Konkreter wirds nicht: Lange mussten die Leipzig Montagsdemonstranten warten, bis ihr Stargast Ken Jebsen aus Berlin auftrat. Mit geölter Rhetorik auftretend, brachte er aber auch nichts weiter fertig, als den versammelten Empörten in ihrer Empörung zuzureden. Nach drei Stunden Betroffenheitsplauderei kam auch diese Kundgebung inhaltlich nicht weiter als in den letzten Wochen.
»Gegen mein Redetalent habt ihr eh keine Chance«, Richtung Antifa. »Sie kennen meinen Cutter nicht«, schleudert Ken FM einer Frau hinterher, die in sein Mikro hineingerufen hatte, dass man ihm nicht zuhören oder glauben sollte. Ihren Einwurf werde man eh rausschneiden. Ja, der Anchorman der Montagsdemonstrationen und Mahnwachen für den Frieden Ken Jebsen stattete gestern auch der Leipziger Kundgebung vor der Oper einen Besuch ab. Als er nach mehr als zweieinhalb Stunden das Wort ergreift (»Ich bin Ken Jebsen und meine Zielgruppe sind Menschen«), sind von den ursprünglich geschätzten 500 bis 600 Menschen weniger als die Hälfte übrig – von denen etliche das Geschehen kritisch begleiten. Am Rand hat sich zusätzlich eine größere Gruppe Antifas zusammengefunden, die sich zwischenzeitlich mit Sprechchören einmischt.
Mit dem Auftritt Jebsens zeigt sich jetzt auch die Leipziger Ausgabe als anschlussfähig an die Montagsdemonstration in Berlin, wo der ehemalige RBB-Moderator fester Redner ist. In den Wochen zuvor war immer wieder gefordert worden, die Kundgebung auf dem Augustusplatz als eigenständige Veranstaltung wahrzunehmen und nicht mit den anderen in einen Topf zu werfen – auch wenn man sich zugleich als eine Bewegung sah und sich freute, in wie vielen Städten Menschen »für den Frieden« auf die Straßen gingen. Dieses ist auch heute wieder der kleinste gemeinsame Nenner. Mit esoterischen und verschwörungstheoretischen Umtrieben, die andernorts unverhohlen Teil der Montagsdemos sind, wollte man offiziell nichts zu tun haben. Gab sich die Friedenskundgebung vor einigen Wochen den Motto-Zusatz »Nie wieder Faschismus« und warf vor zwei Wochen nach Antifa-Hinweis einen Neonazi aus der Versammlung, so keimt nun erneut das Querfront-Geschmäckle auf. (Und, das sei noch einmal ausdrücklich gesagt: Hier werden nicht die ganze Kundgebung und alle Teilnehmenden zu Neonazis, Neurechten und/oder Verschwörungstheoretikern erklärt.)
»Denn sie wissen nicht, was sie tun«
Jebsen wurde immer wieder auf der Facebook-Seite der Leipziger Montagsdemo verlinkt, distanzieren wollte man sich nicht einmal von mancher seiner Aussagen. In einer Web-Sendung namens »Zionistischer Rassismus« etwa hatte Jebsen im April 2012 erklärt, Israel strebe die »Endlösung für Palästina« an. Mit NS-Vergleichen ist differenzierte Kritik nicht zu haben – das wird aber Jebsens Sache auch nicht sein, bedenkt man, dass er als Journalist mit Sprache umzugehen wissen sollte. Nun ist er also explizit eingeladener oder erwünschter Redner in Leipzig. Rechts wie links, ja: Alle seien doch für Frieden, so führt Jebsen aus, man sei sich nur über den richtigen Weg nicht einig. So kann man Weltpolitik und -geschichte auch zusammenfassen. Reichlich selbstverliebt und von seinen verbliebenen Zuhörern noch heftiger bejubelt, plaudert Jebsen vor sich hin, stellt sich oder die ganze Kundgebung in eine Traditionslinie mit Mahatma Gandhi, Rosa Parks und Martin Luther King. Er habe die Krisenherde der Welt besucht, seine Kritiker nicht. Immer wieder auftönenden Sprechchören der Antifa – manch Demoteilnehmer nennt sie »Faschisten«, sei doch die Kundgebung selbst antifaschistischer Natur – hält er entgegen, nicht zu wissen, was sie tun. »Halts Maul!«, »Gegen jeden Antisemitismus: Nieder mit Deutschland und für den Kommunismus!« und »Wir sind hier aus purer Feindschaft – gegen eure Volksgemeinschaft!« sind gewiss auch gar nicht als Gesprächsangebote gemeint. Von der als Provokation geschwenkten Israel- und USA-Flagge fühlt sich Jebsen offensichtlich tatsächlich provoziert und auch das MDR-Logo am Cityhochhaus bekommt sein Fett weg. Dann führt er noch ein Scheinargument gegen den Vorwurf des Antisemitismus an: Ein solcher richte sich ja gegen die ganze semitische Sprachfamilie. Dabei übergeht er einfach, dass der Begriff seit Jahrzehnten – auch via wissenschaftlicher Beschäftigung – synonym steht für Judenfeindschaft.
Schillernde Faschismusbegriffe und der »Infokampf«
Differenzierungen scheinen auch anderen Teilnehmenden lästig. Insbesondere der Faschismus dient von den Faschisten in der Ukraine bis hin zum »EU-Faschismus« (auf einem Transparent) oft schillernd als Referenz. Ein Sprecher bittet darum, auf der nächsten Kundgebung einen »Staatsrechtler« zu befragen, was Faschismus denn exakt meine – als ob es keine Bibliotheken etc. gibt. Zudem konterkariert dieser Vorschlag die häufig geäußerte Aufforderung zu mehr Selbstbildung. Einige Redebeiträge thematisieren direkt den Ukraine-Konflikt, insbesondere die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Odessa. An der berechtigten, aber totalisierenden Kritik an den deutschen Medien kommt man wieder nicht vorbei. Ein Sprecher immerhin gibt zu, seine Ausführungen zu den »tatsächlichen« Ereignissen in der Ukraine großteils auch nur vom Hörensagen von dort lebenden Freunden und Verwandten zu haben. Viele Meinungsbeiträge hingegen gerieren sich als wahre Einsichten, von denen die »TV-Verblödung« und gesteuerte Massenmedien nicht berichten würden. Die »Tagesschau« vergleicht einer mit der »Aktuellen Kamera«. Erfolgreich Bingo spielen kann man auf der Veranstaltung unter anderem mit den Worten »Wahrheit« und »Menschen«, »Geld« und »Zins«, »Volk« und »System«. Mehrfach fällt die Vokabel »Informationskampf«, den es zu kämpfen gilt; die sprachliche Nähe zur verschwörungstheoretischen »Infokrieger« oder Truther-Szene ist sicher kein Zufall. Reichlich musikalische Einlagen steuern der aus Österreich angereiste, selbst erklärte Truth-Rapper Kilez More mit Partnerin und der Leipziger Folk-Musiker Neo Kaliske bei. Zwischendurch fasst man sich mal an den Händen und startet ein Adressen-Wichteln, damit sich die Teilnehmenden auch außerhalb von Demo und Facebook mal kennenlernen können.
Krude geht es am offenen Mikro zu. Die »Grauen Herren« aus dem Roman »Momo« werden als Zeitdiebe heranzitiert, die dem Individuum keine Chance lassen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Die USA werden kritisiert, weil sie nach 1945 auch mit Altnazis paktierten – ohne die Befreiung durch unter anderem die US-Armee überhaupt zu erwähnen. Mit »Die Kirche ist schlimmer als das Judentum« redet sich jemand vom Antisemitismus-Etikett frei, wirft noch die Worte »Holokratie« und »Schuhmannfrequenz« in den Raum, um dann zu betonen: »Mit Politik will ich gar nichts zu tun haben!« Warum er dann auf einer politischen Veranstaltung spricht, erklärt er nicht. Damit trifft er den Gesamtcharakter der dreistündigen Veranstaltung allerdings ganz gut. Wie schon auf den Mahnwachen der vergangenen Wochen fehlt jede Idee von Politik und dem Politischen. Erneut wird eine naive wie leere Idee von Frieden beschworen, ohne präzise zu werden. Zentralafrika oder Syrien spielen zum Beispiel gar keine Rolle, vielleicht werden die Menschen dort stillschweigend mitgedacht. »Kommt zu den Montagsdemos!«, lautet also auch weiterhin der konkreteste praktische Vorschlag auf der Leipziger Kundgebung. Das ist, bei aller nachvollziehbaren Empörung, nicht viel.