Verschiedene antirassistische Initiativen haben die Kampagne für ein »Soziales Zentrum für Alle« gestartet. Unter dem Motto »Die Häuser denen, die sie brauchen« will man die Räume schaffen, die sonst fehlen.
In Dresden trifft sich seit gut einem Jahr die pseudobesorgte Bürgerschaft zum rassistischen Spaziergang, in Leipzig ist es das fast wöchentlich stattfindende Legida-Spektakel. Zeitgleich wütet im Umland seit Monaten der Mob gegen Asylsuchende, während ebendiese in hunderten auf Feldbetten in Turnhallen auf engstem Raum untergebracht werden. Fast täglich gibt es entweder eine Kundgebung der sogenannten »Asylkritiker« (mal ehrlich: wer glaubt denn hier wirklich noch an Kritik?), einen Angriff auf Geflüchtete oder zumindest neue Hetzkommentare im Internet. Der Begriff »sächsischer Normalzustand« ist im letzten Jahr zur traurigen Metapher für Dauerrassismus geworden.
Im Schatten dieser Ereignisse haben es antirassistische Bewegungen vor allem in Sachsen in diesem Jahr schwer gehabt, ihre Inhalte zu platzieren. Nicht nur ist es quasi unmöglich, auf all die Artikulationen, Kundgebungen und Demonstrationen zu reagieren, sondern auch die konkrete Unterstützung Geflüchteter hat in den letzten Monaten ein immer größer werdendes Ungleichheitsverhältnis zwischen staatlichen Aufgaben und ehrenamtlicher Übernahme geschaffen. Als Geflüchtete im Sommer für einige Tage gegen die Verlegung aus der HTWK-Sporthalle nach Heidenau, dem Ort wo kurz zuvor rassistische Proteste eskalierten, protestierten, wurde in kürzester Zeit eine umfassende Unterstützungsstruktur aus dem Boden gestampft. Freiwillige organisierten Spiele, Übersetzungen, Amtsgänge, Essensverteilung. Und auch in der Ernst-Grube-Halle, in der noch immer mehrere hundert Geflüchtete untergebracht sind, läuft vieles vor allem durch ehrenamtliche Hilfe. Während die rassistischen Bewegungen immer größer werden, leisten Freiwillige die antirassistische Unterstützung, die der Staat nicht gibt. Doch zu welchem Preis?
Aus der Defensive kommen
Diese Frage stellen sich nun auch verschiedene antirassistische Initiativen aus Leipzig. Mit ihrer Kampagne »Social Center for all« wollen sie einen Ort schaffen, wo sich Menschen gemeinsam organisieren, austauschen und unterstützen können, ohne dabei durch ehrenamtliche Hilfe indirekt ein Asylsystem zu unterstützen, das sie eigentlich ablehnen. Ein Raum, der dieser Politik etwas entgegensetzt. »Das soziale Zentrum wird kein selbstverwaltetes Lager sein, sondern ein Ort, in dem wir unsere politischen Anliegen organisieren und für uns sprechen können, fernab von jeglicher Verwaltung durch Behörden und Wachdienste«, so Pressesprecherin Noa König. Dabei kritisiert die Initiative vor allem die fehlende Selbstbestimmung Geflüchteter, aber auch anderer verdrängter Personen im städtischen Raum. So sei die Idee zwar ursprünglich aus der Kritik an der Turnhallenunterbringung bei gleichzeitigem Wohnungsleerstand entsprungen, inzwischen sei aber »offensichtlich geworden, dass es nicht nur darum geht, Geflüchteten zu helfen, sondern dem entgegenzuwirken, dass viele marginalisierte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden«, so König. Dafür sei es wichtig einen Ort abseits öffentlicher Kontrolle zu schaffen, indem man sich austauschen und politische Anliegen bündeln kann. »Die staatlichen Behörden könnten viel mehr tun, halten aber konkrete Möglichkeiten wie beispielsweise Wohnraum zurück«, sagt Mitinitiatorin Baharak. »Wir wollen individuelle Hilfe organisieren, aber auch die Politik unter Druck setzen.«
Ein bisschen Utopie für alle
Wie das konkret aussehen soll, ist noch nicht final ausgestaltet. Dazu will der Zusammenschluss aus verschiedenen Leipziger Gruppen am Donnerstag im Rathaus ein Utopie-Workshop veranstalten. Parallel zur Stadtratssitzung soll so nicht nur auf die Kampagne und die Forderungen aufmerksam gemacht, sondern vor allem auch Ideen entwickelt werden. Mit kreativen Gedankenspielen soll so ein konkreter Plan entstehen; eingeladen, mitzudenken, sind alle.
Dabei geht es nicht nur um Fragen der Inhalte und Nutzung, sondern auch um ganz fundamentale Dinge wie das Gebäude. Denn ein Haus für das soziale Zentrum gibt es bisher nicht. Einige Ideen hat die Initiative bereits, so zum Beispiel die ehemalige Poliklinik im Leipziger Osten oder das ehemalige Gebäude der erziehungswissenschaftlichen Fakultät im Westen – beides Liegenschaften, die zwar dem Land gehören, jedoch nicht genutzt werden, sondern Stück für Stück zerfallen.
Sachsen sei nicht bereit, geeignete Objekte bereit zu stellen, kritisieren die Initiatorinnen. Am Donnerstag will man den Stadträten klar machen, dass diese Räume gebraucht werden und man sie sich »zur Not auch nehmen wird«, so König. »Es ist legitim, sich Häuser für soziale Projekte anzueignen, wenn sie nicht offiziell zur Verfügung gestellt werden«. Wie diese Aneignung konkret aussehen wird, bleibt Spekulation. Sollte es zu einer Besetzung kommen, wäre dies nicht die erste in Leipzig. Ähnliche Vorhaben wurden auch kürzlich in Berlin, Lübeck oder zuletzt in Göttingen durchgesetzt, wo seit zwei Wochen ein Haus zur Schaffung von Wohnraum für Geflüchtete und andere Menschen besetzt gehalten wird.
Wichtig ist der Leipziger Kampagne dabei vor allem, dass dies kein kulturelles Projekt ist, sondern ein politisches. »Wir wollen nicht mehr nur helfen, ohne den politischen Hintergrund in Frage zu stellen. Humanitäre Hilfe ist nicht genug, denn die Probleme werden von der Politik verursacht«, sagt Baharak. Für Leipzig scheint dieser Ansatz der Versuch zu sein, aus der antirassistischen und antifaschistischen Abwehrpolitik der letzten Monate herauszukommen und aktiv politische Inhalte bestimmen zu wollen. Ein mutiges Vorhaben in der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung in Sachsen. Doch die letzten Monate haben gezeigt, dass durch pure Reaktionspolitik nur wenig bewegt werden kann. Ein soziales Zentrum könnte das Potential bieten, die herrschenden Diskurse auf den Kopf zu stellen.