Notunterkunft in der Südvorstadt und im Leipziger Südosten: Ab September sollen in leerstehenden Schulgebäuden in der Tarostraße und in der Scharnhorststraße je 150 bis 200 Geflüchtete unterkommen. Bei der gestrigen Infoveranstaltung im Südosten äußerten sich einige Redner trotz des positiven Tenors asylfeindlich. In der Südvorstadt am Dienstag wurde die Stadt stark kritisiert - Teilnehmer forderten sie auf, mehr für Geflüchtete zu tun.
Der Leipziger Sozialbürgermeister Thomas Fabian will gerade erklären, dass aufgrund der steigenden Anzahl von Geflüchteten im Sommer eventuell auch Turnhallen als Notunterkunft herhalten müssen. Er ist mitten im Satz, da gibt es den ersten Zwischenruf: »Dann lasst sie nicht rein (nach Deutschland, Anm. d. Red)!« Da ist noch nicht klar, wie die Veranstaltung mit den rund 300 Teilnehmern im Südosten verlaufen wird.
»Ich wünsche mir, dass alles dafür getan werde, dass Geflüchtete in Leipzig gut ankommen können«, gibt Fabian zurück und erntete dafür kräftigen Applaus. Als Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst wenig später Details zur Notunterkunft in der Tarostraße 6 erklärt, gibt es jedoch wieder Zwischenrufe.
Frau verlässt empört den Saal
»Wir sollten nich jeden auf Teufel komm raus hier reinlassen«, poltert eine Frau bei der anschließenden Fragerunde los. »Viele kommen aus Ländern, wo es gar keine Kriege mehr gibt. Nur 20 Prozent haben eine Berechtigung hier zu bleiben.« Ausreden darf sie nicht; das Publikum kommentiert mit Buh-Rufen. Sozialamtsleiterin Kador-Probst pariert: »Die Zahl ist schlichtweg falsch.« Es gebe mehrere Gründe, die zum Aufenthalt in Deutschland berechtigen würden. Und sie erinnert an die Zeit, als auch Deutsche einmal Flüchtlinge waren. Die Antwort gefällt der Kommentatorin und einigen ihrer Sitznachbarn anscheinend nicht, empört verlassen sie den Saal.
Dabei ist die Grundstimmung in der Tarostraße trotz asylfeindlicher Äußerungen doch positiv: Anwohner und Eltern wirken engagiert, fragen, wie sie helfen und was sie gegen Vorurteile und Rassismus tun können. Noch während der Veranstaltung erklären zwei Teilnehmer, dass sie Paten des Patenschaftsprogramms »Ankommen in Leipzig« werden wollen, um Geflüchteten etwa bei der Wohnungssuche und -besichtigung und beim Deutsch lernen zu helfen. Wieder kräftiger Applaus.
Kritik in der Südvorstadt: Stadt tut zu wenig für Flüchtlinge
In beiden Unterkünften wird je ein Sozialarbeiter 50 Personen in der Unterkunft betreuen – in der Tarostraße 6 werden es drei für 150 Geflüchtete, in der Scharnhorststraße 24 vier Sozialarbeiter für 200 sein, die sich um die Geflüchteten kümmern. Geflüchtete werden sich in beiden Unterkünften mit einem Zaun als Abgrenzung zur Schule und mit dem im Winter wohl unangenehmen Weg zu Duschcontainern im Hof arrangieren müssen. Nur die notwendigsten Malerarbeiten könnten bis zur Inbetriebnahme in beiden Unterkünften erledigt werden, so die Sozialsamtsleiterin Martina Kador-Probst.
Die Infoveranstaltung am Dienstag in der Südvorstadt in der Scharnhorststraße 24 besuchten etwa 350 Menschen. Damit war der Saal der Schule brechend voll. Mehrere Redner kritisierten die Stadt für die nicht ausreichende Betreuung durch Sozialarbeiter und die Unterbringung in einer Massenunterkunft anstatt einer dezentralen Unterbringung. Dass es die Stadt nicht schaffe, die Unterkunft ordentlich zu streichen, sei unmöglich, sagte ein Redner.
»Deutsche Eltern schüren bei ihren Kindern Vorurteile gegenüber Flüchtlingen«
Bei all der positiven Grundstimmung und der Forderung nach mehr Engagement der Stadt gegenüber Geflüchteten, gab es auch in der Südvorstadt eine sorgenvolle Wortmeldung: »Bei 350 Flüchtlingen wird es Konflikte geben«, so eine Rednerin. Flüchtlingskinder würden den »deutschen Kindern den Reichtum neiden«. Und fragte, ob der Wachdienst überhaupt Tag und Nacht dort sein würde, um auf die Flüchtlinge aufzupassen. »Bis zu 200 Menschen kommen«, berichtigte die Sozialamtsleiterin Kador-Probst die »besorgte« Frau. Die meisten, die hierher kommen würden, seien friedlich, so Kador-Probst. »Es sind eher die deutschen Kinder, die sich (gegenüber Geflüchteten, Anm. d. Red.) abgrenzen. Und deutsche Eltern schüren bei ihren Kindern Vorurteile gegenüber Flüchtlingen«, entgegnete eine Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache wenig später.
European Homecare wird Notunterkünfte betreiben
Betrieben werden sollen beide Notunterkünfte von der Essener Firma European Homecare. Die Firma betreibt bundesweit – und auch in Sachsen – Unterkünfte für Geflüchtete. In Leipzig war die Firma bereits in den Unterkünften in der Pittlerstraße 5/7 und der Zschortauer Straße 44 als Dienstleister tätig. Sie betrieb die vorübergehende Unterbringung in der Löbauer Straße für vier Monate bis zum Frühjahr 2014.
Die Firma war vergangenes Jahr im Herbst in die Schlagzeilen geraten: Geflüchtete wurden in einer von der Firma betriebenen Unterkunft im nordrhein-westfälischen Burbach von Sicherheitsleuten misshandelt. Laut Recherchen des WDR soll die Heimleitung von den Missbrauchsfällen gewusst haben. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Siegen wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Korperverletzung gegen ingesamt 50 Beschuldigte – darunter Sicherheitspersonal, aber auch Sozialbetreuer, der ehemalige Heimleiter sowie der Geschäftsführer der Firma – dauern noch an.