Die AfD hofiert ihn, für Ex-Legida-Chef Johnke ist er ein »persönlicher Freund«, für seine Gegner ein rechter Hetzer: Jürgen Elsässer ruft zum Sturz der Regierung auf und sieht sich als Stichwortgeber einer rechtenVolksbewegung. Seine Zeitschrift Compact ist die Stimme der Ausländerfeinde. Redaktionsadresse ist ein Leipziger Postfach. Linke Aktivisten wollen auch eine Wohnung Elsässers in Leipzig gefunden haben. Am Montag sind Elsässer und Compact auch Thema bei der Talkshow kreuzer, Korn & Kippen.
Also, hören wir uns das einfach mal an; drei Minuten, vierzig Sekunden Jürgen Elsässer im O-Ton, bei seiner Eröffnungsrede zur »Compact-Freiheitskonferenz« im Oktober in Berlin. Los gehts: »Mein Name ist Jürgen Elsässer und meine Zielgruppe ist das Volk. (Applaus) (...) Und dieses Volk, unser Volk, das deutsche Volk, ist bedroht. (Applaus) Wir sehen einen Angriff auf Deutschland. Nicht ausgeführt durch Panzer oder Kampfflugzeuge, aber dennoch effektiv. Es sind ja archaische Bilder, die wir jetzt im Fernsehen sehen: Wie ein Lindwurm, ein vieltausendköpfiger Lindwurm, sich über den Balkan wälzt, auf unsere Grenzen zu, alle Grenzbefestigungen niederreißt. Auf den ersten Blick friedlich, aber kaum gibt es ein Hindernis, sind die Frauen und Kinder aus den Fernsehfotos weg – und die jungen Männer überrennen die Grenze und zünden ihre Zeltstädte an, um Druck zu machen, dass sie noch mehr bekommen. (...) Was wird, wenn der Winter hart wird und wenn die Zeltstädte den Neuankömmlingen nicht genügen? Müssen wir dann auch mit dieser Gewalt rechnen? Wehe uns! (Dramatische Pause)
Diese Konferenz soll dem Volk Mut machen – und (der Finger schwingt im Takt) den Millionen / draußen / im Land, / die weiter / Deutschland lieben / und an / Deutschland festhalten / und dieses / Deutschland verteidigen wollen, / einen mächtigen Impuls geben. (Pause, Beifall)
Ich stehe hier für unsere Kinder (...), für die Verkäuferinnen und Verkäufer in unseren Supermärkten, die ohnmächtig mit ansehen müssen, wie die Neuankömmlinge Waren mitnehmen, ganze Regale leerräumen. Und ich erinnere an die Verkäuferin im Netto-Markt im sächsischen Freiberg, die von einem dieser Zahlungsunwilligen mit der Machete (Hand fuchtelt) bedroht wurde. Und die Polizei war nicht fähig, den Mann aufzuhalten. Und ich sage euch, lasst euch das nicht gefallen, wehrt euch, denn ihr gehört zu Deutschland. (Applaus, Elsässer wirft mit einer weichen Kopfbewegung seine Haarsträhne zurück, 3:40 Minuten)«
Ja, wer will es den deutschen Zuhörern dann verdenken, wenn sie ein Ausländerheim anzünden? Elsässer beherrscht die Klaviatur der deutschtümelnden Hetze, denn er hat jahrelang gegen sie angeschrieben. An diesem Abend spricht er vor 1.000 Zuhörern, das Youtube-Video seiner Rede wurde mehr als 160.000 Mal angeklickt. Unter dem Video der Hinweis: »Compact hat den Mut zur Wahrheit« und: »Abonnieren Sie das Compact-Magazin«.
»Ich stehe hier«, ruft Elsässer Sekunden später ins Auditorium, »für alle unsere Frauen, auch für meine eigene, die sich nicht mehr hinaustrauen auf die Straßen in ihren Straßenvierteln, weil da zu viele fremdländische junge Männer sind.«
Wenn das stimmt, warum wohnt er dann quietschvergnügt mit seiner Freundin an der Leipziger Eisenbahnstraße, seit zehn Jahren schon, wie linke Aktivisten herausgefunden haben wollen? Und was noch viel merkwürdiger ist, wie kann es sein, dass diese Worte, »Wehrt euch, denn ihr gehört zu Deutschland«, von einem Mann kommen, der als Begründer der Antideutschen Bewegung in den neunziger Jahren gilt, jener linksradikalen Strömung, die alles Deutsche ablehnt und bekämpft, die den britischen Luftwaffenchef Bomber Harris feiert – der im 2. Weltkrieg unter anderem Dresden in Schutt und Asche legte? Elsässer persönlich soll sich damals sogar den Slogan »Nie wieder Deutschland!« ausgedacht haben. Also, was ist da passiert mit dem ehemals stramm linken Jürgen Elsässer? In was für Zeiten leben wir eigentlich? Und was hat das alles mit Leipzig zu tun?
Traum vom Volksuftand
Ende Februar, vier Monate später, Leipzig-Ost: Die Antifa hatte zugeschlagen. »Legida NAZI Elsässer«, prangte es in großen Lettern an der Hauswand, daneben zwei Pfeile, die auf die Fens- ter einer Wohnung im Obergeschoss zeigen. Unweit der Eisenbahnstraße waren Plakate aufgehängt, Flugblätter mit Steckbrief und Foto warnten: »Achtung: In Ihrer Nachbarschaft wohnt ein Nazi.« Darunter hieß es, wie um die Drama- tik der Aktion zu rechtfertigen: »Jürgen Elsässer ist NICHT irgendein Rechtspopulist.« Auf der Antifa-Plattform Indymedia erschien gleichzeitig ein Text, der die Kampagne zur Bloß- stellung des Jürgen Elsässer vollendete – inklusive der genauen Adresse einer Wohnung in einer Seitenstraße der Eisenbahn- straße. Zum Beleg fügten die Autoren unter anderem ein Foto hinzu, auf dem Elsässer mit seiner Freundin, nur ihr Name habe auf dem Klingelschild gestanden, vor der Haustür in ein Taxi steigt. »Dank seiner ausgeklügelten Tarnung als LVZ- Journalist und freier Autor fühlt sich Jürgen E. im Haus und nächster Umgebung pudelwohl«, schrieben die anonymen Aktivisten dort. Mit dieser nachbarschaftlichen Harmonie dürfte es mittlerweile vorbei sein.
Jürgen Elsässer ist so etwas wie der Rudi Dutschke der Fremdenfeinde. Über Dutschke, den Studentenführer, schrieb der Spiegel 1967: »Was er will, erreicht er nicht, was er bewirkt, kann er nicht wollen.« Kann man über Elsässer dasselbe sagen? Zurzeit sieht es genau nach dem Gegenteil aus: Das, was er will, erreicht er – und was er bewirkt, das will er. Offenbar. Doch wie passt das zum alten Elsässer, dem Antideutschen? Was auffällt: Anders als bei Dutschke ist in Elsässers Reden kaum Ernst und Leidenschaft, sondern oft sogar ein ironischer Unterton spürbar, als würde er sich selbst ein bisschen darü- ber amüsieren, was er sagt, oder zumindest Spaß dran haben, besonders wenn es populistisch oder provokant wird. Schaut man sich Elsässers Hetzreden an, dann kommt unvermittelt der Gedanke, gleich würde die Redaktion des Satiremagazins Titanic auf die Bühne springen, Elsässer abklatschen, allen eine Nase drehen und rufen: Ätsch, angeschmiert, alles nur Verarsche.
Doch es scheint ihm ernst zu sein: Während andere »Merkel muss weg« schreien, entwirft Elsässer in seiner Zeitschrift Compact das dreistufige Programm dafür. Erst müsse geklagt werden, dann bei den Wahlen mit der AfD dem »Regime« ein Denkzettel verpasst, und schließlich, falls das noch nicht genügt, komme die Stunde des Massenprotestes: »eine zentrale Großdemonstration«, um die Regierung zum Abtreten zu zwingen. Im Oktober bereits malte er sich aus, mit 500.000 Anhängern den Reichstag zu belagern. »Es kann jetzt keine Entschuldigung mehr geben, zu Hause zu sitzen – das Haus brennt«, sagte er auf einer Konferenz in Berlin. »Und wenn 500.000 den Reichstag belagern – friedlich! –, dann hat Merkel fertig!« Immer wieder kommt er in seinen Reden auf diese 500.000 zurück, es scheint eine fixe Idee zu sein. So wie 1989 könnten sie die Regierung stürzen, glaubt er, oder scheint es zu glauben. Jürgen Elsässer träumt vom Volksaufstand.
Gleichzeitig scheut er das Licht der Öffentlichkeit: Mit den »Monopolmedien« spricht er schon längst nicht mehr. Auch die Anfragen des kreuzer, den er offenbar dieser Gruppe zuschlägt, ignorierte er hartnäckig. Selbst die rechtskonserva- tive Junge Freiheit ließ er abblitzen, als sie um ein Treffen in seinen Redaktionsräumen bat: »Die sind tabu, da kam bisher noch niemand rein«, ließ er wissen. Im Impressum der Compact ist lediglich ein Leipziger Postfach als Kontaktadresse zur Redaktion ausgewiesen. Sein Leben im Leipziger Kiez sollte offenbar von seinen Aktivitäten als rechter Agitator nicht getrübt werden.
Es war wohl diese Geheimniskrämerei, die in einer Antifa- Gruppe jetzt voyeuristische Paparazzi-Instinkte weckte. Selbst das Innere seiner Wohnung wollen sie gründlich ausgespäht haben und amüsierten sich über deren bildungsbürgerliches Interieur. Auch Elsässers Outfit offenbarte ihr Text unter der Überschrift »Elsässer intim«: Er gehe meist vor die Tür in »schwarzer Lederjacke, weißem Feinrippunterhemd sowie schwarzen Stiefeln«.
Vom Antideutschen zum Amerikafeind
[caption id="attachment_46047" align="alignleft" width="254"] Da war er noch links: Elsässer (Mitte) 1999 beim Podium der Zeitschrift Konkret, Foto: Boris Bochienski[/caption]
Echte Enthüllungen sehen anders aus. Mit einem aber hatten seine Angreifer recht: Jürgen Elsässer mag vieles sein, aber einfach »irgendein Rechtspopulist« ist er nicht. Der Ex-Linke, Ex-Antideutsche, Mitbegründer der antirassistischen Zeit- schrift Bahamas, Ex-Mitherausgeber der linken Wochenzeitung Jungle World, langjähriger Autor von Konkret und Neues Deutschland, der heute vom Befreiungskampf des deutschen Volkes predigt, ist wie die Bewegung, der er jetzt die Stichworte liefert: widersprüchlich, für Außenstehende ein Rätsel. Noch immer steckt in ihm das Revoluzzertum, das ihn offenbar einst zum Kommunistischen Bund trieb, für dessen Zeitung Arbeiterkampf er zu Beginn seiner Karriere schrieb. Politik betreibt Elsässer heute mit der Unerbittlichkeit eines rechten Jakobiners: Die AfD ist für ihn »der Stock, mit dem wir die Blockparteien prügeln müssen, bis sie grün und blau sind«. Anfang der neunziger Jahre war Elsässer ein scharfer Kritiker des Völkischen. »Meine damaligen Schwachsinnigkeiten« nennt er das jetzt. Dass er nun selbst die Ressentiments unter die Leute bringt, die er damals noch knallhart auseinander- nahm, lässt viele an seinen Motiven zweifeln. Pure Geschäftemacherei mit den leichtgläubigen Wutbürgern unterstellen ihm manche, Selbstdarstellerei die anderen. »Schon als Linker hatte er den Ruf des Enfant terrible, jemand, der alles in Frage stellt und sich nicht scheut, unliebsame Wahrheiten auszu- sprechen – und das hat er schon immer inszeniert«, erinnert sich der ehemalige Compact-Autor Utz Anhalt, dessen letzter Beitrag dort 2012 erschien. Statt eines trockenen Theoriestils pflegte der linksradikale Elsässer eine deftige, volkstümliche Schreibe. Gefiel ihm eine Position nicht mehr, so wechselte er zu einer anderen. Die Graben- und Lagerkämpfe der radikalen Linken boten dabei immer wieder Möglichkeiten zur politischen Neuerfindung. So wurde über die Jahre aus dem Antideutschen ein Antiimperialist und Amerikafeind – einen größeren Sprung kann man sich kaum vorstellen, berufen sich die Antideutschen doch explizit und eben gerade auf die politische Kultur der USA.
Aus dem scharfen Kritiker des neuen deutschen Antisemitismus wurde ein Anti-Zionist, ein Kritiker der »Israel-Lobby«, und schließlich aus dem Linksradikalen ein Wiederentdecker des nationalen Gedankens. Für fast jede Zeitung, die das linke Spektrum zu bieten hat, hat Elsässer irgendwann einmal geschrieben – und mit vielen irgendwann gebrochen.
Kein Wunder, dass Elsässer mit dieser unorthodoxen Vergangenheit im rechten Lager auch aneckt. Als er Mitte 2014 die AfD-Basis zur Revolte aufrief, widmete ihm die Junge Freiheit, die damals noch fest hinter Bernd Lucke stand, ein langes Porträt. Deutlich spürte man das Misstrauen der Traditions- nationalisten gegen das »Chamäleon« Elsässer, der immer mehr Einfluss bei den Rechten gewann. »Wer also ist Jürgen Elsässer?«, fragte die stramm konservative Zeitung zusammenfassend. »Ein Rechter, der mit der Linken gebrochen hat? Ein egomanischer Exzentriker, der es genießt, im Mittelpunkt zu stehen? Ein Verschwörungstheoretiker oder jemand, der lediglich mit verschwörungstheoretischen Geschichten Geschäfte macht?«
Bis jetzt, zwei Jahre später, bleiben diese Fragen unbeant- wortet. Ob Elsässer wohl manchmal das Gewissen plagt? Wenn er davon redet, die rechte Bewegung müsse »republikanisch-patriotisch angelegt« sein, dürfe also nicht die Rassenreinheit zum Ziel erheben, klingt das fast, als wolle er letzte Skrupel beruhigen. Wirklich wissen kann das nur er selbst. Vielleicht spaziert er gelegentlich – nachts, wenn er nicht schlafen kann – über die menschenleere Eisenbahnstraße und hadert mit seinem Schicksal. Es wäre eine sehr romantische Vorstellung von einem gefallenen Salonlinken, einem verkannten Genie, einem Zauberlehrling. Vielleicht hat er noch eine Rolle zu spielen, zum Guten oder zum Bösen.
Ein Angebot, dass sie nicht ablehnen können
Tagsüber jedoch tourt Elsässer immer öfter durch die Provinz und probt den nationalen Aufstand.
Zwickau, ein Sonnabend im Februar: Trotz des eisigen Regens drängen sich mehr als 3.000 Menschen auf dem historischen Marktplatz und verwandeln ihn in ein rechtes Fahnen- und Schildermeer. Ein Netzwerk regionaler Graswurzelgruppen hatte zum Aufmarsch gerufen, mit Jürgen Elsässer als Publi- kumsmagnet. Auch aus Bautzen, wo noch in derselben Nacht eine leer stehende Flüchtlingsunterkunft in Flammen aufge- hen wird, sei eine Abordnung angereist, wird später gemeldet. Die Menge jubelt, als Elsässer das Podium betritt. Er lächelt, hebt die Faust zum Gruß. Überall sieht man Plakate mit Motiven des Compact-Magazins. »Mein Name ist Jürgen Elsässer«, hallt es endlich in seinem unverkennbaren badischen Dialekt über den Platz. »Ich bin Deutscher und ich werde nicht zulas- sen, dass dieses Land vor die Hunde geht!«
Elsässer tritt im schwarzen Mantel auf, trägt sonst bei seinen Vorträgen meist Anzug und Krawatte. »Wir sind hier die neue Mitte!«, ruft er. »Die Extremisten und Faschisten sitzen in Berlin in der Regierung!« Als er vor über einem Jahr erstmals bei Legida sprach, hatte er noch erklärt: »Wir sind keine Aus- länderfeinde.« Seitdem ist auch in der Rhetorik Elsässers viel passiert. Heute hetzt er gegen »Gang-Bang-Migranten« und die »Türken, Araber und andere asoziale und schlecht erzogene Orientalen« – er weiß, wie er auf einem sächsischen Markt- platz Applaus kriegt. Er spricht vom »Hass auf das eigene Volk«, der die deutschen Eliten treibe. »Wir lassen uns nicht betrügen durch Humanitätsschwindel!«, gibt er als Losung aus. Immer wieder wird seine Rede durch Sprechchöre unterbrochen. »Wir dürfen nicht zulassen, dass wir auf zwölf dunkle Jahre reduziert werden«, fordert er. Er spricht von der »Islamisierung«, der »Kolonisierung und Invasion«. Und vom Widerstand. In prophetischen Worten beschwört er den Weg zum Umsturz: »Jetzt, in diesem Frühjahr, können wir in die Offensive gehen. Das Regime hat Angst vor uns!« Er träume davon, hier wird seine Stimme weich, fast andächtig, dass »aus dieser Bevölke- rung, einer amorphen Masse atomisierter Individuen, dass aus dieser gesichtslosen Masse wieder ein Volk wird.«
Den rechten Demagogen mimt Elsässer mit bemerkenswerter Routine, setzt vor den verächtlichen Worten geübte Pausen, reckt das Kinn nach oben. Selbst seine grauen Haare trägt er seit einiger Zeit an den Seiten kurz rasiert. »Volk« und »Heimat« sind Begriffe, die den Menschen vor ihm offenbar fehlen, Elsässer gibt sie ihnen. »Ihr kommt aus einer historischen Region. Hier schlug immer das industrielle Herz Deutschlands und das romantische Herz Deutschlands«, ruft Elsässer. »Jawoll!«, rufen die Menschen zurück, sie jubeln. Nun hat er das Massenpublikum gefunden, das er als Linker nie hatte.
Es ist schwer zu sagen, was dieses Volk, das sich an diesem Tag versammelt hat, tatsächlich vereint. Da stehen ältere Ehe- paare und händchenhaltende Teenager neben Halbstarken in Jogginghose und Picaldi-Pulli, Mitglieder eines »Bürgerforums« mit Friedenstaube am Revers neben der »Heimatschutzbri- gade Plauen«. Elsässers Nachredner kandidierte einst für die NPD, viele der Demonstranten sind offensichtlich Neonazis. Männer mit Strickmützen in Reichsfarben trinken heimlich Schnaps, während Familien mit kleinen Kindern »Volksver- räter« rufen.
Die winzige Gegendemonstration ist da schon längst vom Platz gedrängt. Zu aggressiv war die Menge sie angegangen. »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!« und »Widerstand! Widerstand!«, schallte es aus tausend Kehlen, nur die Polizei konnte Schlimmes verhindern.
Was haben diese Leute, Elsässers Publikum, gemeinsam? Die Antwort könnte lauten: Sie alle haben die Sehnsucht, gehört zu werden. Warum hören sie hin bei »Volk« und hören weg, wenn die Gegendemonstranten fragen: »Um welchen Preis?«? Sie jagen sie fort, sie wollen den Zweifel nicht hören. Sie wollen sich gut fühlen an diesem Abend, sie wollen gehört werden. Elsässer macht den Menschen hier, den vermeintlich abgeschlagenen Ossis, ein Identitätsangebot, das ihnen sonst niemand macht. Er gibt ihnen Halt. Doch wer spricht hier wirklich? Und wer hört zu?
Umsturzpläne am Wahlabend
Für die meisten Menschen ist es bloß irgendein unseriöses Heft mit reißerischen Titelbildern, über das man in letzter Zeit immer öfter im Bahnhofskiosk stolpert. Für Tausende treue Leser aber ist die Compact viel mehr. Wahrheiten, die ihnen die »Mainstreammedien« und »Blockparteien« verschweigen, werden ihnen hier enthüllt – und ihre Ressentiments bestätigt. Den Chefredakteur Jürgen Elsässer verehren sie dafür wie einen Helden. Im düsteren Boulevardstil warnt das Blatt vor der fremden Bedrohung und seit Monaten geht es umwenig anderes als »Morde, Massaker und Migranten«. Auch Interviews mit AfD-Spitzenpolitikern erscheinen regelmäßig: Gauland, Petry, Höcke. Ein Nischenblatt für Verschwörungstheoretiker ist die Zeitschrift schon lange nicht mehr. Manchmal scheint es, als habe das Magazin weniger Leser als vielmehr Jünger, Fußsoldaten im Infokrieg, die immer wieder dazu aufgerufen werden, sich für die Zeitschrift einzusetzen: »Sorgen Sie so dafür, dass wir immer stärker werden – und unsere Gegner in den Teppich beißen«, fordert Elsässer sie auf. Im Webshop werden »Bekenner«-Utensilien verkauft, die ihre Träger als Compact-Anhänger zu erkennen geben. Als die Pegida-Aufmärsche begannen, erkannte Elsässer gleich großes Potenzial. »Liebe Leute, das ist der Wahnsinn! So etwas gab es zuletzt vorzig Jahren!«, konnte er sich vor Begeiste- rung kaum halten. Im letzten Jahr sei die Auflage dann auch »explodiert«. Mehr als 100.000 Leser erreiche man nach eigenen Angaben bereits jeden Monat, die Compact-Website hätten allein im Januar 2016 mehr als zwei Millionen Besucher angeklickt – und auf keiner asylfeindlichen Demonstration im Land scheinen die Compact-Plakate zu fehlen. Bei einer AfD-Demo Anfang März in Jena platzierten zwei Polizisten ein Compact-Magazin sogar deutlich sichtbar hinter der Frontscheibe ihres Einsatzfahrzeuges. »Dies ist eine Warnung an die Gesinnungsjäger: Hände weg von den aufrechten Polizisten!«, schlachtete Elsässer den Vorfall später auf seiner Blog-Seite aus. »Polizei, Armee und Volk stehen zusammen – gegen das Regime! Und legt Euch nicht mit COMPACT an – denn wir haben auch Freunde bei denen, von denen Ihr glaubt, dass sie Euch und Eure Geheimnisse schützen ...«
Auch bei den beginnenden Legida-Demos in Leipzig soll Werbung für Compact gemacht worden sein. Dreimal trat Elsässer dort bereits als Redner auf. »Meine Zielgruppe ist das Volk«, ruft er dann ins Mikrofon – »Und ihr seid das Volk!« Die allgegenwärtigen Demo-Plakate mit Compact-Titelbildern werden den Lesern auf der Website kostenfrei angeboten. Ein Geniestreich des Politmarketings: Woche für Woche wird so in Dresden, Leipzig und anderswo nicht nur gegen die Überfremdung demonstriert, sondern auch für die Zeitschrift Werbung gemacht. Ein Titelbild vom Januar 2015, das eine verschleierte Angela Merkel zeigt, wurde gar zum zentralen Symbol der Pegida-Bewegung. Während Elsässer den nationalen Widerstand beschwört, baut er so auch an seinem eige- nen kleinen Medienimperium. Ein Video-Kanal und eine monatliche Nachrichtensendung haben Tausende Zuschauer und Vortragsveranstaltungen im Umland, in Altenburg, Audenhain oder Wittenberg, ziehen oft Hunderte zahlender Besucher an. Die regelmäßigen »Souveränitätskonferenzen« sind spektakelhafte Großevents. Selbst Compact-Gruppenreisen sind im Angebot – »Sachsens Glanz und Preußens Gloria« heißt es da zum Beispiel. 885 Euro kostet die viertägige Reise entlang der Elbe. Co-Reiseleiter ist der Honecker-Neffe und Elsässer-Kumpel Peter Feist.
Als im März die AfD bei den Landtagswahlen triumphierte, berichtete Compact erstmals live von einer Wahl, aus einem Raum in Magdeburg. Vier Stunden lang wurden dem Zuschauer hier Kommentare der Wahlergebnisse geboten, dazu gaben sich Vertreter des rechten AfD-Flügels die Klinke in die Hand: Der Ex-Leipziger Hans-Thomas Tillschneider, der jetzt im Landtag sitzt, Andreas Kalbitz aus Brandenburg, Björn Höcke. Der Gewinner des Abends, André Poggenburg, dessen Landesverband mehr als 24 Prozent der Stimmen erhalten hatte, stand spät am Abend mit einem Glas Bier im Compact-Studio und ließ sich zu seinen Umsturzplänen befragen. »Wir müssen doch einen Weg finden, dieses Regime vor 2017 loszuwerden«, insistiert Elsässer mit den Händen fuchtelnd. Poggenburg weicht aus, verweist auf die Bundestagswahl, doch Elsässer lässt nicht locker: »Ich gehe immer von der Demonstration der 500.000 in Berlin aus. Also, wie kriegen wir das hin? Muss die AfD das machen, oder müssen es andere machen?« Elsässer wirkt besoffen, wedelt mit den Händen, gerät ins Wanken, steckt die Hand in die Tasche, fängt sich wieder. Dreieinhalb Stunden Live-TV hat er hinter sich. Der große Sieg der AfD! Irgendwann muss selbst Poggenburg verlegen grinsen, doch in einem ist man sich an diesem Abend einig: Die AfD müsse »Bewegungspartei« bleiben, wie es Björn Höcke immer gefordert hatte, müsse außerhalb der Parlamente und auf der Straße wirken. Und da ist Elsässer dabei.
Populist sucht Volksbewegung
Eine besondere Rolle spielen bei seiner Art von Journalismus Verschwörungstheorien, der Kampf gegen die ausländischen Finanzeliten, denen das Volk geschlossen begegnen müsse. Eine Antifa-Aktivistin aus Leipzig hält das für Elsässers Erfolgsrezept: »Rechte Bewegungen haben es früher selten aus ihrer Nische geschafft oder sind irgendwann zersplittert.« Elsässer aber bringe die Leute zusammen. Der Kampf gegen die Ban- ken, gegen Amerika, gegen den Krieg, gegen TTIP, die Eliten, die Lügenpresse und eben auch gegen die Einwanderung und »Islamisierung« – bei Elsässer ist das alles irgendwie eins. Ihren Durchbruch auf der Straße feierte diese Art des Populismus vor zwei Jahren, auch in Leipzig, bei den damaligen sogenannten Montagsmahnwachen. Vom 9/11-Truther zum christlichen Fundamentalisten, vom Öko, der sich vor TTIP fürchtet, bis hin zum harten Nazi: Sie alle werden in der Compact etwas finden, das sie anspricht. Als 2008 die Finanzkrise die Welt verunsicherte, war das für Elsässer offenbar das Signal, um eine neue Volksbewegung anzuzetteln. Die alten Gegensätze von Links und Rechts müssten überwunden werden, forderte er immer wieder. Es sei Zeit für eine »Achse Paris–Berlin–Moskau« gegen das angelsächsische Wirtschaftsmodell. Seine neu gegründete »Volksinitiative gegen das Finanzkapital« sollte diese Querfront bilden. Er wollte aus dem linken Ghetto ausbrechen – doch stattdessen manövrierte er sich schnell ins politische Abseits. Viele Linke spürten schon damals das reaktionäre Potenzial einer solchen Rhetorik und weigerten sich, Elsässer zu folgen. Auch die Zeitung Neues Deutschland, wo Elsässer unter Vertrag stand, trennte sich von ihm. »Dieses auf einen äußeren Feind orien- tierende Projekt hat nichts mit den tragenden redaktionellen Grundsätzen des ND zu tun», erklärte die Zeitung im Januar 2009. »Wir sind (...) kein publizistisches Instrument für alte Irrtümer.« Es schien, als sei Elsässer am Ende, aber bald brach er auf zu neuen Ufern. Erstmals erschienen seine Beiträge auf der Seite des Kopp-Verlages, Heimat vieler rechter und verschwörungstheoretischer Autoren. Beim Kai-Homilius-Verlag startete eine DVD- und Buchreihe unter dem Label »Compact« zu erscheinen. Seine ehemaligen Kollegen von der linken Presse begannen dafür, ihn mit scharfer Kritik und sogar Spott zu überschütten: Für die Jungle World war eine Veranstaltung sei- ner »Volksinitiative« bloß »ein diffuser Haufen von etwa 500 verzweifelten Wahrheitssuchenden«. Seine alten Kollegen vom Neuen Deutschland wurden noch deutlicher. Die Initiative habe sich als »Sackgasse« erwiesen, schrieben sie zehn Monate nach seinem Rausschmiss. »Statt in der Mitte der Gesellschaft tummelt sich ihr Wortführer Jürgen Elsässer mittlerweile in einem unappetitlichen Milieu von Verschwörungstheoretikern, Islamisten und extrem Rechter.«
Nachdem alle Brücken zur linken Presse abgebrochen waren, tauchte Elsässer ein in die Netzwerke der Wahrheitssuchenden. Auf Seiten wie SteinZeit.TV, NeueHorizonte.TV oder NuoViso buhlt eine kleine Szene um Zuschauer. Man veranstaltet Kongresse, führt miteinander lange Gespräche – nur gegenseitige Kritik gibt es nicht. Anstatt wie erträumt eine Allianz »von Lafontaine bis Gauweiler« zu schmieden, begann Elsässer mit so dubiosen Figuren zusammenzuarbeiten wie dem Filmemacher Michael Vogt, der 2007 seine Honorarprofessur an der Universität Leipzig verlor, als man ihm unter anderem Umgang mit Rechtsextremisten vorwarf. Heute betreibt Vogt die verschwörungsesoterische Seite Querdenken.tv und sitzt oft mit Jürgen Elsässer für Compact.tv gemeinsam vor der Kamera. Auch bei der Leipziger Filmproduktionsfirma NuoViso, die mit Querdenken.tv und ähnlichen Seiten ein Netzwerk bildet, erschienen lange Zeit regelmäßige Interviews mit Elsässer. Seine monatliche Nachrichtenshow Compact.tv wird später in Zusammenarbeit mit der Firma NuoViso entstehen, die auch Videos der Compact-Konferenzen vertreibt. Zum zehnten Jahrestag des 11. September 2001 schließlich veranstaltete Elsässer seine eigene Konferenz in Schkeuditz bei Leipzig, dieses Mal bereits unter dem Compact-Label.
Aber warum eigentlich Leipzig? Elsässer hat viele Wandlungen vollzogen auf seinem Weg vom linken Journalisten nach rechts außen. Eine Konstante aber blieb: der Hunger, etwas Großes zu bewegen, etwas richtig Revolutionäres auf die Beine zu stellen. Bevor er sich als rechter Demagoge neu erfand, führte ihn dieser Weg in die Nischenwelt der Verschwörungstheoretiker – und es war unter anderem in Leipzig, wo ihm dieses Netzwerk der Wahrheitssuchenden eine neue Heimat bot.
Geburtsstunde einer neuen Bewegung
Selbst im Sakko sieht Frank Höfer mit seinem Dreitagebart und den ausgewachsenen Haaren noch aus wie ein lässiger Dauerstudent. Gelassen und freundlich erklärt er in seinen Videos oft stundenlang die Welt. Er wirkt unauffällig, doch sein Beruf ist außergewöhnlich: Seit Jahren betreibt er die Filmproduktionsfirma NuoViso, die in ihrem Studio in der Leip- ziger Südvorstadt Filme zu verschwörungstheoretischen The- men produziert und vertreibt. Es ist eine wilde Mischung, die einem hier geboten wird: Kornkreise, Ufos, Esoterik und Quantenphysik, und dazu Aufklärung über die Bilderberger und das Geldsystem. Und immer wieder Höfers Herzensange- legenheit: die Wahrheit über den 11. September.
Jahrelang arbeitete Höfer als Cutter für das öffentlich-rechtliche Fernsehen, doch das Vertrauen in die Medien habe er längst verloren, berichtet er. »Die Massenmedien lügen einfach viel zu oft«, ist er sich sicher. Auf Anfragen des kreuzer reagierte er abweisend, denn er habe auch persönlich schlechte Erfahrungen mit Interviews gemacht. Als vor zwei Jahren die Ukrainekrise eskalierte, breitete sich eine merkwürdige Friedensbewegung in Deutschland aus, die sogenannten Montagsmahnwachen, welche auch in Leipzig viel Anklang fanden. Ein wilder Mix aus Friedensbewegten fand sich da regelmäßig um ein paar Lautsprecher zusammen und redete über den dritten Weltkrieg, vermischt mit oft kruden Theorien. Auch Jürgen Elsässer schmiss sich ins Getümmel. Da war plötzlich die Federal Reserve im Spiel, und die Rothschilds, schnell standen Antisemitismusvorwürfe im Raum. Die meis- ten Demonstranten aber waren vereint darin, dass sie den Medien und dem Establishment längst nicht mehr glaubten. Auch in Leipzig nutzten Rechte die Friedensdemos als Bühne. Ein gewisser Markus Johnke, der heute die Legida-Demonstrationen organisiert, probierte sich als Agitator aus.
Frank Höfer begleitete die Mahnwachen in ganz Deutschland monatelang mit der Kamera und produzierte einen Doku- mentarfilm. Als sich große Medien für ihn interessierten, gab er bereitwillig Interviews, doch später fühlte er sich manipuliert. Spiegel, FAZ, ARD, Arte, »allesamt haben meine Aussagen verdreht«, sagt er nun. In seinen Studioräumen will er nicht besucht werden, doch per E-Mail beantwortete er einige Fragen.
Mit Elsässer verband ihn die Skepsis gegenüber der offiziellen Version vom 11. September. Im Jahr 2009 veranstaltete Frank Höfer dazu eine »geopolitische« Konferenz in Leipzig. Die Resonanz war überwältigend: Mehr als 700 Verschwörungs- fans folgten der Einladung. Es schien, als habe das Thema echtes Potenzial – ein Gedanke, der wohl auch Jürgen Elsässer gekommen sein muss. Von der Konferenz existiert ein Video, auf dem man ihn neben anderen Rednern auf einer Bühne sitzen sieht. »Was wir hier erleben«, sagt Elsässer dem begeis- terten Publikum, »ist die Geburtsstunde einer neuen Bewe- gung!« Und eine neue Bewegung könnte genau das gewesen sein, wonach Elsässer in diesem Moment auf der Suche war.
Compact Konkret und Russlands Einfluss
Aber Elsässer war offenbar zu ehrgeizig und talentiert, um dauerhaft in dieser kleinen Welt der Spinner, Zinskritiker und Don-Quijote-haften Kleinstparteiler zu bleiben. Endlich musste eine eigene Zeitschrift her. Mit kaum mehr als 25.000 Euro Startkapital war zwar auch das 2010 gegründete Compact- Magazin ein bescheidenes Unternehmen, doch über die Jahre baute sich Elsässer hartnäckig und mit Gespür für poli- tische Stimmungen ein neues Massenpublikum auf. Kaum eine Krise der letzten Jahre, die in der Compact nicht ausgeschlachtet worden wäre, um mit düsteren Storys Auflage zu machen: NSU, Ebola, Terror und Krieg.
Vor allem der Ukrainekonflikt sorgte für Auftrieb. Dass Elsässer dabei strikt eine radikal pro-russische Linie vertrat, machte ihn in den Augen vieler zum mutigen Entlarver der NATO-Propaganda. Gleichzeitig wurde immer wieder der Ver- dacht laut, seine Zeitschrift werde vom Kreml finanziert. Der langjährige Russlandkorrespondent Boris Reitschuster, der in einem bald erscheinenden Buch die russische Propaganda untersucht, ist sich sicher, dass auch Elsässer seinen Teil zur russischen Medienstrategie beiträgt. Er beobachtete bei der Compact »Kontakte zu genau den Organisationen beziehungsweise Personen aus Moskau, die am lautesten davon reden, dass der Westen propagandistisch zu unterwandern ist«. Viele Texte lesen sich »wie aus der Propaganda-Abteilung des Kremls. Da nur an Zufall zu glauben wäre so, wie wenn man bei dicken Rauchschwaden sagen würde, die kommen von alleine, da ist nirgends ein Brand.« Zumindest einige der regel- mäßigen »Souveränitätskonferenzen« organisiert Compact nach eigenen Angaben in Zusammenarbeit mit dem Think Tank »Institut für Demokratie und Zusammenarbeit«, der Reitschuster zufolge aus Russland finanziert werde und hoch- rangige russische Referenten vermitteln konnte. Auf der »Familienkonferenz«, die Compact 2013 in Leipzig veranstaltete, sprach etwa die russische Duma-Abgeordnete Jelena Misulina, die in Russland die neue putinsche Familienpolitik mit ausarbeitete, in der auch der Status der Homosexuellen behandelt wird.
Die zu Beginn unklare, zwischen rechts und links schillernde Ausrichtung der Zeitschrift war dabei wohl auch ein Versuch, möglichst viele Leute mit ins Boot zu nehmen. »Die einen gehen in dieses Spektrum, die anderen gehen mehr in jenes Spektrum, und am Schluss haben wir alles zusammen und haben ’ne Mordspower!«, hatte Elsässer schon auf der Leipziger NuoViso-Konferenz als Losung ausgegeben. Selbst musli- mische Autoren fanden lange ein Forum. Das Rezept ging auf und die Auflage stieg. Figuren wie der Ex-Bundesminister Andreas von Bülow oder der ehemalige Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes Helmut Roewer verliehen der Compact eine Aura des Seriösen. Doch während man sich immer mehr Namen politischer B-Promis an die Brust heften konnte, blieben die linken Stimmen zunehmend weg und die rechte Schlagseite wurde stärker. Auch die Qualität habe immer mehr abgenommen, sagt der ehemalige Compact-Autor Utz Anhalt. »Es wurde immer rechtslastiger und verschwörungs- theoretischer. Immer öfter wurden einfach Gerüchte aufgegriffen und nicht mehr kritisch gegenrecherchiert«, erinnert er sich. Heute bestehen Beiträge der Zeitschrift oft aus zahlreichen Zitaten anderer Pressequellen, die so arrangiert werden, dass sie dem gewünschten Narrativ entsprechen – erstaun- lich für ein Magazin, das angeblich den Mainstreammedien nicht vertraut.
Radikalisierungstendenzen
Als sich Elsässer 2014 Pegida verschrieb und auch die AfD wohlwollend begleitete, befand er sich bereits seit Jahren auf Rechtskurs. Die Montagsmahnwachen hatten sich da schon lange totgelaufen, viele der Protagonisten der Friedensbewegung sich von Elsässer wegen dessen Äußerungen distanziert. Jetzt musste ihm auch sein Duzfreund Yavuz Özoguz, Betreiber der Webseite Muslim-Markt, mit dem Elsässer wenige Jahre zuvor noch in den Iran zu einer Audienz bei Mahmud Ahmadinedschad gereist war, herzzerreißende Briefe schreiben, in denen er bitter beklagte, dass Elsässer mit »Islamhassern« gemeinsame Sache mache.
»Elsässer hat erkannt, dass es Nachfrage gibt bei diesen Themen und diesem Meinungsbild. Dieses und nichts anderes bedient er«, sagt auch Frank Höfer von NuoViso. »Und zweistellige Wahlergebnisse für die AfD zeigen ja, dass Compact damit völlig recht hat.« Vorwerfen wolle Höfer ihm das nicht, obwohl er selbst seit einem Jahr keine Interviews mehr mit Elsässer führe, weil er dessen politischen Weg nicht mitgehen wolle.
Erstmals fand die Compact auch beim Bundesverfassungsschutz Erwähnung, auch wenn dieser den Namen des Magazins nicht nannte. Unter der Überschrift »Radikalisierungsten- denzen im ›rechten‹, nicht offensichtlich extremistischen Spektrum« heißt es: »In jüngster Zeit aber sind im publizis- tischen rechtsintellektuellen Spektrum Aussagen getroffen worden, die an frühere Gewaltdiskussionen im Linksextre- mismus (Stichwort »Militanzdebatte«) erinnern. Zwar spricht sich die überwiegende Mehrheit der Autoren solcher Beiträge gegen einen gewaltsamen Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse aus, es ist jedoch bezeichnend, dass ein solcher Umsturz in einem rechtsintellektuellen Umfeld überhaupt diskutiert wird. In einzelnen Magazinen finden sich sogar Auf- rufe an Polizisten und Soldaten, den Dienst zu verweigern und stattdessen die Grenzen der Bundesrepublik zu sichern.« Besagten Aufruf hatte Elsässer an die Bundeswehr gerichtet. »Eine Regierungschefin hat nicht das Recht, Volk und Staat zu zerstören«, erklärte er damals.
Schon im November 2015 sagte er in einer Rede: »Opposition ist, wenn ich sage: Das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich sage, das, was mir nicht passt, das soll auch nicht passieren. Und wir müssen den Schritt von der Opposition zum Widerstand gehen!« Er zitierte damit, nur leicht abgewan- delt, die spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, die einst mit diesen Worten den Weg der APO in die Militanz beschrieb. Zu Gewalt rief Elsässer nie auf. Aber eine rechte außerparla- mentarische Revolte, eine radikale Bewegung, welche die Ver- hältnisse zum Tanzen bringt, mit ihm an der Spitze – das wäre wohl ganz nach seinem Geschmack.
Eines ist klar: Elsässer fängt gerade erst an. Der ideologische Zickzackkurs, den er sein Leben lang fuhr, ist an sein Ende gelangt: Aus der rechten Ecke dürfte er nicht mehr herausfin- den. Aber da will er offenbar noch Großes auf die Beine stellen. Anders als die Pegida-Clique, die kaum einen klaren Gedan- ken fassen kann, hätte er wohl auch das Zeug dazu. Und sein Ton wird schärfer. Gemeinsam mit Verbündeten aus dem rechten Lager unterstützte Elsässer Ende des letzten Jahres eine Verfassungsbeschwerde, welche die angeblich rechtsbrecherische Asylpolitik der Regierung beenden sollte. Doch die Beschwerde wurde abgewiesen. »Nach diesem skandalösen Entscheid der Karlsruher Richter ist der juristische Weg gegen den Asyltsunami versperrt«, schrieb Elsässer daraufhin empört auf seinem Blog. Jetzt bleibe nur noch der politische Widerstand.