»Leipzig, nun kann es fast losgehen«, postete gestern die selbsternannte Bürgerwehr von Leipzig. Ihr Ziel: Leipzigs Straßen »wieder sicher machen«. Dazu wollen sich die Mitstreiter unter anderem mit Handschellen und Stichschutzwesten ausrüsten. Wie man sich als Bürger gegen Bürgerwehren wehren kann, wollte Thomas Schmidt-Lux uns nicht beantworten. Dafür erklärt der Soziologe, der an der Uni Leipzig zu Selbstjustiz und Gewalt forscht, was hinter den derzeit an vielen Orten Sachsens auftretenden Bürgerwehren steckt.
kreuzer: Was ist das grundsätzliche Problem an Bürgerwehren?
THOMAS SCHMIDT-LUX: Das kommt darauf an, wen Sie fragen. Die Polizei und andere staatliche Stellen sehen es als Problem an, dass Privatpersonen sich in eine Position bringen, die eigentlich die Polizei für sich beansprucht, nämlich Straftaten zu verfolgen, und vielleicht sogar eigenmächtig zu bestrafen – und das alles mit oder unter Androhung von Gewalt. Andere Beobachter, die vielleicht auch denken, dass der Staat zu wenig für Sicherheit sorgt, sehen eher als Problem an, dass damit gefährliche situative Eigendynamiken ausgelöst werden oder dass keiner weiß, wer sich eigentlich in einer solchen Bürgerwehr engagiert. Als Beobachter von außen und aus der Erfahrung anderer Fälle muss man sagen, dass diese Befürchtungen nicht grundlos sind, auch wenn die Organisatoren solcher Gruppen für sich natürlich beanspruchen, umsichtig vorgehen und keine gesetzlichen Grenzen überschreiten zu wollen. In jedem Fall macht das aber die Attraktivität und auch das Aufsehen aus, das solche Gruppen erregen: Vorsichtig gesprochen, loten sie die Grenzen zwischen individuellen und staatlichen Zuständigkeiten aus, und sie setzen etwas in die Tat um, was man meint, nur noch im Kino zu sehen.
kreuzer: Auch wenn keiner weiß, wer sich engagiert, scheinen Bürgerwehren gerade für Menschen aus der rechtsextremen Szene attraktiv zu sein.
SCHMIDT-LUX: Das ist erst mal eine Beobachtung, für die kaum verlässliche Daten vorliegen. Aber in der Tat lassen sich einige Fälle nachweisen, bei denen es Überschneidungen von rechter Szene und lokalen Bürgerwehren gibt. Das Argument, der Staat tue zu wenig gegen Kriminalität und lasse die Bürger mit ihren Problemen allein, ist ja nicht neu und bekommt hier eine Chance, offensiv vertreten zu werden. Die Gründung einer Bürgerwehr suggeriert ja auch Selbstbestimmtheit und Macht, und das wiederum kann dann nach außen ins Feld geführt werden und weitere Unterstützer anziehen. Allerdings würde ich davor warnen, eine einfache Gleichung von rechter Szene und Bürgerwehren aufzumachen. Nicht zuletzt die breitere Unterstützung kommt nicht nur aus rechtsextremen Kreisen.
kreuzer: Wie schätzen Sie die geplante Bürgerwehr in Leipzig ein?
SCHMIDT-LUX: Ich habe zur Leipziger Gruppe keine Informationen außer den öffentlich zugänglichen. Es scheint hier zwar ein organisatorischer Kern zu existieren, darüber hinaus aber nur eher diffuse Strukturen, die offensichtlich auch den geplanten Start verzögert haben. Überhaupt muss man abwarten, ob und wie die Wehr offline aktiv wird, und wenn ja, wie lange. Dazu braucht es dann doch eine Menge Personal und Ausdauer, nicht zuletzt auch Zeit und Kraft. Bleiben dann noch die Erfolge aus, stellt sich schnell Ernüchterung ein.
kreuzer: Der Verfassungsschutz hat schon vor einem Monat gewarnt, dass die Zahl der Bürgerwehren auch in anderen Teilen Sachsens rasant zunimmt. Was sind die Unterschiede zwischen Stadt und Land?
SCHMIDT-LUX: Hier ist es keineswegs so, dass Bürgerwehren nur eine Sache des ländlichen Raumes wären, wie man noch vor ein paar Jahren dachte. Auf dem Land liegen zwar ein paar Besonderheiten vor, wie etwa die geografische Entfernung zum nächsten Polizeiposten, die deutlich größer sein kann als in der Stadt und eine wichtige Rolle bei der Legitimation der Bürgerwehren spielt. Aber entscheidend ist letztlich die wahrgenommene Lage von Unsicherheit, Kriminalität und einem überforderten oder aus anderen Gründen untätigen Staat. Das Gefühl, sich an der Peripherie zu befinden, kann deshalb in einer Großstadt ebenso stark sein wie auf dem Land – was man zurzeit ja verschärft sieht.