Die Leipziger Stadtteilexpeditionen laden noch bis Samstag zur Entdeckertour durch Reudnitz. In kleinen Gruppen können Leipziger bei Führungen unter dem Motto »Reudnitz intim!« ihre Stadt neu entdecken und mit den Bewohnern des Viertels ins Gespräch kommen.
Ein Grüppchen Entdeckungsfreudiger betritt am Donnerstagnachmittag das »Olive Tree«, ein kleines Kebabbistro. Der junge kurdische Inhaber bietet gastfreundlich ein paar Falafel samt Saucen zum Verkosten an. Man plaudert kurz, dann geht es weiter nach nebenan zum vietnamesischen Nagelstudio. Doch die Inhaberin ist nicht da und so fällt dieser Programmpunkt aus. Offiziell sind wir jetzt bereits am Ende der Tour mit dem Titel »Marhaba/Willkommen«, doch da übernimmt kurzerhand Herr Schöne, ein Teilnehmer, die Führung. Herr Schöne ist 78 und kennt Reudnitz wie seine Westentasche. In den sechziger Jahren hatte er auf der Dresdner Straße – damals noch »Straße der Befreiung« – eine Drogerie, dort, wo heute das »Ari Bistro« Döner und Pizza verkauft. Wenn er durch das Viertel geht, schmelzen die Jahrzehnte dahin. »Da drüben war der Polsterer, hier vorn eine Molkerei und dort ein Juwelier.« So erfährt die kleine Gruppe doch ein paar echte Insiderkenntnisse über Reudnitz, die über die etwas unzureichende Vorbereitung der Tour hinwegtrösten. Zum Schluss kehrt man noch in das neue Nachbarschaftscafé Dresdner 59 zu Kaffee, Kuchen und natürlich Gesprächen ein.
Zum zweiten Mal veranstalten die Leipziger Stadtteilexpeditionen sogenannte intime Führungen, bei denen kleine Gruppen von bis zu fünf Personen von einem Ortskundigen durch ein Quartier geführt werden. Auf diese Weise wurde bereits die Eisenbahnstraße erkundet, dieser Tage ist Reudnitz dran. Ausgangspunkt für die Abenteuerreise in die eigene Stadt war die Erkenntnis der beiden Initiatorinnen Diana Wesser und Antje Rademacker, dass sie – obwohl schon viele Jahre hier ansässig – viele Viertel selbst nicht gut kennen und entsprechend Vorurteile ihnen gegenüber haben. Ein wertfreier Blick liegt ihnen deshalb bei ihrem Projekt ganz besonders am Herzen. Es soll Anwohner und Stadtteilfremde zusammenbringen und die Gäste das Quartier aus dem Blickwinkel seiner Menschen erfahren lassen statt aus der Medienperspektive. Dass Reudnitz längst nicht nur dunkel und dreckig, voller Nazis und Krimineller ist, wird auf der kleinen Tour über die Dresdner Straße sehr schnell klar.
Auch wenn die drei Intimführungen inzwischen schon vorbei sind, haben Neugierige am morgigen Samstag noch eine schöne Gelegenheit, Reudnitz besser kennenzulernen. Um 13 und um 17 Uhr werden im Café Espresso Zack Zack (Albert-Schweitzer-Str. 2, am Lene-Voigt-Park) Stadtteilpläne ausgegeben, die verschiedene Stationen ausweisen, die jeder Teilnehmer nach Lust und Laune anläuft. Dort sitzt ein »Einheimischer«, mit dem er ins Gespräch kommen kann. Wer danach noch immer neugierig auf den Leipziger Osten ist, dem bietet sich im November die Chance, beim zweiten Teil des Reudnitz-Projektes weitere vermeintlich bekannte Orte des Viertels mit neuen Augen zu sehen.