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Stadtleben

Dezentral ist besser

Immobilienunternehmen debattieren über die Unterbringung von Geflüchteten

  Dezentral ist besser | Immobilienunternehmen debattieren über die Unterbringung von Geflüchteten

Kaum jemand bestreitet noch, dass alle Beteiligten besser dran sind, wenn Geflüchtete in einzelnen Wohnungen, statt in Massenunterkünften leben. Während des Immobilienkongresses »Real Estate Mitteldeutschland« in Leipzig wird allerdings deutlich: Bei der praktischen Umsetzung gibt es ungeahnte Fallstricke.

Es ist ein sonniger Tag, als sich die Immobilienbranche der Region im Congresszentrum auf der Neuen Messe versammelt. Damen und Herren in feinem Zwirn füllen die Stuhlreihen eines Fachforums, dass mit »Flüchtlingsunterbringung: Notstand oder Chance« überschrieben ist. Der Titel lässt Schlimmes ahnen, aber das täuscht. Wer raffigierige Miethaie erwartet hat, die erfahren wollen, wie sich mit der Einquartierung von Asylsuchenden schnelles Geld verdienen lässt, wird rasch eines Besseren belehrt. Praktische Erfahrungen der anwesenden Unternehmen zeigen: Wohnungen für Geflüchtete bereitzustellen ist weder einfach noch geht es schnell. Und das nicht wegen der Nachbarn oder der Geflüchteten.

Erster Block: Auf dem Podium stehen die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) und Michael Köppl, Referatsleiter Städtebau und EU-Förderung im CDU-geführten Dresdner Innenministerium. Köpping verspricht, Kommunen künftig früher davon zu informieren, wenn sie Asylsuchende aufnehmen müssen und erläutert neue Fördermittelrichtlinien, durch die Städte und Gemeinden nicht nur Mittel für die Einrichtung von Unterkünften bekommen, sondern auch Geld für Integration. Davon sollen Geflüchtete und Einheimische gleichermaßen profitieren. Referatsleiter Köppl ergänzt: In Sachsen würden annähernd 200.000 Wohnungen leer stehen. Die neuen städtebaulichen Mittel für die Unterbringung böten nun die Möglichkeit, ungenutzten Wohnraum wieder herzurichten. Dezentrales Flüchtlingswohnen statt Abriss von Lehrständen, wirbt der Beamte. Alles schön und gut. Nur so einfach ist es nicht, wie dann ein Vertreter einer kommunalen Wohnungsgesellschaft aus Thüringen erklärt.

Versicherer scheuen das Brandrisiko

Volker Striezel, zugleich Mitarbeiter der Landkreisverwaltung im Kyffhäuserkreis, schildert eine Erfahrung, die anschließend bei den Kongressteilnehmern noch ordentlich die Runde machen wird. Der Kreis besitzt ein altes Lehrlingswohnheim, in dem etwa 50 Menschen wohnen können. Die jungen Leute sind eben erst ausgezogen, es ist also noch in gutem Zustand und kann praktisch sofort als Unterkunft genutzt werden. Als der Kreis das Vorhaben angehen möchte, fangen die Probleme an. »Wir haben unserer Gebäudeversicherung erklärt, wer da künftig wohnen soll. Die sind fast durchgedreht«, erzählt Striezel. Grund: Die Versicherer rechnen damit, dass das Risiko von Bränden in Flüchtlingsheimen extrem hoch ist. Denn leider kommt es nicht so selten vor, dass Nazis solche Häuser anzünden. Auch Streits unter Geflüchteten haben schon manches Feuer in Gang gesetzt. Beides macht die finanzielle Absicherung des Hauses zu einem riskanten Geschäft. »Die Versicherung hat daraufhin die Kosten für die Police sage und schreibe um das 52-fache erhöht«, sagt Striezel. Der Landkreis blieb auf der Forderung sitzen.

Der Fall ist zwar extrem, aber kein Einzelbeispiel, wie andere Wohnungsunternehmen aus Sachsen berichten. In Zschopau wurde auf einmal die dreifache Höhe des üblichen Versicherungspreises fällig, auch in Bad Schlema sollten die Eigentümer für die Police ein Vielfaches bezahlen. Dort senkte der Anbieter, ein international bekannter deutscher Versicherungskonzern, den Preis erst, als ein günstigeres Angebot der Konkurrenz auf dem Tisch lag. Ein solches zu finden, kann aber recht schwierig sein, erklärt Bernd von Bieler, Versicherungsmakler aus Leipzig. »Es gibt momentan kaum Anbieter, die Risiken wie eine Flüchtlingsunterkunft versichern wollen.« Für die Finanzunternehmen rangierten die Heime, was die Risiken angehen, auf einer Stufe mit holzverarbeitender Industrie, Recyclingunternehmen, Diskotheken oder Bordellen.

Nun ist ein altes Lehrlingsheim eigentlich keine Form der dezentralen Unterbringung, wie es eine Wohnung in einem normalen Mietshaus wäre. Dort entsteht das Versicherungsproblem in der Regel nicht, denn die Belegung einer Wohnung mit Flüchtlingen ist keine Nutzungsänderung, von der eine Versicherung informiert werden müsste. Zum Problem werden dagegen Heime, in denen aber viele Menschen ohne Beschäftigung aufeinander hocken, speziell wenn dort Gruppen zusammen leben müssen, die wie syrische Sunniten und Schiiten im Bürgerkrieg einander verfeindet gegenüberstanden.

Doch oft können kleine Städte mit 5.000 bis 10.000 Einwohnern ein dezentrales Unterbringungskonzept nicht in kurzer Zeit auf die Beine stellen. Integrationsministerin Köpping rät dann auch: »Wenn die eine, bislang komplett freie und ungenutzte Immobilie am Ort gewählt wird, entstehen immer die größten Schwierigkeiten. Alle Kommunen sollten sich daher konzeptionell vorbereiten, denn die Welle ankommender Flüchtlinge wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im kommenden Jahr weitergehen.« Köpping will dennoch Gespräche mit Versicherern führen, viel mehr möchte sie an diesem Tag nicht anbieten. Das sorgt bei den anwesenden Bürgermeistern und Vertretern kommunaler Wohnungsunternehmen nicht gerade für Begeisterung. Beim Gespräch am Rande drückt einer das Gefühl aus, man werde immer noch allein gelassen mit Problemen, die von oben auf die Gemeinden abgewälzt würden.

Positives aus Dresden

Es werden an diesem Tag aber nicht nur Probleme berichtet. Dirk Schmitt, Leiter der Kommunikation des Immobilienriesen Gagfah, schildert gute Erfahrungen mit der Unterbringung von Geflüchteten in Dresden. Das Unternehmen verwaltet bundesweit 350.000 Wohnungen, davon 37.000 in der Landeshauptstadt, die meisten in Großwohnsiedlungen wie Gorbitz. In Zusammenarbeit mit der Stadt habe man erfolgreich 1.000 Flüchtlinge untergebracht. »Wir haben maximal eine Wohnung pro Treppenaufgang an Asylsuchende vermietet, damit keine Ballung entsteht«, erzählt Schmitt. Wirtschaftliche Gründe habe das Engagement nicht gehabt. »In Dresden ist die Nachfrage nach Wohnungen so hoch, die hätten wir auch jederzeit so vermieten können.«

Wahrgenommen wurde dieser Erfolg in den Medien bislang kaum, weil dort in den vergangenen Monaten Pegida das Bild der Stadt bestimmte. »Die Pegidisten sind in Dresden aber nur eine Minderheit und das merken wir im Umfeld von unseren Wohnungen deutlich«, sagt Schmitt. Die Zivilgesellschaft bemühe sich, die Geflüchteten zu integrieren. »Ein Mieter hat gemeinsam einen Garten mit Flüchtlingen angelegt, ein anderer macht Fußballtraining mit den Kindern. Eine alte Dame führt die Leute durch die Stadt.«

Auch das Unternehmen lernt im Prozess dazu und hat etwa eine Hausordnung mit Piktogrammen entwickelt, so dass die verbindlichen Regeln auch für diejenigen verständlich werden, die kein Deutsch lesen können. Der überraschende Effekt: Die Pläne mit den Bildern gefielen auch den einheimischen Mietern. »Von barrierearmer Kommunikation profitieren alle«, meint Schmitt.

In der Landeshauptstadt gibt es inzwischen auch ein funktionierendes Unterstützernetzwerk für Integration. Der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hat ein Projekt namens »Ankunft – Zukunft gestartet«, das unter anderem Freizeit- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Geflüchtete organisiert hat.

Was spricht für eine Bürgerversammlung? Nichts.

Die Frage: »Wir sage ich es meinem Mieter?« haben sich die Veranstalter für den Schluss aufgehoben. Jürgen Scheible, Geschäftsführer der städtischen Wohnungsgesellschaft Pirna bringt es pointiert auf den Punkt. »Warum sollte man eine Bürgerversammlung einberufen, wenn Flüchtlinge kommen? Macht man das, wenn Studenten in eine Wohnung einziehen? Nein.« Erstens sei das Mittel der Bürgerversammlung scheintransparent und scheindemokratisch. Alle relevanten Entscheidungen sind dann meist längst gefällt. Außerdem zeigt die Erfahrung: Versammlungen dienen lediglich Pegidisten oder anderen Rechtsextremen als Bühne, sich zu produzieren.

In Pirna gibt es durch das Erbe der Wismut einen großen Wohnungsbestand. Elf Prozent der Flächen von Scheibles Unternehmen stehen leer, es ist also jede Menge Platz für Geflüchtete in der Nähe einer Großstadt. Die unmittelbar betroffenen Nachbarn bezieht Scheible eher bei kleinen Treffen ein. Welche Beschwerden da kommen, wenn Flüchtlinge einziehen? »Es gibt manchmal Vorwürfe wie: Die sind zu laut, besonders nachts. Im Treppenhaus ist es dreckig. Oder: Die Mülltrennung klappt nicht. Das alles sind Probleme, wie sie Mieter egal woher seit ewigen Zeiten sowieso schon miteinander haben.« Zwar gebe es auch Ängste und Vorurteile. Aber denen ließe sich im Einzelgespräch oft wesentlich besser begegnen, als in der großen Runde.

Natürlich läuft nicht immer alles glatt. Aus Dresden berichtet Dirk Schmitt von mancher Flüchtlingswohnung, in die mehrere junge Männer einquartiert worden sind, die nun zu laut feierten oder jeden Tag ein anderes Fahrrad anschleppten. Doch das sei eine kleine Minderheit. Leider präge die oft den Eindruck von Geflüchteten, denn die syrische Familie, die sich vorbildlich einfüge, nehme niemand wahr, weil eben alles funktioniere.

Bei der überwiegenden Mehrheit der teilnehmenden Kommunalvertreter und Wohnungsmenschen scheint allerdings eine Menge guter Wille vorhanden zu sein, den Asylsuchenden vor Ort eine gute und angenehme Zuflucht zu bieten. Die positiven Beispiele zeigen: Willkommenskultur kann funktionieren.


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