anzeige
anzeige
Konzertkritik

Kollektiver Junggesellenabschied

Festivaltagebuch: Aha-Momente beim Highfield Festival

  Kollektiver Junggesellenabschied | Festivaltagebuch: Aha-Momente beim Highfield Festival

Die 90er sind wieder da. Keine der Headlinerbands des diesjährigen Highfield Festivals – ausgenommen Macklemore & Ryan Lewis – ist jünger als 15 Jahre. Die Comebacks der 90er-Jahre-Bands haben den netten Nebeneffekt, dass man sich fühlt wie auf einem Festival um die 2000er. Quasi eine Festival-Zeitmaschine. Zum absoluten 90er-Festival wird das Highfield durch seine Besucher, deren Mehrheit in eben jenem Jahrzehnt geboren ist. Eine Rückschau auf das Festivalwochenende.

 

Das Kleinste unter den Größten:

Das Highfield ist mit seinen 25.000 Besuchern ein kleineres unter den großen Rockfestivals. Trotz der Menschenmenge wirkt das Gelände selbst eher klein, fast schon intim. Ein Riesenrad sorgt in diesem Jahr für Unterhaltung am Tag und Augenkrebs bei Nacht. Bei einigen Gästen allerdings auch für Bewusstseinserweiterung dank spektakulärer Jahrmarktlichteffekte. Das Gelände ist traumhaft am Störmthaler See gelegen. Aber auch wenn Burkhard Jung höchstpersönlich den See erst kürzlich zum Baden freigab, ist die dunkelrote Farbe nicht gerade einladend. Auch das eher durchwachsene Wetter macht den Badeausflug zu einem Bangen zwischen Frieren und Schwitzen.

Der ausgefallenste Look:

Beliebte Festivalkostüme sind nach wie vor: lustige Hüte, mit kostenlos verteilten Stickern beklebte Körper und ein zunehmender Trend: das Ganzkörper-Tierkostüm. Ganz weit vorn der Tiger. Danach folgen Hunde, Bären und einige exotische Fantasietiere. Das Festival verkommt immer mehr von Woodstock, auf dem bekanntlich eher weniger getragen wurde, zum Junggesellenabschied. Sich bescheuert benehmen und dabei noch möglichst albern aussehen. Ach ja, Musik spielt auch noch!

Das Traumpaar:

Brody Dalle und Josh Homme. Wer sonst? Das Vorzeigepärchen des Rock spielte auf unterschiedlichen Bühnen. Sie in der Sonne, er im strömenden Regen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Dalle war so nett und hatte Josh noch ihre Hose geliehen, die bei ihr allerdings um einiges tighter saß. Auch Dalle reihte sich in die 90er-Comebacks ein und zauberte eine 2010er-Version Courtney Loves auf die Bühne. Allerdings ohne Busenblitzer.

Die Erkenntnis:

Fünf Sterne deluxe könnte man auf Rollatoren aus dem Altersheim holen, sie würden immer noch abliefern. Aber so was von! Ihr Auftritt wird zum Medley der größten Hits inklusive »Morgen geht die Bombe hoch« und dem Part aus »Nordish by Nature«. Die Menge will nix anderes, die Band kann nix anderes. Alle sind zufrieden. Die Sterne liefern auch gleich das Motto des Abends: viel zu viel gesoffen, viel zu viel geraucht! Viel zu viel gegessen haben Coolmann und Tobi die letzten Jahre scheinbar auch – dem Bauch nach zu urteilen. (Das Gleiche in leicht abgewandelter Form gilt übrigens für Fettes Brot, die aber immerhin um einiges produktiver in den letzten Jahren waren)

Das Chamäleon:

Was hat der Mann nicht schon alles gemacht und bewegt: Sperrspitze des politischen Hardcore in Europa, Folk, Garage Sixtierock und jetzt das: Duran-Duran-Stil, die 80er in Reinform. Auch wenn die Musik nicht viele vor die Bühne lockt, übt Dennis Lyxen immer noch eine magische Anziehungskraft aus. Ein lebender Hüpfball, der immer zwischen rhythmischer Sportgymnastik und David Copperfield tänzelt! Immer noch auf Streichholzbeinen unterwegs, verdoppelt er mal eben die Frauenquote auf den Highfield-Bühnen. Ganz der Feminist eben. Und bei aller Musik darf die Botschaft nicht fehlen: Go vegan, so sein Ratschlag. Im Hintergrund brutzeln dutzende Bratwürste (Tierkadaver) auf mobilen Grillen.

Die Entdeckung:

Royal Blood! Während Hardcore-Legende Dennis Lyxzen gerade mal ein paar Verstreute vor die Green Stage lockt, sind alle noch im Bann zweier Jungs aus Brighton. Bass und Schlagzeug! Black Keys sind nicht annähernd so schnodderig, auch nicht so verspielt und die Garage der Royal Blood-Jungs ist schmuddeliger als die der White Stripes. Live eine Wucht.

Der Aha-Moment:

Gab es so einige. Einer soll erwähnt werden: Es passiert mitten im Set der Punk-Lady Brody Dalle. Eben noch schüttelten die Mädchen mit ihren Jutebeuteln und Jungs mit den Caps alles, was sie hatten, sangen lauthals mit. Und dann inne halten. Dalle und Band spielen »Hybrid Moments« von den Misfits. Wegbereiter des Punkrock. Das Publikum schaut sich fragend um, vereinzelt tippt ein Fuß auf und ab. Unkenntnis oller Punkerbands aus Papis Plattensammlung ist für viele ein Kavaliersdelikt, was im Grund nicht schlimm ist, aber den Grundgedanken des Festivals zeigt: Hier sind Leute nicht ausschließlich Musikconnaisseure, sondern einfach geil auf Party. Trotzdem netter Versuch, Brody!

Der Macklemore:

In Rapperkreisen ist Macklemore trotz (oder gerade wegen) seiner Popularität nicht sehr hoch angesehen. Ein weißer Kasper mit mittelmäßigen Rapskills. Das Vice Magazine verbrachte eine ganze Weile damit, seine Dummheit zu beweisen. Sei´s drum, ob dumm oder nicht. Auf dem Highfield-Lineup wirkte der Name immer als eine Art Fremdkörper, der so gar nicht passen wollte zu Queens of the Stone Age, Placebo oder Fettes Brot. Aber da hat der Gast die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn Macklemore und Kumpel Ryan Lewis räumten richtig ab. Mit fetter Lichtshow beendeten sie das Festival auf beeindruckende Weise.

Die Sympathieträger:

Wenn unter dieser Kategorie nicht die Beatsteaks stehen würden, dann wäre irgendetwas verkehrt. Die Buletten brachten die Menge zum Toben und waren kurz vor dem Charts-Rapper Macklemore ein krasser Gegensatz.


Kommentieren


0 Kommentar(e)