Ein knapper Post bei Facebook, dann war Schluss. »Das Schlechte Versteck ist aufgrund von Gentrifizierung geschlossen!«, stand da. So hart, so unerklärlich kann einen die Realität manchmal treffen. Mit dem Schlechten Versteck schließt Schleußigs letzte echte Kneipe. In der Kommentarspalte unter der Bekanntgabe türmte sich gleich der zynische Hass von Stammgästen zusammen: »Hier darf nichts außer Muttermilch und Bionade fließen.« Die Barbetreiber wollen es derweil bei dem Statement belassen. Sie standen für keine weiteren Angaben zur Verfügung. Deshalb verabschieden wir uns vorerst mit einem literarischen Rückblick vom Versteck.
Auf ein schnelles Bier im Sommer, im Sommer ist alles möglich, im Sommer stehen die Bänke draußen, zumindest für die ersten Stunden stehen sie da. Sogar in Schleußig, bis der Lärm- dem Alkoholpegel Konkurrenz macht, bis die Nachbarn genug haben, bis der Spaß vorbei ist und es drinnen weitergeht.
Die Tür schwingt auf, der Flaschenzug senkt einen Eimer auf zwei, die in der Ecke sitzen, rauchen. Beim Gestikulieren heben und senken sich ihre Hände wie die der Marionettenspieler und an den langen Fäden hängen Pfeffi, Vodka und Haake Beck, an den Fäden hängen Zigaretten und zucken nervös in ihrer Umlaufbahn über dem Tisch.
Wir grüßen Hank Chenaski.
Hallo Hank!
Hallo Jungs!
An Hank müssen alle vorbei.
Wir trinken einen Schnaps für Hank, denn Hank hängt an der Wand, überlebensgroß und blickt auf uns runter.
Scheißenochmal Hank, wie konnte das nur passieren, dass wir schon wieder hier an deinem Tisch gelandet sind?
Hank sagt nichts. Eine Zigarette hängt schief aus seinem Mund, in den Augen spiegelt sich ein Sixpack Bier, aber wir holen das jetzt auf, versprochen Hank.
An der Bar haben sie schon guten Vorsprung, liegen sich bald in den Armen und verknoten ihr Gespräch mit einem doppelten Palstek. Den bekommen sie morgen nicht mehr auseinander, das wird dauern.
Im Nebenzimmer stecken sie die Köpfe zusammen, einer spielt mit dem Wachs einer Kerze, eine Rauchwolke hat sich wie ein weiches Kissen an die Decke geschmiegt. Der Weg zur Bar ist kurz, der Weg zum Glück ist es auch, vielleicht finden wir ihn heute Nacht, vielleicht zwischen den Büchern im Regal, die vom Zigarettenrauch schon dunkelgelb angelaufen sind.
Und Hank ruft uns zu, dass es Glück am Ende doch für niemanden gibt und wir lieber noch eine Runde bestellen sollen, bevor es zu spät ist. Und das tun wir. Heute liegt das Glück in den kleinen Bläschen, die aus dem Bier aufsteigen und zwischen den Gesprächen verfolge ich ihre Spur aus dem Glas, an die Oberfläche und in die Luft.
Ich stolpere aufs Klo, ich lese die Sprüche an der Wand. Jemand fragt, was es eigentlich mit diesem »Berlin” auf sich hat und ich stimme ihm zu, was ist eigentlich dieses Berlin? Das hier ist jedenfalls das Schlechte Versteck und vor der Klotür, wo man die Entscheidung treffen muss, ob man Mann oder Frau ist, hat jemand ein kleines Loch in der Wand zum Guten Versteck erklärt.
Über eine Stufe kommt man wieder zurück zur Bar, stolpert zurück zu Hank und Hank lacht laut auf, aber niemand hört ihn außer mir. Ich denke an Hank, an die Gedichte, die ich zuerst gelesen habe, The Laughing Heart, das lachende Herz. Das Gedicht, das ich mal in einem Trailer zwischen den Redwoods in British Columbia auf einem Poster gesehen habe.
there is light somewhere. it may not be much light but it beats the darkness.
Auch wenn unsere Suche nach dem Glück heute Abend auf dem schiefen Bürgersteig der Könneritzstraße endet, wissen wir zumindest, dass es noch genug Chancen geben wird, um darauf zu stoßen.
your life is your life. know it while you have it.
Es ist ein Dienstagabend im Sommer 2013 und alle, die sich heute hier an der Bar versteckt haben, hoffen, dass sie doch noch auf das Glück stoßen, vielleicht heute, vielleicht morgen, aber irgendwann bestimmt.
Der Gedanke, dass das Schlechte Versteck irgendwann von der Bildfläche verschwinden könnte, dass Hank nach Hause geschickt würde und die Weisheiten des Klos eines Tages unter kaltem Weiß verschwinden könnten, diesen Gedanken hat heute niemand.