Reconquista und Wende 2.0: Unter pathetischen Kampfbegriffen machts Legida nicht. Einmal noch vor der wahrscheinlichen Sommerpause und dem nicht weniger wahrscheinlichen Ende aller Regelmäßigkeit wollen die Abendlandversteher am nächsten Montag in Leipzig auflaufen.
Weil sie in Leipzig und Umland keinen Grüßaugust oder eine auch nur halbwegs charismatische Galionsfigur mehr auftreiben können, müssen Auswärtige ran. Edwin Wagensveld (von Gidisten als »Ed der Holländer« verehrt) und Tatjana Festerling (die mit den Gummimuschi- und Mauerbaufantasien) sind als Redende angekündigt. Der Ort steht angeblich noch nicht fest, treffen wollen sie sich wie immer vorm McDonalds im Bahnhof. Es wird wohl wieder der Richard-Wagner-Platz oder etwas in der Nähe werden. Aber Legida und Anhänger gefallen sich im albernen Versteckspiel. Wenn man sonst nichts hat.
Die anhaltende Ahnungslosigkeit wird also einmal mehr vervielfacht durch Verstärkung aus dem Tal der Ahnungslosen. Die Wortwahl lässt verwundern. Statt an ihrem Fetisch Friedliche Revolution festzuhalten, wollen sie nun eine Wende: »Wir machen Dampf im Kessel, denn Leipzig war ‘89 entscheidend und nur mit Leipzig wird die Wende 2.0 funktionieren.« Metaphern aus dem pneumatischen und digitalen Zeitalter zu verquicken, ist stilistisch unelegant. Die Aussage stimmt auch nicht. Und zwar in mehrerlei Hinsicht. Erstens ist das aus der Sexualpsychologie stammende Dampfkesselmodell, demzufolge angestaute Triebmomente sich explosiv entladen, längst widerlegt. Hier belegt es immerhin Legidas Tick mit den Trieben. Dass die Ereignisse ‘89 entscheidend mit Leipzig zu tun haben, ist auch unrichtig. Hier fand nicht die erste Demo statt und nur im Kontext der Ausreisewelle, der Bürgerbewegung und der Kirchen sowie dem westdeutschen Einfluss und maßgeblich dem Gesamtkomplex der Ostblockstaaten wird ‘89 verstehbar. Rund 250 rumlatschende Trotzköpfe werden da gar nichts erreichen. Und sie sind sich ja jetzt nicht mal mehr einig, ob sie nun eine Wende oder Revolution wollen.
»Reconquista – Wir holen uns Leipzig zurück«: Noch problematischer ist der Reconquista-Begriff. Er entspricht nicht der angeblichen Gida-Gewaltlosigkeit. Über 770 Jahre tobten militärische Auseinandersetzungen auf der iberischen Halbinsel, bis die muslimischen Mauren verdrängt wurden. Dabei waren Westgoten & Co. auch nur ein paar hundert Jahre zuvor in die Gegend getrottet. Das hat man später »Rückeroberung« (eben: Reconquista) genannt und einen rein religiösen Konflikt (Christen vs. Muslime) hineininterpretiert. Als Krönung der Reconquista wurde das Alhambra-Edikt erlassen, das zur Zwangschristianisierung, Vertreibung und Ermordung hunderttausender Juden führte. Auch so geht Abendland.
Reconquista ist übrigens eine bei Identitären – und anderen ethnopluralistisch gefärbten Rassismus bedienenden Gruppierungen – beliebte Vokabel für den imaginierten Volkszorn. Beim Kirchentag versuchten diese jüngst, Aufmerksamkeit zu erlangen und hängten ein gelbes Transparent mit selbst gemaltem »Reconquista« gegenüber der Mensa auf. Allerdings so hoch, dass es aufgrund der Katholiken-Zeltdächer kaum jemand bemerkte. El Cid geht anders.
Die Begriffsverwendung offenbart, wie immer unverblümter sich der klägliche Rest der völkischen Zornigen am neu-rechten Rand um jeden Strohhalm flehend festkrallt. Legida rückt damit auch weiter von Pegida weg. Mit der hat ja Festerling offensichtlich Knatsch, macht jetzt lieber mit dem NPD-verbändelten »Demokratischer Aufbruch Sächsische Schweiz« gemeinsame Sache. Jetzt halt die ortlose Rückeroberung: Toter war Legida nie – aber zuckt noch.
Demoplanung: Offener Kneipenabend – Zivilcourage ist kein Verbrechen, 3.6., 19 Uhr, Besser Leben
Infos für den 6.6. demnächst unter Leipzig nimmt Platz und No Legida