Es geht gar nicht nur um Kamal K., der ermordet wurde, weil er anders war. Und damit eines von sieben Opfern rechter Gewalt, die in Leipzig seit 1990 getötet wurden. Kamal K.s vierter Todestag war vor allem Anlass, im Neuen Rathaus zu hinterfragen, wie weltoffen Leipzig wirklich ist.
»Ich kann versichern, Leipzig ist nicht weltoffen«, erklärt Timo Kohlmeyer von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Er sei froh, dass er aus der Stadt bald wieder wegziehen werde. Weil hier eine brennende Zigarette auf ihn geworfen, er bespuckt und beschimpft wurde. Ob an Haltestellen, auf der Straße oder im Kaufhaus. Einer seiner Studenten wurde mit Messern angefallen und die Polizisten zuckten mit den Schultern, als sie seine Hautfarbe sahen, ein Elektrofachmeister traut sich nicht, mit der Straßenbahn zu fahren, eine andere Studentin ist direkt wieder weggezogen. »Letztens habe ich gelesen, der Zeitgeist säße auf Koffern in Berlin, um nach Leipzig zu kommen«, sagt Timo Kohlmeyer, der sich daraufhin folgendes Szenario vorstellte: »Der junge Student mit seinen Jutebeutel wird direkt am Bahnhof von Nazis angebrüllt, woraufhin er bei Polizisten Hilfe sucht. Die wollen erst mal den Ausweis sehen.«
Eine »unversöhnliche« Rede hält er bei dieser Veranstaltung, die »Leipziger Rede« heißt und den Anspruch hat, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die persönlich Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung gemacht haben. So wie Burcu Arslan, ehemalige Vorsitzende des alevitischen Kulturvereins, deren Rede nicht unversöhnlich ist: Sie liebe Leipzig, habe Heimweh nach der Stadt, wenn sie in der Türkei ist. Dabei hat sie sechs Jahre im Asylbewerberheim in Grünau gewohnt. »Politik und Gesellschaft sind hier in der Verantwortung«, erklärt sie. Sie habe im Heim mit Hilfe eines Wörterbuchs angefangen, zwischen Deutschen und den Bewerbern zu vermitteln. »In vielen Familien sind die kleinen Kinder die Sprachvermittler, weil es im Heim keine gibt. Politiker, die fehlenden Integrationswillen anprangern, sollten erst mal für Integrationsmöglichkeiten sorgen.«
Zur Situation von Flüchtlingen und der aktuellen politischen Situation in Syrien erklärt Moderator Özcan Karadeniz: »Wir leben hier in einem der reichsten Länder der Erde mit etwa 82 Mio. Menschen. Und wir sind nicht in der Lage, 200.000 Flüchtlinge aufzunehmen?« Auch er, der in Deutschland als Sohn türkischer Eltern geboren wurde, erzählt, wie er schon in der zweiten Klasse geopolitische Fragen zur Türkei beantworten sollte. »Ich wurde immer schon als anders wahrgenommen.« Inzwischen arbeitet er mit Kindern, die Deutsch als Fremdsprache lernen. »Von denen kann jeder täglich von kleinen Aggressionen erzählen.« Die Gäste der Veranstaltung, von denen die meisten so aussehen, als würden sie sich als aufgeklärt und eher links verstehen, fragt er: »Mit wie vielen Menschen mit Migrationshintergrund verkehren Sie?«
Mit den Menschen reden, sie sensibilisieren, aufklären – das sind die Ziele, die auch Marcela Zuniga vom Migrantenbeirat nennt. »Sie sind ganz anders als die anderen Ausländer«, bekäme sie oft als Kompliment zu hören. Es gehe nicht nur darum, den toten Opfern zu gedenken, sondern auch denen zuzuhören, die diskriminiert werden. »Ihre Geschichten zu hören ist ein Geschenk«, sagt Karadeniz. »Ich hoffe, Sie nehmen es an.«