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Stadtleben

»Nur in der Kneipe meckern, reicht nicht«

Braucht Connewitz die neue Polizeistation? Eine Diskussion zum »gefährlichen Ort«

  »Nur in der Kneipe meckern, reicht nicht« | Braucht Connewitz die neue Polizeistation? Eine Diskussion zum »gefährlichen Ort«

Die Empörung ist groß, nachdem in der Connewitzer Wiedebachpassage im Februar eine neue Polizeistation eröffnet wurde. Eingeworfene Scheiben im Bürgeramt waren für Stadt und Polizei der Auslöser, dort ein eigenes Revier einzurichten. Die Initiative »Für das Politische« hatte daraufhin zu einer Podiumsdiskussion ins UT Connewitz eingeladen. Es wurde auch gepöbelt.

»Für uns ist es wichtig, das Thema aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu betrachten«, sagt Stadträtin Juliane Nagel (Linke), die den Abend moderiert. Rund 200 Personen waren gekommen, die Stimmung zunächst ruhig.

Zunächst erklärt Peter Ullrich von der Technischen Universität Berlin das Phänomen der »gefährlichen Orte«. Sie sind Stadträume, die von der Polizei als gefährlich eingestuft werden können, ähnlich dem »Gefahrengebiet« in Hamburg im Januar 2014. Das Räumlichkeitsrecht erlaube der Polizei, willkürlich Personen zu kontrollieren und Platzverweise auszusprechen. An symbolischen Orten wie dem Völkerschlachtdenkmal oder an repräsentativen Plätzen wie an Bahnhöfen oder in Stadtzentren, gilt dieses Polizeirecht dauerhaft. Ullrich beschreibt dies als »Verdrängungsstrategie«, um bestimmte Stadtteile aufzuwerten und zu gestalten. In Connewitz führe die Einrichtung der neuen Polizeistelle ebenfalls zu erhöhten Kontrollen, die sich gegen bestimmte soziale Schichten richte.

Die Diskussion im Anschluss soll klären, wie die Connewitzer gesellschaftliche Überwachung und polizeiliche Repression bewerten. Doch die Anwesenden interessieren sich viel mehr für das neue Revier und die Vorfälle im Bürgeramt. Ob das Revier nicht nur eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Polizisten sei, fragt einer. Ullrich antwortet ruhig: »Die Polizei untersteht dem Innenministerium.« Ironisch fügt er hinzu: »und den Befindlichkeiten einzelner Bürger, die Angst vor bestimmten sozialen Gruppen haben.« Erst verhalten, dann aber lautstark melden sich weitere Besucher zu Wort. Eine junge Frau erzählt von ihrer letzten Begegnung mit der Polizei: »Ich hatte an einer Straßenbahnhaltestelle geschlafen und wurde mitten in der Nacht von der Polizei geweckt mit der Frage, ob ich nicht nach Hause wolle« – »Die Polizei belästigt Leute auf dem Heimweg oder an der Haltestelle. So ein Mist!«, antwortet ihr jemand aus dem Publikum. Plötzlich geht ein Mann nach vorn und schreit wild ins Mikro: »Irgendwelche Idioten haben die Scheiben im Bürgeramt eingekloppt. Ich wohne hier, das kotzt mich an!« Nachdem er von der Mehrheit der Leute wegen Pöbelei ausgebuht wird, verlässt er den Raum.

»Ist dieser Stadtteil überhaupt politisch genug, um sich gegen die Polizeipräsenz zu wehren?«, fragt eine Frau alle Anwesenden kritisch. Mit dem Ärger über die neue Polizeistation geht eine große Uneinigkeit einher: Wie soll man darauf politisch reagieren? »Nur am Kneipentisch meckern, reicht eben nicht«, kommentiert Nagel.

Am Ende bleiben viele offene Fragen im Raum: Welche Formen des politischen Protests sind wirksam? Können sich die Connewitzer überhaupt gegen das neue Polizeirevier wehren? Juliane Nagel will die Diskussion im Stadtteil weiter vorantreiben und lädt mit der Initiative »Für das Politische« zu einer offenen Diskussion ein. Die Öffentlichkeit solle sich daran beteiligen, wie in Connewitz miteinander umgegangen wird. Das Pöbeln war ein schlechter Anfang, aber immerhin.


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