Ab Montag ist die von der Carl und Anneliese Goerdeler Stiftung initiierte Ausstellung »Carl Friedrich Goerdeler: Sein Leben, sein Werk, sein Widerstand« im Hörsaalfoyer der Universität zu sehen. Die Eröffnungsveranstaltung fand bereits am vergangenen Dienstag im Rektoratsgebäude statt und zeigte der dort versammelten lokalen Politik- und Verwaltungsspitze einschließlich dem Sächsischen Staatsminister für Justiz und dem vorwiegend älteren Publikum einerseits die von der Goerdeler-Familie aufgezeichnete Lichtgestalt, die sich um die Ehre der Nation kümmerte und am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Andererseits herrschte wie in der Ausstellung eine Ignoranz an historischen Fakten vor, die so an einer Universität nicht stattfinden darf.
Wer beispielsweise über seinen völkischen Nationalismus, seine Ablehnung gegenüber der Weimarer Republik, seine Rolle im Stahlhelm (dort erfolgte der Ausschluss von Juden bereits 1924) oder die Ablehnungen beispielsweise der SPD gegenüber den von ihm initiierten Einsparungen im Sozial- und Arbeitsbereich mehr wissen möchte, erfährt ebenso nichts darüber, wie warum in seiner Regierungszeit als Leipziger Oberbürgermeister bereits Jahre vor dem verordneten Ausschluss die jüdische Bevölkerung weder Schwimmbäder (in Leipzig bereits seit Juli 1935), Theater und Lichtspieltheater sowie Konzerte und Vorträge (seit August 1935, reichsweit seit Dezember 1938) nicht mehr besuchen durften. Anders formuliert: Hier können nun die Studierenden lernen, was es heißt, gewünschte Aufarbeitung zu finanzieren, um der Wissenschaft eine gehörige Abfuhr zu erteilen und bereits geführte Debatten einfach so unter den Tisch fallen zu lassen.
Am Dienstagnachmittag wurde die Ausstellung in einem zweistündigen Festprogramm im Rektoratsgebäude eröffnet. Die Thomaner sangen drei Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen Denkmalssturz 1936 auf Geheiß seines Stellvertreters während Goerdeler im Ausland weilte, zu dessen Rückzug aus der lokalen Politik führte.
Carl Friedrich Goerdeler ist keine einfache historische Gestalt. Das bestreitet bei der Eröffnungsfeier niemand. Er – der Leipziger Oberbürgermeister von 1930 bis 1936 – sei eine Bürde, so erklärte es der amtierende OBM Burkhard Jung und ließ sich dies von seinem im Auditorium sitzenden Amtsvorgänger der Jahre 1990 bis 1998 Hinrich Lehmann-Grube bestätigen, der die Goerdeler-Ehrung nach 1990 ankurbelte. Für Jung ist es sogar noch etwas schwerer, denn vor seinem Rathausfenster befindet sich seit 1999 das Goerdeler-Denkmal, aus welchem umrankt von Goerdelerzitaten eine Glocke jeweils fünf Minuten vor 12 und 18 Uhr ertönt.
Die Rektorin Beate Schücking hieß die Gäste zur Eröffnung in der »guten Stube« der Universität, dem Senatssaal, im Rektoratsgebäude willkommen. Ihre Ausführungen zum Haus – 1861 von Albert Geutebrück als Wohnsitz des sächsischen Königs errichtet – zielten darauf, dass es nicht im aristokratischen Stil gebaut werden durfte, sondern es musste sich dem gestalterischen Willen der Bürgerschaft unterwerfen. Dabei ist Schücking nicht nur die bürgerliche Baugesinnung wichtig, sondern die betonte Einflussnahme der Leipziger Bürgerschaft bildet ein wichtiges Element in der hier anzutreffenden konservativen Erinnerungskultur. Zudem verwies sie auf das vor einem Jahr stattgefundene Litt-Symposium unter der Überschrift »Leipzig offene Stadtgesellschaft und Widerstand 1933 bis 1944 – Carl Friedrich Goerdeler – Theodor Litt – Levin Ludwig Schücking«.
Der Festvortrag von Peter Hoffmann zu »In der Regierung – gegen die Regierung. Carl Friedrich Goerdelers Kampf für die Rechte der Juden« thematisierte einen wichtigen Punkt in der Auseinandersetzung mit Goerdeler – inwieweit er als OBM Anteil am lokal praktizierten Antisemitismus besaß. Hier sei erinnert, dass die immer wieder so gern zitierte Bürgerstadt Adolf Hitler bereits 1933 die Ehrenbürgerschaft verlieh – zum Vergleich: In München, als der »Hauptstadt der Bewegung«, erhielt er sie 1939.
Sowohl an diesem Dienstag wie auch in der Ausstellung werden entscheidende historische Fakten verschwiegen. Und das ist umso ignoranter, weil die Debatte um Goerdeler nun schon Jahrzehnte tobt. Widmet sich in der Ausstellung eine Tafel der Erinnerungskultur um Goerdeler, so werden die Studien von Gerhard Ritter »Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung« (Stuttgart 1954) und Peter Hoffmann »Carl Friedrich Goerdeler gegen die Verfolgung der Juden« (Köln 2013) auch gestalterisch besonders hervorgehoben. Der Text gibt Auskunft, dass in der DDR lediglich der »antifaschistische Arbeiterwiderstand« geehrt und Goerdeler auf einen »Verteidiger der NS-Kriegspolitik, Vorkämpfer des Bonner Neokolonialismus und als krankhafter Antibolschewist« reduziert wurde.
Bereits vor zwanzig Jahren kritisierte der Leipziger Historiker Werner Bramke, dass innerhalb der Ehrung des konservativen bürgerlichen Widerstandes andere Widerstandsformen und -gruppen einfach verschwinden – bei der Eröffnung zeigte dies auch das Grußwort vom Bundesinnenminister sehr deutlich. Außerdem stellte Bramke ebenso bereits vor zwanzig Jahren fest, dass »wie bei keiner anderen Persönlichkeit des deutschen Widerstandes der Streit um ihn (Goerdeler) zu einem zentralen Punkt in der Auseinandersetzung um den Widerstand überhaupt und um politische Grundfragen« sich zuspitze. Und daran scheint sich auch heute nichts geändert zu haben.
Denn an fehlender fachlicher Kompetenz kann es nicht gelegen haben. Die Ausstellungsorganisatoren wurden unter anderem von Ulrich von Hehl unterstützt, der seit 1992 als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Uni Leipzig mit den Forschungsschwerpunkten Weimarer Republik und Stadtgeschichte wirkte. Er verantwortet unter anderem den Band zur 1.000-jährigen Stadtgeschichte für die Epoche 1914 bis zur Gegenwart. Im Januar 2013 hielt von Hehl seine Abschiedsvorlesung zum Thema »Der Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler im Streit der Meinungen«. Darin beschreibt er, dass in der Obersekunda 1964 Goerdelers »Grundsätze und Ziele der (neuen) Reichsregierung« sein »Bild vom deutschen Widerstand maßgeblich« beeinflussten. Das Schlusswort überlässt er Peter Hoffmann, der weder »Monumentalisierung noch Dämonisierung als die angemessene Antwort auf unsere Fragen an den deutschen Widerstand« einfordert. Nun, man kann sich des Eindruck nicht erwehren, dass der sogenannte deutsche Widerstand auf keinen Fall den Arbeiterwiderstand und Widerstand, der sich aus politisch linken Positionen bildete, nur als Dämon in derlei Ausführungen existiert. Denn nur so lassen sich die zahlreichen blinden Flecke erklären, die ein Stadthistoriker in einem nicht wegzudiskutierenden, vormaligen Zentrum der Arbeiterbewegung zumindest sauber in einer Fußnote hätte erklären können.
Aber offensichtlich handelt es sich nicht um eine lapidare Schlamperei. Hier wie auch in der aktuellen Goerdeler-Ausstellung scheint eine von persönlichen Interessen geleitete Mitteilsamkeit auf. Dieses Ansinnen und Ausstellen in einer wissenschaftlichen Institution stellt daher einen Schlag gegenüber all den anderen Akteuren im »deutschen Widerstand« und deren Familien dar, die außerhalb des bürgerlich-konservativen Lagers aktiv gegen den Nationalsozialismus vorgingen. Allein darüber einmal nachzudenken, wäre einigen zu wünschen, anstelle in alten, starren, kaltkriegerischen Denkmustern zu verweilen und sich diese mit einer Ausstellung in einer Universität legitimieren zu lassen.