In einer chaotischen Hauruckaktion sollen ab dem Abend hunderte Asylsuchende in der Leipziger Ernst-Grube-Halle untergebracht werden. Für die Lebenssituation von teilweise traumatisierten Menschen ist die Situation absurd – für alle anderen Beteiligten auch.
Einen halben Meter Abstand haben die Feldbetten voneinander. Fünfzig Zentimeter. Kopf an Kopf, Fuß an Fuß sollen die Menschen hier schlafen, die ab heute Abend in der Ernst-Grube-Halle in Leipzig ankommen. Es handelt sich um Asylsuchende, die hier eine erste Anlaufstelle finden sollen. Vergangenen Mittwoch gab die Landesdirektion bekannt, dass bis zu 500 Geflüchtete in den nächsten Tagen in der Sporthalle der Universität Leipzig untergebracht werden sollen. Nun geht alles ganz schnell. Man müsse Notmaßnahmen ergreifen, sagt Michael Feist (CDU), Vizepräsident der Landesdirektion in Leipzig und Leiter für Zentrale Aufgaben. »Der Zustrom von Asylbewerbern hält an. Wir müssen aufnahmebereit sein, ob uns das gefällt, oder nicht.« Schließlich habe niemand damit gerechnet, dass nun so viele Asylsuchende nach Deutschland kommen.
Vollendete Tatsachen
Damit zeigt sich Sachsen in Sachen Asyl erneut von seiner schlechtesten Seite. Denn schon lange ist klar, dass die Fluchtgründe zunehmen und immer mehr Menschen Asyl suchen. Und auch, dass im europäischen Sommer die meisten Menschen fliehen. Dennoch erklärt Feist, die Landesregierung habe nichts gewusst, die Ernst-Grube-Halle sei daher lediglich eine temporäre Notlösung. Andere Gebäude habe man so schnell nicht prüfen können, man wolle ja schließlich zunächst staatliche Möglichkeiten ausschöpfen.
Daher also die Turnhalle. Die Universitätsrektorin Beate Schücking zeigt sich ratlos. »Es ist wichtig, dass sich die Menschen hier aufgenommen fühlen. Aber die Universität braucht ihre Sporthalle.« Mehr als eine Interimslösung dürfe die Halle daher nicht sein, schließlich gebe es zahlreiche »ordentliche, leerstehende Gebäude in Leipzig«. Damit hat sie Recht, denn der Leerstand in Leipzig ist trotz Zuzug noch immer hoch. Warum das Land bei der Unterbringung Geflüchteter lediglich auf eigene Liegenschaften zurückgreifen will, statt menschenwürdigere Unterkünfte in angemieteten Gebäuden zu garantieren – darüber kann man nur spekulieren. Klar ist jedoch, dass es weder mit der Stadt Leipzig noch mit Anwohnern, Initiativen oder der Sportwissenschaftlichen Fakultät Gespräche gegeben hat. Stattdessen wird eine Hauruckaktion im Stile akuter Katastrophenhilfe durchgezogen. Nun stehen alle vor vollendeten Tatsachen. Sollten die sanitären Anlagen im Gebäude nicht ausreichen, werden Container vor der Halle aufgestellt. Umzäunt ist sie bereits, schließlich sei dies nun ein »gefährdetes Objekt«, wie Polizeipräsident Bernd Merbitz am Nachmittag sagt.
Prodekanin in Sorge
Dorothee Alfermann, Direktorin der Sportpsychologie und Prodekanin der Fakultät hat derweil ganz andere Sorgen. Wütend mache sie nicht bloß die fehlende Kommunikation oder gar die menschenunwürdige Unterbringung, sondern vor allem die Einschränkungen des Sportbetriebes. »Was passiert denn nun mit Forschung, Lehre und Ausbildung? Die Halle ist nicht mehr verfügbar. Und auch danach wird sie nicht mehr benutzbar sein.« Außerdem: »Wer garantiert denn unsere Sicherheit? Die laufen da rum, die hantieren da rum.« Mit »die« meint sie die Asylsuchenden. Man wisse ja nie, was das für Leute seien, sagt sie erregt. Man müsse bestimmt ständig die Regeln vermitteln. Und die Grube-Halle sei ja schließlich keine geschlossene Einheit, so könnten sich die Geflüchteten ja einfach mit den Studierenden »vermischen«. »Als wäre hier ein Freizeitpark.« Und sie habe schließlich ihr Büro hier, sagt sie. Große Sorgen treiben sie sichtlich um.
Der Dekan Martin Busse schlägt indes etwas ganz anders vor. »Man sollte sie in Zelten unterbringen.« Aber nein, nicht so, wie man sich die Zeltstadt in Dresden vorstellt. Sondern schöner. Kleinere Zelte, mit Klimaanlage. So könne man Familien und ethnische Gruppen voneinander separieren, damit es erst gar nicht zum Streit komme. »Nicht das Prinzip soll man verteufeln, man hat die Sache mit den Zelten bisher einfach falsch gemacht.« Ein Zelt könne schließlich sogar schöner sein, als ein Wohncontainer. Schließlich habe die Sportfakultät zwischenzeitlich ihre Mensa in einem Zelt gehabt. »Das war besser als die Mensa jetzt.«
Derweil wird im Internet bereits gehetzt, es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Mob »besorgter Bürger« einfindet, um gegen die Menschen, die hier untergebracht werden sollen, zu demonstrieren. Und es zeigt sich hier besonders deutlich das Versagen der Landesregierung, die durch immer chaotischer erscheinendes Management dem Eindruck einer Krise Vorschub leistet – Wasser auf die Mühlen der Rassisten.
In den frühen Abendstunden kommen die ersten Geflüchteten an, um ihre Pritschen zu beziehen. Die Universität will sie so schnell wie möglich wieder raus haben, damit der Sportbetrieb weiter laufen kann. Angesichts der Zustände vor Ort kann man das den Geflüchteten auch nur wünschen.