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Politik

»Halt die Fresse«

800 Menschen schreien und feiern gegen 80 Flüchtlingsgegner

  »Halt die Fresse« | 800 Menschen schreien und feiern gegen 80 Flüchtlingsgegner

Mit Kirchenliedern und Punkmusik gegen fackeltragende Bürger und Neonazis: Die Kundgebung von dem rechten Bündnis »Leipzig steht auf«, zu dem am Montagabend knapp 80 Menschen kamen, wurde von etwa 800 Menschen lautstark gestört. »Refugees are welcome here« war die gerufene Botschaft vor der Flüchtlingsnotunterkunft in Schönefeld.

Was für ein Bild: An der Straßenecke vor der Unterkunft der Flüchtlinge stehen etwa 150 Menschen mit Kerzen in der Hand und singen »Dona nobis pacem«, direkt daneben schallt aus einer bassstarken Box »Ich möchte ein Eisbär sein« und Menschen tanzen gegen Minusgrade an. Noch sind die sich selbst als besorgt bezeichnenden Bürger, zu denen aber hauptsächlich NPD-Parteimitglieder zählen, gar nicht aufgetaucht, doch schon zeigt sich: Die verschiedensten Menschen wollen sie hier nicht sehen. Sozialbürgermeister Fabian läuft herum, jemand schenkt heißen Tee aus, eine Brass-Band spielt wieder ihre fröhliche Protestmusik.

Doch noch bevor die Kundgebung beginnt, fordert die Polizei, die mit 250 Beamten sehr präsent erscheint, die Demonstranten auf, die Kreuzung zu räumen und auf Bürgersteig und Wiese zurückzutreten. Was einige nicht tun, worauf die Beamten ankündigen, jetzt zu räumen. Wieso gerade der Autoverkehr in genau diesem Moment wieder an dieser Ecke dringend fließen soll, ist schwer nachzuvollziehen. Fragwürdig ist aber auch, warum so viele Demonstranten die Ecke nicht freigeben wollten. Schließlich findet die Kundgebung am anderen Ende des Demo-Geländes statt, wo ihr Protest gegen Nazis weitaus effizienter wäre, statt direkt vor den Fenstern der Flüchtlingen straßenkampfähnliche Szenen zu provozieren. Auch bislang nicht eindeutig geklärt ist, wie hart die Polizisten nun gegen die Demonstranten vorgehen. Einige Demonstranten sagen aus, die Beamten hätten Pfefferspray eingesetzt, die Polizei bestreitet dies. Doch kommen einige Demonstranten mit roten, brennenden Augen aus den Rangeleien heraus. Andere Zeugen reden von Seifenwasser.

Als kurz nach 19 Uhr aus einer dunklen, polizeibewachten Ecke dann tatsächlich 60 bis 80 Menschen mit etwa 25 Fackeln auftauchen, konzentriert sich der Protest endgültig auf sie, es wird gepfiffen, getanzt und geschrien: »We say it loud, we say it here: refugees are welcome here«, »Nationalismus raus aus den Köpfen« oder auch »Marsch, marsch, marsch, steckt euch eure Fackeln in den Arsch«. Dieser Aufforderung kommen die »Nasen« zum Bedauern vieler nicht nach, genauso wenig wie dem Sprechchor »Halt die Fresse«. Doch sind ihre Reden kaum verständlich, gehen im allgemeinen Lärm unter.

Nach etwa einer Stunde verschwinden sie wieder, auch die Gegendemonstration löst sich langsam auf. Es ist offensichtlich geworden, dass hinter der ominösen Bürgerbewegung »Leipzig steht auf» keine breite Masse steht, wie man nach Facebook-Gruppen und Flyern hätte befürchten können, sondern dass sie vor allem eine Tarnung der NPD ist.

Auch die Initiatorin der Gegendemonstration, Stadträtin Juliane Nagel, zieht eine zufriedene Bilanz des Abends, mahnt aber auch: »Die Unterstützung der geflüchteten Menschen darf sich nicht im Protest gegen die Aufmärsche von Nazis und rechten Bürgerinitiativen erschöpfen. Wir brauchen ein grundsätzliches und alltägliches Klima der Offenheit und Solidarität sowie dringende strukturelle Verbesserungen der Lebenssituation von Asylsuchenden zum Beispiel durch eine bessere Wohnsituation fernab von Massenunterkünften, die Ermöglichung, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, und die Abschaffung der Residenzpflicht.« Zumindest die Notunterkunft in der ehemaligen Schule in Schönefeld werden die Flüchtlinge Ende März tatsächlich wieder verlassen. Nach Aussagen von Bürgermeister Fabian werden sie dann in Wohnungen untergebracht.


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