Weil sie bei einer Presskonferenz zur Blockade von Legida aufgerufen haben sollen, verfolgt die Leipziger Staatsanwaltschaft nun die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) und die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Grüne). Anwälte halten die Vorwürfe rechtlich für haltlos, dennoch geht das Verfahren an den Betroffenen nicht spurlos vorüber.
»Wir haben die Hoffnung, dass wir viele Menschen auf die Straße bringen, die friedlich dazu beitragen, dass Legida nicht laufen kann« – weil mehrere Medien die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Bündnis90/ Die Grünen) mit diesem Satz am 20. Januar zitieren, hat die Politikerin nun die Leipziger Staatsanwaltschaft am Hals. Lazar soll mit ihrer Aussage bei der Pressekonferenz von »Leipzig nimmt Platz« am 19. Januar nach Ansicht der Strafverfolger zur Blockade von Legida und damit zu einer Straftat gemäß §111, Strafgesetzbuch, aufgefordert haben. In einem Brief vom 2. Februar teilt die Behörde der Politikerin mit, man prüfe, ob man Ermittlungen gegen sie aufnehme.
Weiter vorangeschritten sind die Staatsanwälte offenbar bei der Leipziger Stadträtin und Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke). Gegen sie wird schon ermittelt. Beim Dresdner Parlament wurde die Aufhebung von Nagels Immunität beantragt. Beide Vorgänge wurden am Donnerstagabend durch einen Bericht des Mitteldeutschen Rundfunks bekannt. Gegenüber den Medien wollen die Strafverfolger das aber nicht bestätigen. »Wir sagen nichts zu eventuellen Verfahren gegen Abgeordnete», sagt Oberstaatsanwalt Ralf-Uwe Korth auf kreuzer-Anfrage.
Anwälte siegessicher
Dass linke Gegner von rechten Aufmärschen in Sachsen mit Verfahren überzogen werden, ist inzwischen ein leidig alltäglicher Vorgang. Nach der verhinderten Nazidemonstration am 19. Februar 2011 in Dresden sahen sich mehrere Aktivisten und prominente Unterstützer jahrelangen Schikanen der sächsischen Justiz ausgesetzt. Auch wenn Gerichtsprozesse wie gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König letztlich sang- und klanglos eingestellt wurden, haben sich die Strafverfolger dennoch nicht von ihrer eigenen Erfolglosigkeit stoppen lassen. Dass nun sogar der pure Aufruf zum Blockade einer Demonstration bereits eine Straftat darstellen soll, ist aber eine neue Qualität.
Klaus Bartl, der Anwalt von Juliane Nagel, gibt sich am Freitag siegessicher. »Es ist gut, dass das nun endlich mal ausgefochten wird.« Die Rechtsgrundlage, auf der die Vorwürfe der Staatsanwälte fußen, sei mindestens wackelig. Zunächst sei nicht klar, ob der Aufruf zur Teilnahme an einer Sitzblockade überhaupt unter §111 falle. »Dieser Paragraph hat jahrelang ein Schattendasein gefristet. Eingeführt wurde er mal, um den Aufruf zu schweren Verbrechen, etwa terroristischer Gewaltdelikte, unter Strafe zu stellen«, erklärt er. Ob nun auch der Aufruf zu einfachen Verstöße gegen das Versammlungsgesetz darunter fallen können, müsse erst einmal geklärt werden.
Problematisch für die Strafverfolger sei zweitens, dass am 21. Januar gar keine Blockaden stattgefunden hätten. Nicht einmal lägen konkrete Hinweise vor, dass an diesem Tag zu einer bestimmten Uhrzeit an einer bestimmten Stelle eine Blockade erfolgen sollte. So aber sei ein möglicher Aufruf viel zu unkonkret, sagt Bartl. Und drittens sei juristisch nicht einmal geklärt, ob friedliche Blockaden überhaupt eine grobe Störung entsprechend §22 des sächsischen Versammlungsgesetzes darstellten.
Ist eine Sitzblockade überhaupt strafbar?
Was das rechtliche Wesen einer Sitzblockade ist, versucht derzeit der Anwalt André Schollbach beim Bundesverfassungsgericht herauszufinden. Dort vertritt er den Landtagsabgeordneten Falk Neubert (Linke) in einer Verfassungsbeschwerde. Das Dresdner Amtsgericht hatte Neubert für schuldig befunden, einer Versammlung gestört zu haben, als er 2011 in Dresden an einer Sitzblockade teilnahm. »Das Gericht hat sich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt ob friedliche Sitzblockaden den Tatbestand der Nötigung erfüllen. Das Urteil lautete damals: Nein, denn sie sind selbst vom Recht auf Versammlungsfreiheit gedeckt«, sagt Schollbach. Seitdem aber wichen die sächsischen Strafverfolgungsbehörden aus, verfolgten die Beteiligte nun wegen grober Störung einer Versammlung. »Nach unserer Auffassung sind aber sowohl stehende als auch sitzende Gegendemonstrationen vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckt. Es stehen sich bei einer Demonstration und einer Gegendemonstration also zwei gleichrangige Grundrechtspositionen gegenüber.« Der Artikel acht des Grundgesetzes begründe schließlich nicht das Recht, ohne kritische Gegenversammlungen demonstrieren zu dürfen. Gibt das Bundesverfassungsgericht Schollbach und seinem Mandanten Recht, sind auch die (Vor-)Ermittlungen gegen die Politikerinnen Nagel und Lazar gegenstandslos.
Für die Betroffenen ist der ganze Vorgang dennoch enervierend. Juliane Nagel fühlt sich durch die Ermittlungen nervlich angegriffen. Das Verfahren kann sich jahrelang hinziehen, wie etwa das Beispiel Bodo Ramelows zeigt. Monika Lazar fragt sich: »Haben die Strafverfolger nichts besseres zu tun?« Als Bundestagsabgeordnete habe sie auch schon so mehr als genug Arbeit. »Jetzt muss ich mich auch mit der Staatsanwaltschaft befassen, Unterstützung organisieren, die Pressearbeit vorbereiten und ähnliches«, ärgert sich die Politikerin. Ermutigend sei allerdings die Solidarität vieler Leute, die den beiden Betroffenen ihre Unterstützung zugesichert hätten, findet die Grüne.
Nach der offenkundigen Logik der Leipziger Strafverfolger müssten eigentlich alle 2000 Unterzeichner der »Leipziger Erklärung 2015« von Leipzig nimmt Platz verfolgt werden. In dem Papier ist mehrfach die Rede von der Absicht, die Aufmärsche von Legida verhindern zu wollen. Oberstaatsanwalt Korth schweigt allerdings auch zur Frage, ob weitere Ermittlungen eingeleitet werden. »Zu künftigen Verfahren kann ich nichts sagen«, sagt er auf kreuzer-Anfrage.