Seit den (bislang immer noch wenig aufgeklärten) Übergriffen in der Kölner Silvesternacht kennen die besorgten Kollegen mancher Zeitungshäuser keine Hemmungen mehr. Jeder noch so kleine Bericht über grabschende Männer aus arabischen Ländern wird dankbar aufgegriffen, nicht selten auch ungeprüft.
Am Montag lieferten Leipziger Volkszeitung und die Regionalausgabe der Bild den Vorurteilen ihrer Leser neue Nahrung. In den vergangenen Wochen hätten männliche Flüchtlinge in der Schwimmhalle an der Tarostraße und in der Grünauer Welle weibliche Badegäste mehrfach belästigt, hieß es. Von Grabschern war die Rede, vom gezielten Eindringen in Damen-Duschen. Quellen wurden dabei freilich kaum genannt, lediglich anonyme Berichte aus den Bädern zitiert oder ein ominöses internes Rathauspapier, das nicht näher benannt wurde. Geschädigte Frauen hatten die Autoren offenbar nicht finden können.
Kurzfristig nötigte die CDU Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke), am vergangen Mittwoch im Leipziger Stadtrat Stellung zu den Berichten zu beziehen. Der hatte zuvor die Mitarbeiter der ihm unterstellten Sportbäder um Auskunft gebeten und konnte sage und schreibe »zwei bis drei Fälle« von »Verletzungen der Intimsphäre von Frauen«, sowie ein »aktiv unsittliches Verhalten eines Mannes« nennen. Was genau das bedeutet führt Rosenthal zwar nicht aus. Aber: »Es handelt sich im Einzelfälle«, so der Ordnungsbürgermeister. Bei der Polizei wurden nach Auskunft von Sprecher Uwe Voigt in den vergangenen Monaten keinerlei sexuelle Übergriffe durch Menschen mit Migrationshintergrund in Leipziger Schwimmbädern angezeigt. Laut Rosenthal wurde in erster Linie »Fehlverhalten am Becken« berichtet. Gemeint sind wohl migrantische Badegäste, die vom Rand ins Wasser gesprungen sind.
Trotz dieser ausgesprochen dünnen Grundlage an Vorkommnissen legen nun die Reaktionäre aller Couleur fröhlich nach. FDP-Ratsmitglied René Hobusch entdeckt auf einmal seine feministische Ader. Mitarbeiter der Stadt bräuchten klare Leitlinien, wie mit Übergriffen umzugehen sei. Dabei vertritt der Anwalt ein radikales Definitionsmachtkonzept: »Ausnahmslos jeder Handschlag, den ein Klient, Patient oder Behördengänger nicht zu erwidern bereit ist, darf als Beleidigung aufgefasst werden. Jede körperliche Annäherung, die darüber hinaus geht, muss als sexuelle Belästigung gewertet werden, ebenso wie jede verbale Anmache.« Als Konsequenz empfiehlt Hobusch, Gespräche mit übergriffigen Personen sofort abzubrechen und keinesfalls anders auf Verstöße zu reagieren. »Jede gutgemeinte Kulanz kann sich gegen uns wenden«, warnt der Stadtrat.
Davon, wie Neuankömmlinge in Deutschland dann das richtige Verhalten in dieser Gesellschaft eigentlich lernen sollen, verlieren weder besorgte Journalisten noch besorgte Stadträte irgendwelche Worte. Auch sexuelle Übergriffe durch Einheimische sind bei ihnen kein Thema. Und da schließt sich der Kreis – es geht ihnen offenbar gar nicht um das Thema sexualisierte Gewalt, sondern darum, Flüchtlinge in eine noch tiefere Demutshaltung zu zwingen.
Heiko Rosenthal hält die bestehenden Baderegeln für vollkommen ausreichend. Auf deren Grundlage können schon jetzt gegebenenfalls Hausverbote erteilt werden. In der Grünauer Welle soll zudem eine Videokamera im Eingangsbereich installiert werden. Die syrischen Studenten Aziz und Bassam haben vergangene Woche nach den Berichten eilig arabischsprachige Informationsposter in den Schwimmbädern verteilt, die die Regeln auch für arabischsprachige Menschen verständlich machen. Damit versuchen die beiden zu retten, was sich in der gegenwärtig immer rassistischer werdenden öffentlichen Debatte noch retten lässt.