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Kultur

»Wir fangen an, Familie neu zu begreifen«

Der Filmemacher Robert Thalheim über »Eltern«, Geschlechterkämpfe und Medien

  »Wir fangen an, Familie neu zu begreifen« | Der Filmemacher Robert Thalheim über »Eltern«, Geschlechterkämpfe und Medien

Robert Thalheim (geboren 1974) studierte Filmregie an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg und arbeitet seitdem sowohl als Theater- wie als Filmregisseur. 2004 legte er sein viel beachtetes Filmdebüt »Netto« vor und wurde mit seinem zweiten Film »Am Ende kommen die Touristen« 2007 zu den Filmfestspielen nach Cannes eingeladen. Zuletzt lief »Westwind« (2011) in den deutschen Kinos. In seinem neuen Film »Eltern« (eine Kritik zum Film finden Sie im aktuellen kreuzer) zeigt er, wie eine junge Familie in die Krise gerät, als der Vater (Charly Hübner), der sich einige Jahre um Haushalt und Kinder gekümmert hat, während seine Frau (Christiane Paul) als Ärztin Karriere machte, wieder ins Berufsleben zurückkehrt.

kreuzer: Wie viel eigene Elternerfahrung steckt in diesem Film?

ROBERT THALHEIM: Mit zwei Kindern weiß ich aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, in diesem Bermuda-Dreieck aus Familie, Beruf und Beziehung alle Faktoren in Ausgleich zu bringen. Ich habe selbst Elternzeit gemacht und schon in dem halben Jahr gemerkt, wie sich so ein beruflicher Ausstieg anfühlt. Auch wenn man seine Kinder noch so sehr liebt und es genießt, mit ihnen Zeit zu haben, wiederholen sich die Prozesse: Auf den Spielplatz gehen, an der Buddelkiste sitzen, Frühstückstisch abräumen – das sind eben Tätigkeiten, für die man am Ende nicht so einen Applaus bekommt wie für einen Film.

kreuzer: Was war für Sie die entscheidende Veränderung durch das Vaterwerden?

THALHEIM: Dass man nicht mehr alleine ist. Es wird einem klar, dass die Kinder für immer und ewig Teil des eigenen Lebens sein werden und dadurch bekommt man ein ganz anderes Zeitgefühl. Davor hatte ich mich voll und ganz auf mein Fortkommen als Filmemacher konzentriert. Mit den Kindern gab es dann plötzlich eine neue Welt, die Raum in Anspruch nahm und etwas anderes von einem verlangte, als sich selbst zu verwirklichen.

kreuzer: Wie hat sich das Rollenverständnis als Vater in Ihrer Generation im Vergleich zu der Generation Ihrer Eltern geändert?

THALHEIM: Es ist für Männer meiner Generation viel selbstverständlicher, auch schon im Babyalter die Nähe zum Kind herzustellen und nicht erst, wenn der Nachwuchs Fußballspielen kann. Es gilt heute als chic, wenn ein Vater mit dem Baby am Bauch herumläuft, die Windeln wechselt und den Brei kocht. Trotzdem ist diese Entwicklung erst am Anfang. Die Väter machen zwar auch ein paar Monate Elternzeit, aber meistens sind es die Mütter, die beruflich zurückstecken.

kreuzer: Wie viel Geschlechterkampf steckt heute noch im Elterndasein?

THALHEIM: Anders als vor vielleicht zehn Jahren werden die Konflikte nicht mehr ideologisch ausgekämpft, sondern ganz real im Alltag. Dabei ist nicht mehr das festgefahrene Rollenbild das Hauptproblem, sondern das Alleinernährermodell an sich. Wer nur für die Kinder da ist, fühlt irgendwann eine Leerstelle in sich und wer zu viel arbeitet, dem geht die Nähe zu den Kindern verloren – egal ob Mann oder Frau. Das in die Balance zu bekommen, ist heute die eigentliche persönliche und gesellschaftliche Herausforderung.

kreuzer: Der Film zeigt sehr eindrücklich, wie das Leben der Familie unter dem Druck des Alltages innerhalb einer Woche kollabiert. Ist das Leben mit Kindern einer rasanteren Dynamik ausgesetzt?

THALHEIM: Im Leben einer jungen Familie wechseln sich Chaos und Harmonie oft blitzschnell ab. Mindestens einmal im Monat kommt es zu einer Situation, in der das ausgeklügelte System, wer wann welches Kind abholt, in sich zusammenbricht. Innerhalb kürzester Zeit steht man vor einem Scherbenhaufen und stellt alles in Frage: Wo bin ich hier nur reingeraten? Ist das wirklich die richtige Beziehung? Sind die Kinder schlecht erzogen? Aber all diese Zweifel können sich genauso rasant wieder in Luft auflösen, wenn einer einen guten Witz macht oder die Kinder wieder einmal besonders bezaubernd sind. Für einen Film ist es natürlich sehr spannend, diese großen Amplituden in einem möglichst engen Rahmen darzustellen.

kreuzer: Wie war Ihre Herangehensweise bei der Gestaltung der Kindercharaktere?

THALHEIM: Es war mir sehr wichtig, dass die Kinder eigene Persönlichkeiten sind und nicht nur irgendwelche süßen, kleinen Wesen, wie man sie so oft im Fernsehen vorgeführt bekommt. Wir haben lange gecastet, um diese beiden sehr individuellen Schauspielerinnen zu finden, mit denen ich genauso intensiv an der Figurenentwicklung gearbeitet habe wie mit den erwachsenen Darstellern. Die jüngere Emma ist eine eher extrovertierte und anarchische Person, während Käthe schon ein wenig zu alt für ihr Alter wirkt und sich mit ihrem Vater auf Augenhöhe austauscht. Es war mir wichtig, dass die Kinder jeweils eine eigenständige Beziehung zum Vater und zur Mutter haben und genauso wie die Eltern mit dieser familiären Situation an ihre individuellen Grenzen geraten.

kreuzer: Christine ist Ärztin, Konrad arbeitet als Regisseur am Theater – warum haben Sie diese beiden Berufe miteinander gepaart?

THALHEIM: Ich wollte, dass die Mutter einen Job hat, der für die Allgemeinheit sehr wichtig ist, in dem man soziale Bindungen mit Menschen eingeht, die man nicht enttäuschen will. Das macht es für Konrad sehr schwer, weil er Christine nicht vorwerfen kann, irgendeine hohle Karriere voranzutreiben. Auf der anderen Seite arbeitet Konrad in einem kreativen Beruf, der projektabhängig ist. Heute sind ja immer weniger Menschen in klassischen, sozialversicherungspflichtigen Berufen tätig, sondern hangeln sich von einem Projekt zum nächsten. Die Frage, ob man es selbst nicht geschafft hat oder die Kinder daran schuld sind, dass die Karriere nicht vorankommt, ist heute für viele Mütter und Väter schwer zu beantworten.

kreuzer: Sind Kinder nicht vielleicht auch ein ganz gesunder Klotz am Bein in der Karrieremühle?

THALHEIM: Ich bin davon überzeugt, dass wir als Menschen beides brauchen. In den Medien wird oft ein egoistischer Blick transportiert, der in Kindern nur ein Karrierehindernis sieht. Dass sie auch eine wichtige Stufe hin zu einem ausgeglichenen Leben sind, das einen wiederum besser im Beruf macht, wird dabei oft übersehen. Man kann nicht nur trotz Kindern im Beruf gut sein, sondern gerade auch wegen der Kinder, weil man nicht nur auf die Karriere fixiert ist, sondern auch immer wieder den Blick von außen hat.

kreuzer: In »Netto« war es die Arbeitslosigkeit, in »Am Ende kommen die Touristen« das Thema Auschwitz, nun die moderne Elternschaft – wie wichtig ist Ihnen der Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen Wirklichkeit in Ihrer Arbeit als Filmemacher?

THALHEIM: Gesellschaftliche Themen sind mir wichtig und ich wage mich da auch immer wieder gerne rein, solange sich die großen Themen in ganz persönlichen Geschichten und kleinen Dramen aufzeigen lassen. Das Alltägliche spannend und dramatisch zu erzählen – das ist für mich beim Filmemachen die interessanteste Herausforderung.

kreuzer: Wenn Sie die Entwicklung weiterdenken: Wie sieht in zwanzig oder dreißig Jahren eine Durchschnittsfamilie aus?

THALHEIM: Wir fangen gerade an, Familie anders und neu zu begreifen. Nach dem superindividualistischen Zeitalter der achtziger und neunziger Jahre wird die Familie in Zeiten, in denen es wirtschaftlich härter wird, wieder an Bedeutung gewinnen. Ich hoffe, dass wir in Zukunft die Arbeitsaufteilung zwischen den Geschlechtern, aber auch die Bedeutung von Karriere und Familie besser ausbalancieren und dafür die notwendigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.


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