Parallel zum Katholikentag veranstaltet die Giordano-Bruno-Stiftung Säkulare Tage in Leipzig. Der Stiftungsvorstandssprecher und Philosoph Michael Schmidt-Salomon spricht mit kreuzer online über dieses weltliche Anliegen, die nicht verwirklichte Trennung von Kirche und Staat und Antisemitismusvorwürfe.
kreuzer online: Auch Sie kommen zum Katholikentag nach Leipzig. Sind Sie ein Christen-Stalker?
MICHAEL SCHMIDT-SALOMON: Witzige Frage, allerdings habe ich gar nicht vor, Christen in irgendeiner Weise zu stalken. Aus diesem Grund komme ich auch nicht zum Katholikentag, sondern zu den Säkularen Tagen, die von der Leipziger Regionalgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung veranstaltet werden.
kreuzer online: Warum soll nicht auch ein Katholik nach seiner Façon – wie jeder andere Gläubige oder Nichtgläubige – glücklich werden; und sich halt mal treffen dürfen?
SCHMIDT-SALOMON: Natürlich dürfen auch Katholiken glücklich werden und sich gerne treffen, aber sie sollten dabei doch bitteschön das »11. Gebot« beachten: »Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!« Dass eine Stadt wie Leipzig, in der nur vier Prozent der Bürger der katholischen Kirche angehören, eine Million Euro für die Bezuschussung des Katholikentags ausgibt, ist schon höchst merkwürdig. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Stadt offensichtlich das Geld zur Finanzierung wichtiger öffentlicher Aufgaben, etwa einer ausreichenden Kita-Betreuung, fehlt.
kreuzer online: Wollen Sie Religion abschaffen?
SCHMIDT-SALOMON: Nein. Wir wollen über problematische Entwicklungen in den Religionen aufklären, aber mit Gläubigen, die die Menschenrechte und die zentralen Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung anerkennen, die für die Prinzipien der offenen Gesellschaft eintreten und Andersdenkende nicht übervorteilen, haben wir keinerlei Probleme. Im Gegenteil. Solche undogmatischen Gläubigen unterstützen wir nach dem Motto: HumanistInnen aller Konfessionen, vereinigt euch!
kreuzer online: Glaube und Philosophie schließen sich aus, warum beackern Sie als Philosoph dieses Feld?
SCHMIDT-SALOMON: Die Philosophie hat sich seit jeher schon mit theologischen Fragestellungen beschäftigt. Und dieses Thema ist gerade heute von großer politischer und damit auch praktisch-philosophischer Brisanz. Denn wenn wir auf diesem Gebiet versagen, könnte das 21. Jahrhundert zu einem Jahrhundert der globalen Religionskriege werden. In Syrien bekommen wir gerade einen Vorgeschmack davon, was das bedeuten würde.
kreuzer online: Wie bewerten Sie es, dass eine Stadt mit mehrheitlich nichtreligiösen Bewohnern Ort für das Jubiläumsfest der Kirche ist? Wollen die bekehren?
SCHMIDT-SALOMON: Natürlich ist auch dies ein Zweck der Veranstaltung. Beide christlichen Kirchen leiden seit Jahren unter massivem Mitgliederschwund. Wenn sich der Trend weiter fortsetzt, wird in Bälde die Hälfte aller Bürgerinnen und Bürger keiner Religion mehr angehören. Spätestens dann werden auch die weltweit einzigartigen Privilegien fallen, die die Kirchen in Deutschland genießen. Mit der Organisation von Kirchentagen versucht man, dieser Gefahr entgegenzuwirken, allerdings wird diese Strategie kaum aufgehen.
kreuzer online: Die Stadt begründet ihre finanzielle Förderung und argumentierte nicht via Religion, sondern dem ökonomischen Mehrwert für die Gastronomen, Hoteliers etc. Ein Scheinargument, das die Trennung von Staat und Religion unterläuft?
SCHMIDT-SALOMON: Der ökonomische Nutzen der Kirchentage wird heillos überschätzt. Kirchentagsbesucher zählen nicht unbedingt zur Gruppe der aufgeschlossenen Hedonisten, die viel und gerne konsumieren, sondern bringen ihren Reiseproviant gerne von zu Hause mit. Der Nutzen für die Kommunen wäre zweifellos größer, wenn sie ihre Gelder in Musikfestivals investieren würden. Der entscheidende Punkt ist aber, dass die öffentliche Bezuschussung von Kirchentagen die weltanschauliche Neutralität des Staates verletzt. Von einer wirklichen Trennung von Staat und Kirche kann man in Deutschland leider nicht sprechen. Die Kirchen erhalten nicht nur Milliardenbeträge vom Staat, sondern sind auch an der Gesetzgebung maßgeblich beteiligt. So war es nicht zuletzt dem Einfluss der Kirchen geschuldet, dass der Deutsche Bundestag im letzten Jahr die Bestimmungen zur Sterbehilfe verschärft hat, obwohl die Bevölkerung mit einer überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent für eine Liberalisierung votierte.
kreuzer online: »Braucht der heutige Mensch noch Religion?« lautet der Titel Ihrer Veranstaltung. Also: Braucht’s noch Religion?
SCHMIDT-SALOMON: Wir brauchen zweifellos Antworten auf die Grundfragen unserer Existenz. In der Vergangenheit fanden die meisten Menschen diese Antworten in religiösen Quellentexten, in der Zukunft, so meine Prognose, werden sie sich eher mithilfe von Wissenschaft, Philosophie und Kunst im Kosmos verorten. Ich bin überzeugt, dass sich letztlich evidenzbasierte, sinnlich erfahrbare und intellektuell plausible Antworten durchsetzen werden. Von den Religionen werden auf lange Sicht nur die menschenfreundlichen, sinnvollen Elemente erhalten bleiben, alles andere werden die Menschen der Zukunft mit ähnlicher Fassungslosigkeit betrachten wie wir Heutigen die Menschenopferkulte der Vergangenheit.
kreuzer online: Sie befürworten einen evolutionären Humanismus. Was ist das? Und brauchen Sie Religionen, um sich erst abheben zu können?
SCHMIDT-SALOMON: Nein. Der evolutionäre Humanismus hebt sich zunächst einmal von traditionellen Formen des Humanismus ab. Als evolutionäre Humanisten treten wir zwar sehr entschieden für die Werte der Aufklärung, für kritische Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. Allerdings begreifen wir den Menschen nicht mehr als »Krone der Schöpfung«, sondern als unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution, das sich nur graduell, nicht prinzipiell, von anderen Lebensformen auf diesem »Staubkorn im Weltall« unterscheidet. Der evolutionäre Humanismus überwindet also den anthropozentrischen Größenwahn, der für religiöse wie nichtreligiöse Weltbilder der Vergangenheit kennzeichnend war. Um es mit Albert Schweitzer zu sagen: Als Kinder der Evolution sind auch wir bloß »Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will«, was sich nicht zuletzt auch in einem verantwortungsvolleren Umgang mit der nichtmenschlichen Tierwelt niederschlagen sollte.
kreuzer online: Es gibt den Vorwurf an Sie und die Stiftung, selbst ideologische Fundamentalisten zu sein und einen aggressiven Atheismus zu betreiben, der auch vor Antisemitismus (Namensgeber der Stiftung, Beschneidungsdebatte ...) nicht haltmacht. Ihre Entgegnung?
SCHMIDT-SALOMON: Das ist natürlich Unsinn. Die Giordano-Bruno-Stiftung ist keineswegs militant atheistisch, die meisten unserer Mitglieder, so auch ich, würden sich eher als Agnostiker bezeichnen. Die Anti-Beschneidungskampagne führten wir in Zusammenarbeit mit liberalen Juden und Muslimen durch. Sie richtete sich daher nicht gegen »die Juden« oder »die Muslime«, sondern nur gegen solche, die die Religionsfreiheit als Freibrief zur Verletzung von Kinderrechten missverstehen. In Zusammenhang mit dieser Kampagne haben interessierte Kreise versucht, die Stiftung über ihren Namensgeber, Giordano Bruno, als »antisemitisch« zu diffamieren. Das ist jedoch absurd, denn erstens bedeutet die Namensgebung nicht, dass wir alle Positionen unseres Namensgebers übernehmen würden, zweitens lehnte Giordano Bruno, der im Jahr 1600 von der katholischen Kirche verbrannt wurde, jede positive Religion ab, nicht nur das religiöse Judentum. Giordano Bruno zeichnete sich eben nicht durch jenen eliminatorischen Judenhass aus, für den ein gewisser Martin Luther bekannt ist, der nächstes Jahr mit großem Aufwand in Deutschland gefeiert wird.
kreuzer online: Manche Kommentatoren nennen als Ursache von Pegida & Co. die Glaubensferne im Osten. Was antworten Sie darauf?
SCHMIDT-SALOMON: Zunächst sollte man feststellen, dass auf Pegida-Demonstrationen signifikant mehr Christen teilnahmen, als man es über den Bevölkerungsdurchschnitt hätte erwarten können. Die im Osten verbreitete Konfessionslosigkeit allein kann also nicht der Grund dafür sein, dass die Gida-Bewegungen hier so stark beheimatet sind. Ein Erklärungsansatz neben vielen anderen könnte sein, dass die Bürger im Osten mit einer offen zur Schau gestellten Religiosität geschichtlich weniger konfrontiert wurden und sie deshalb auch eher als Bedrohung wahrnehmen. Jene im Westen hingegen haben erlebt, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Selbstbestimmungsrechte homosexueller Menschen nur gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen durchgesetzt werden konnten. Ich denke, dass sie deshalb ein etwas größeres Vertrauen haben, dass islamistische Bestrebungen in einer modernen Streitkultur keine Chance haben werden. Ob dieses Vertrauen gerechtfertigt ist, weiß ich nicht. Sicher bin ich mir allerdings darin, dass die offene Gesellschaft nur zu verteidigen ist, wenn wir uns gegen Islamismus und Fremdenfeindlichkeit gleichermaßen zur Wehr setzen – ein Aspekt, der in der hitzigen Debatte um Pegida und Anti-Pegida leider untergegangen ist.