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Stadtleben

Einer muss Transpis machen

Ein Besuch bei den Vorbereitungen zur Nolegida-Demo

  Einer muss Transpis machen | Ein Besuch bei den Vorbereitungen zur Nolegida-Demo

Viele Leipziger Studenten nehmen nicht nur Anstoß an Legida. Sie nehmen es zum Anlass, selbst dagegen aktiv zu werden.

Donnerstag, 21:32 Uhr. Kneipe

Ein Handy klingelt, am anderen Ende der Leitung spricht Theo: »Das Ordnungsamt hat Wind bekommen. Kann sein, dass die uns morgen Cops vorbeischicken. Wenn’s schlimm kommt, werden die uns räumen.« Theo klingt, als könnte ihm die Drohung nichts anhaben. Hätte ihn schon jetzt ein Polizist am Kragen, seine Überzeugung bliebe. Aber von vorn.

Dienstag, 18:00 Uhr. Unicampus

Der kleine Raum mit der Glasfront ist jetzt wirklich voll. Es ist das erste öffentliche Treffen von »Legida? Läuft nicht«.  Die studentische Initiative möchte der rassistischen Legida-Demonstration am Montag mit friedlichen Mitteln Widerstand entgegensetzen. Zu der Verabredung, die hier und heute Maßnahmen gegen Legida Form geben soll, sind viele erschienen. Zu viele, einige drücken die Körper von außen an die Scheibe.

Drinnen hocken, kauern und stehen die Leute unbequem, aber überzeugt hier am richtigen Ort zu sein. Euphorie macht sich breit. Ein Vertreter des Fachschaftsrates Jura hebt die tiefe Stimme über das Gemunkel. Legida war »leider absehbar«, sagt er, Protest müsse »jetzt erst recht« aufkommen. Nun würden Menschen und Ideen gebraucht. »Einer muss ja Transpi’s machen«, meint er.

Die Sprecherin der Leipziger Grünen bietet kostenlose Rechtsberatung an. Vertreter vom »Netzwerk gegen Islamfeindlichkeit« sagen Unterstützung zu. Noch spät am Abend werden erste Schilder beklebt: »Euer doofes Abendland / Reicht nicht mal bis zum Tellerrand«.

Mittwoch, 17:50 Uhr. Hörsaal 3

»Was steckt hinter Legida/Pegida?« steht auf dem Programm – ein zweiter informativer Termin. »Was sie eint, ist der Hass auf das ‚Fremde’ und die Abwertung anderer«, stellt die Einladung von »Legida? Läuft nicht« vorab fest. Und wieder ziehen die Macher viel Neugier auf sich. Die ersten der schätzungsweise 800 Besucher müssen schon wieder den Heimweg antreten, von dem Vortrag, der erst in zehn Minuten beginnen soll. Hörsaal 3 ist voll. Auf den Treppen, an den Durchgängen und Türen drängen, schieben und drücken sich Zuhörer dicht an dicht.

Donnerstag, 13:05 Uhr. Café

Wer später nach den Protagonisten von »Legida? Läuft nicht« fragt, lernt eine Studentin und einen Studenten kennen. Beide sind Anfang zwanzig. Und weil sich ihr Engagement gegen Legida in Zonen bewegt, die eher grau als legal sind, heißen sie hier Martha und Theo. Sie bitten nicht nur Studenten auf ihre Protestroute. Sondern alle, die an Rassismus Anstoß nehmen und sich dem Ziel der Studenten verpflichtet fühlen: »Der Name sagt es schon«, erklärt Theo dieses, »Legida soll nicht laufen.«

Geht es nach Martha und Theo, wird die studentische Demo dabei gewaltfrei bleiben. »Keine brennenden Mülleimer, keine umgekippten Glascontainer.« Auf der anderen Seite stellen sie eine Alternative zum Sternmarsch dar. An dem nimmt auch Oberbürgermeister Jung teil. »Das ist zu weiten Teilen eine Imagekampagne«, unterscheidet Martha. »Wir finden jeden Gegenprotest unterstützenswert, wollen aber auch Gründe aufzeigen, warum Legida passieren konnte. Da spielt auch der Umgang der Stadtverwaltung mit Flüchtlingen eine Rolle.«

Um gegen Legida aktiv zu werden bieten sich Leipzigern sechs verschiedene Routen durch Waldstraßenviertel und Zentrum-West. Jede verfügt über eigene Prämissen und Forderungen. Die Seite »NO LEGIDA« bündelt und erklärt das Sortiment: »Entspannt in einer Demonstration laufen«, können Bürger mit dem Bündnis 8. Mai und dem Sternmarsch, »gegen Legida/ Pegida aufstehen« direkt am Waldplatz und dem Rassismus »noch aktiver entgegentreten« in den Aktionen von Refugees Welcome und eben den Leipziger Studenten.

Einen Dialog mit Legida hält Theo für gefährlich. Für ihn haben »Leute, die mit Gewalttätern auf die Straße gehen und Sachen vorbringen, wie dieses teils rechtsradikale Positionspapier, dieses Angebot verwirkt.« Zum Beispiel vor dem Rewe in Schönefeld. Da wollte Theo Asylgegner anhören. Irgendwann ist ihm die Lust vergangen. »Jetzt will ich diesen Leute lieber andere Lösungsansätze bieten, als auf Asylbewerber zu treten – Solidarität statt Rassismus.«

Nur warum nehmen sich diese Studenten derart in die Pflicht? »Man will ja immer irgendwas gestalten«, sagt Martha, »soziale Beziehungen oder die Welt, in der ich lebe, mit der Kraft und Energie die ich habe. Ich möchte Leuten die Möglichkeit geben, ihre Stimme zu erheben.« Und macht das nicht stumpf, sich den ganzen Tag mit Legida-Logik und rassistischer Weltordnung herumzuschlagen? »Wenn ich mich mit ihnen beschäftige, werde ich nicht stumpf. Sondern wütend«, sagt Martha, »und dieser Wut muss ich mich aussetzen, solange sie da ist.« Theo ergänzt: »Ich brauche eine Utopie, die mir Sinn stiftet.«

Am Abend dann Theos Anruf. Und es klingt für einen Moment so, als könnte seine Utopie schon im Keim erstickt werden, nur aufgrund einer Gratwanderung: Wann wird das Informieren über gewaltfreie Massenblockaden ein Aufruf zur Straftat? Und überhaupt: Wann ist eine Sitzblockade ziviler Ungehorsam, wann eine Ordnungswidrigkeit oder sogar Nötigung und damit Straftatbestand?

Freitag, 13:12 Uhr. Unicampus

Im Glaskasten, wo dienstags noch euphorisch geplant wurde, zeigen sich heute drei dunkelblaue Rücken, auf denen mit silbernen Buchstaben steht: POLIZEI. Sie unterhalten sich mit Jürgen Kasek von den Grünen Sachsen, der gerade sein Versprechen für Rechtsbeistand einlöst. Es geht um die Frage, was mit dem dritten und letzten Programmpunkt der Studenteninitiative gemeint ist: »Aktionstraining«.

Hinterher fasst Polizeioberrat Frank Gurke zusammen: »Die Versammlung ist jetzt mit Auflagen versehen, ihr steht nichts mehr im Wege.« Nach Gurke dürften die Veranstalter heute »nur rechtskonforme Arten des Protestes kommunizieren«, er findet »Aufklärung wichtig und gut«. Das Aktionstraining kann stattfinden. Theo ist vor Ort, wirkt gelöst. Er muss gleich ans Pult und versichert, dort nicht zur Sitzblockade aber zur Selbstbestimmung aufzurufen. Das »Aktionstraining« soll über den rechtlichen Rahmen von Sitzblockaden aufklären.

Freitag, 14:02 Uhr. Hörsaal 2

Eine knappe Stunde später steht Theo mit einem anderen Referenten vor der Tafel ganz unten im Hörsaal. Es ist so still wie fast nie hier, die Zuhörer lauschen einer Geschichte der Sitzblockaden. Von Gorleben bis Heiligendamm. Dann ist der gut gefüllte Saal gefragt, das optimale Demo-Kit zu katalogisieren. »Wasser«, sagt eine. »Einen Apfel, eine Sitzunterlage.« Auf keinen Fall: Messer, Vermummung, Drogen.

Dann zeigt Theo noch »das Paket« und greift mit den Händen unter den Kniekehlen durch (»So signalisiert ihr der Polizei, dass sie euch wegtragen können«) oder den »nassen Sack« und lässt alles locker (»Da brauchen die schon mal vier Beamte, um euch zu transportieren«). Die Vortragenden formulieren ganz allgemein und unverfänglich. »Deeskalativ« ist wahrscheinlich das meist genannte Wort des Nachmittags.

Anfangs posiert ein Teil der Studenten noch für den MDR. Im Schneidersitz und mit verschränkten Armen besetzen die Studenten probeweise ihren Uniflur. »Heute war ihre Blockade nur eine Übung«, wird der Fernsehbeitrag später ankündigen. »Montag wollen sie das Gelernte dann anwenden.«


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