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Kultur

Huch, ein Galgenstrick!

Festivaltagebuch mit Griff ins Klo: Das Party.San Open Air hat fast alles richtig gemacht

  Huch, ein Galgenstrick! | Festivaltagebuch mit Griff ins Klo: Das Party.San Open Air hat fast alles richtig gemacht

»Riffs und lange Haare«: Wenn das »Thüringenjournal« ein Metal-Festival ankündigt, kann man wohl im nächsten Jahr Hinz und Kunz auf dem Party.San Open Air erwarten. Besonders unter so einer Überschrift. Gitarrenriffs sind seit den ersten Tagen des Jazz im Einsatz und hat nicht schon die langhaarige Nicole für ein bisschen Frieden saitengedudelt (Musiktheoretiker mögen sich melden, ob sie Riffs nutzte)? Aber wenn der MDR aus der Nischenkultur berichtet, ist es mit ihr oft auch nicht mehr weit her.

Ums Party.San (PSOA) muss einem aber nicht bange sein, es schoss am ersten Augustwochenende mit kein bisschen Frieden aus allen Rohren. Und selbst wenn jemand nur der Party wegen aufs Festival im nördlichen Thüringer Winkel fahren würde, wäre ihm wenig gedient. Hier dreht sich alles allein um die Musik und die muss man dolle mögen. Denn das PSOA hat sich dem verschrieben, was grob und unpräzise Extrem-Metal genannt wird – die Fahrwasser und Klippen der Extremismustheorie lassen grüßen. Mittlerweile scheint sich auch die lokale Bevölkerung von Schlotheim (in der Nähe von Mühlhausen) an die Damen und Herren in vorzugsweise Schwarz und eines der wichtigsten Szenefestivals gewöhnt zu haben. Jedenfalls mehr als an die dort untergebrachten Flüchtlinge, wie eine »autochthone« Freundin nach Lektüre der Lokalzeitung feststellen musste. Ob das jetzt ein gutes Zeichen ist?

Die Veranstalter haben auch dieses Mal wieder so ziemlich alles richtig gemacht und auf die Hauptbühne wie ins Zelt auf die »Underground Stage« etliche formidable Bands geholt. Gut, der Grindfaktor war kleiner als in den vergangenen Jahren, aber die Schwerpunkte schwanken eben jedes Jahr etwas zwischen den Genres. Unglücklich erwies sich die Samstagnacht in ihrer Zusammenstellung. Nachdem Mayhem – s.u. – das so ziemlich Abgekackteste des Abgekackten hingehauft haben, wirkten die musikalisch superben, aber Geschmackssache bleibenden My Dying Bride als krasser Doom-Downer. Nach einer Stunde tempoloser Wucht – ich glaub ja, dass die Band bekifft wirklich toll ist – hätte ich jedenfalls an die spätnächtliche Ausgelassenheit des ganzen Party-Rests zur Metal-Disse nicht mehr geglaubt. Aber dem standen ja noch Samael im Weg. Mit schicker Lichtshow und punktgenau choreografiert fielen sie dennoch als Enttäuschung aus. Sie spielten als Spezial-Show ihr komplettes, 21 Jahre altes Album »Ceremony of Opposites« und danach noch einige aktuelle Zugaben. Was kam, war Bombast auf Kitsch. Die Drums liefen aus der Konserve, was der Drum-PC-Bediener durch albernen Aktionismus konterkarierte. Und da rege sich einer noch über die getriggerten Trommeln bei Kataklysm auf, die immerhin heuer als die Menge antreibende Live-Band punkteten. Bei den Samael-Gitarren bin ich nicht sicher – zwischendurch wurde mitten in einem Song das Gitarrenkabel vom Sänger ausgewechselt, während er spielte, und es war akustisch nicht zu bemerken –, aber auch sie klangen zumindest arg synthetisch. Samael lieferten so irgendwas zwischen Crossover und Gothic-Rock ab, das als Headliner auf nem Metal-Festival Fragezeichen hinterlässt. Und nein, dieser Griff ins Klo hat nichts mit »Trueness« und solchem Quatsch zu tun.

Was soll man über Mayhem sagen, ist doch jedes über diesen miesen Auftritt in Ton und Bild verlorene Wort zu viel. Eigentlich kann man froh sein, dass dieser Mummenschanz mit Publikumsbeschimpfung nach 30 Minuten vorbei war. Als Theaterkritiker vielleicht nur eins: Es reicht nicht, Objekte – huch, ein Galgenstrick – aus der Trickkiste zu ziehen und vors Publikum zu halten. Man muss mit dem Material auch spielen, das ist ja die dramatische Kunst. Also auch in punkto Objekttheater hat Mayhem total verrissen. Es heißt, bei der Metal-Disco seien dem Sänger einige Getränkemarken von einem wütenden Fan stibitzt worden. Ob’s zutrifft, kann ich nicht bestätigen, verdient hätte er es.

Nachdem nun gerade das wenige Negative derart nach jüngst attestiertem kreuzer-Stil ausgewalzt wurde, kommen wir zu meinen Höhepunkten. Gut, die Akustik hätte besser sein können, aber Primordial überzeugten erneut mit intensivem Live-Erlebnis. Trotzige Melancholie, Tempowechsel und kein Verharren, sondern vielfältiges Ausbrechen aus dem epischen Schwelgen schufen pure Unmittelbarkeit. Gegen deren Sogwirkung konnten die danach zum Donnerstagabschluss auftretenden Behemoth mit ihrem viel zu artifiziell klingendem Sound und Stage-Rumgestelze nur abstinken. Nachdem Cliteater besonders durch rotierende Fan-Aktion im Circle-Pit energetisch den Freitag eröffneten, erfreuten mich einmal mehr Deserted Fear mit ihrem enthusiastischen Death-Vortrag im Old-School-Gewand, aus dem dennoch Eigenständigkeit herauszuhören ist. Auch danach gestaltete sich der Samstag ziemlich positiv anstrengend, weil mich bis auf die Mitklatsch-Metaller von Ensiferum jede Band auf ihre Weise überzeugen konnte. Selbst die heutzutage eher lahm daherkommenden Routiniers von Cannibal Corpse schienen an diesem Tag jedenfalls mehr Bock aufs Spielen zu haben als sonst. Leider verpasste ich aufgrund anhaltender Hitzeanwandlungen die hernach von vielen gelobten Hellish Crossfire und Nocturnal Witch im Zelt – sie spielen zum Glück im September in Leipzig bei den Metalheadz. Unterm Zeltdach kam ich am Samstag dann dafür auf meine größten Kosten. Gut, auf der Hauptbühne verzauberten Winterfylleth mit Schlagzeuggeballer zwischen melodiös-mäandernden Black-Metal-Klängen, Krisun und Toxic Holocaust gaben mit gnadenlosem Drängen nach vorn hübsch auf die Fresse. Aber Deathrite trumpften mit Death in schweißtemperierter Club-Atmosphäre hübsch brutal auf und Mantar zeigten sich als die Live-Band des Tages. Allein mit Drums, Gitarre und Gesang legte das Duo ein dichtes Paket aus Doom und Crust-Punk auf, das durch seine Vielseitigkeit imponierte. Massiver Druckaufbau und Entlastungsschreie, ein Melodiefragment hier, Trommelfeuer dort: Brachiale Tonkunst vom Feinsten. Kein bisschen Frieden – und kurze Haare hatten die auch noch.


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