Vergangenen Samstag demonstrierten rund 150 Neonazis in der Leipziger Südvorstadt. Gleichzeitig kam es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und Polizei. Etwa 1.000 mutmaßlich Linksautonome warfen Flaschen, Steine und Böller, die Randalierer zerstörten Schaufensterscheiben, Haltestellen und errichteten brennende Barrikaden. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Reizgasgeschossen gegen die vermummten Randalierer vor. Am Ende des Tages sprach sie von 69 verletzten Beamten, 50 beschädigten Dienstfahrzeugen und 23 Festnahmen. Auch unter den Gegendemonstranten gab es zahlreiche Verletzte. So weit, so übel.
Doch liegt Leipzig deshalb gleich »in Schutt und Asche« (Leipzig Fernsehen), nachdem auf den Straßen »bürgerkriegsähnliche Zustände« (Bild) geherrscht haben? War das »Krawallterror«, wie Ex-Thomaspfarrer Christian Wolff schrieb, oder vielleicht »Straßenterror«, wie Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung in einer ersten Stellungnahme sagte? Nein, nein und doppelt nein.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht darum, die Gewalt zu rechtfertigen oder kleinzureden. Diese Ausschreitungen hatten sicherlich wenig mit Engagement gegen Neonazis oder gar für Geflüchtete zu tun. Sie sind auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass die Polizei vielerorts nicht gerade zimperlich aufgetreten ist. Wer mit Pflastersteinen auf Polizeibeamte wirft, nimmt – trotz Helm, Schild und Körperpanzer – in Kauf, dass diese schwer verletzt werden können, und riskiert zudem, dass auch Unbeteiligte getroffen werden. Das ist kriminell, da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen. Und was Schaufensterscheiben oder Haltestellen mit Nazis, staatlicher Repression oder überhaupt mit Politik zu tun haben, hat auch noch keiner schlüssig erklären können.
Ein Blick aus dem Fenster zeigt aber, dass Leipzig keinesfalls in Schutt und Asche liegt. Und auch ein Bürgerkrieg sieht anders aus. Wer wissen möchte wie, ist eingeladen, sich die Bilder aus Syrien anzusehen. Es war aber vor allem Jungs Rede vom »Straßenterror«, die vielfach – unter anderem von Medien wie Welt und Deutschlandfunk – aufgegriffen wurde. Der Leipziger Politikwissenschaftler Robert Feustel hat im Sprachlos-Blog darauf hingewiesen, dass der Begriff »Straßenterror« traditionell für die Taten der SA und SS während des Dritten Reiches gebraucht wurde. Dabei kamen regelmäßig Menschen um.
Und auch mit Blick auf aktuelleres Geschehen – die Anschläge in Paris, Ankara und Beirut, aber auch den NSU-Prozess – ist Terror ein sehr großes Wort. Viel zu groß für die Ereignisse vom Samstag. Wenn Menschen in einem Straßencafé erschossen werden, wenn eine Autobombe in einer belebten Straße explodiert, sich ein Selbstmordattentäter an einem Bahnhof oder in einem Konzertsaal in die Luft sprengt, dann spricht man von Terror. Da nehmen sich brennende Barrikaden und Straßenschlachten mit der Polizei vergleichsweise harmlos aus.
Wer aber Ausschreitungen mit Terror gleichsetzt, verharmlost im Umkehrschluss den Terror. Und wenn alle Gewalt irgendwie diffus Terror ist, dann wird es immer schwieriger, verschiedene Situationen angemessen zu analysieren und adäquat darauf zu reagieren.
Denn im Angesicht des »Terrors« werden selten sachliche Debatten geführt. Und auch in diesem Fall bewegt sich die Diskussion knapp über LVZ-Kommentarspalten-Niveau (was aber sicher nicht nur der Wortwahl des OBM geschuldet ist): Da versuchen Teile der CDU, Jung zu unterstellen, er würde Linksextremismus dulden oder gar fördern. Jung seinerseits wirft dem Verfassungsschutz Versagen vor, weil er ihn nicht über die linksautonome Mobilisierung informiert hat, von der aber außer ihm (und offenbar dem Verfassungsschutz) jeder wusste. Derweil behauptet der sächsische Generalsekretär der CDU, Michael Kretschmer, von keiner Realität verdrossen, nur die CDU würde Linksextremismus verurteilen. Inzwischen kam sogar die Forderung auf, die Polizei mit Gummigeschossen auszustatten. Es ist zum Fürchten.
Wir haben genug Wörter für das, am Samstag passierte: Randale. Ausschreitungen. Krawall. Schwerer Landfriedensbruch. Das ist wirklich schlimm genug. Lasst die Kirche im Dorf.