so! Hier werden jüdische Klischees reproduziert und ungebrochen zur Schau gestellt. Hier wird eine komplexe und streitbare Künstlerpersönlichkeit wie Richard Wagner als Individuum verherrlicht. Ihm, dem großen Helden des Abends, wird eine stigmatisierte Masse zombiehaft hampelnder jüdischer Clowns gegenübergestellt. Und über allem schwebt übermächtig und heroisch die Musik Wagners.
Das gipfelt im Verlauf der Unterhaltungsshow in einem Halb-Mensch-halb-Maschine-Hitler, der auf einem Streitwagen von Hund und Frauchen über die Megabühne gezogen wird, einen in den Bühnenhimmel fliegenden Wagner, der das MDR-Sinfonieorchester und die Band Apocalyptica fake-dirigiert, während sie den Walkürenritt spielen. Dazu kreischende graue Gestalten. Kriegsopfer? Juden? Vertriebene? Deutsche? Man weiß es nicht. Ist dann auch egal, wenn alle durch Stroboskopmaschinengewehrsalven niedergemacht werden. Wagner, Wagner über alles.
Das alles ist unglücklich, vielleicht war es ja nett gemeint. In der Presse erhielt die Vorstellung Lob schon dafür, Wagners Antisemitismus überhaupt thematisiert zu haben. Das allein reicht aber nicht, schon gar nicht, wenn damit antisemitische Klischees in so massiver Form transportiert werden, während gleichzeitig die ganz offen antisemitische historische Person Wagner kulthaft und martialisch heroisiert wird. Die Umsetzung Seyfferts potenziert sich selbst zu einem großen Unfall und niemand im Produktionsteam scheint jemals »STOP!« geschrien zu haben. Auch nicht der MDR, nicht das MDR-Sinfonieorchester und dessen Chefdirigent Kristian Järvi und nicht der sächsische Ministerpräsident oder dessen Berater. Die Show wurde stattdessen sogar im MDR-Fernsehen ausgestrahlt. Punkten kann man damit wohl nur bei den ewigen Klischeereitern und den Freunden der NPD.