Eine Ausstellung des F/Stop-Festivals sorgte für Irritationen, weil sie historische Zusammenhänge ignoriert. Damit zeigt sie, dass Dialoge über Kunst immer wieder geübt werden müssen und dass es viel schwerer ist, sie im realen Raum zu ertragen als Likes zu setzen.
Es ist Samstag – der vorletzte Tag beim Fotofestival –, junge Männer stehen auf der Spinnerei vor dem Archiv Massiv und verteilen A5-Zettel. Einen Tag später stehen sie wieder da. Sie protestieren gegen die Ausstellung »Enough! The Natural Violence of the New World Order« von Ariella Azoulay, wie es bereits am vergangenen Mittwoch das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus in Leipzig auf Facebook getan hat: »Die israelische Künstlerin wirbt dort in Form einer Foto-Ausstellung für einen Geschichtsrevisionismus, der seinesgleichen sucht.«
Was war da im Archiv Massiv geschehen?
Ariella Azoulay, geboren in Tel Aviv, lehrt als Professorin für Medien und Kultur der Moderne am Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft der Brown University in Providence. Im Katalog ist weiter zu lesen, dass sie als Kuratorin und Filmemacherin arbeitet und dort findet sich eine Auflistung ihrer vergangenen Ausstellungen und Publikationen. Bei F/Stop zeigte sie eine Installation, bestehend aus Fotografien, Büchern und Kopien, die sich mit dem Jahr 1945 auseinandersetzt und den Versuch »des Eingreifens in die imperiale Grammatik der Fotoarchive« unternimmt.
Wer sich über die F/Stop-Homepage informieren möchte, der merkt seit Sonntagabend, dass der Button »Ausstellungen« deaktiviert ist. Unter dem Link F/Stop Solo findet sich bereits seit Sonntagnachmittag zu »Enough! The Natural Violence oft he New World Order« lediglich noch der letzte Absatz von dem vormaligen, langen Ankündigungstext. Auf kreuzer-Anfrage gab es keine Antwort seitens der Organisatoren für diese Schritte.
Was regte den Protest an? Ariella Azoulay zeigt in sieben Kapiteln ihre Sicht auf das Jahr 1945. Das erste Kapitel stellt sie unter dem Titel »Die Naturgeschichte der Vergewaltigung« im Festivalkatalog vor. (1) Darin thematisiert sie die Massenvergewaltigung von Berliner Frauen und Mädchen durch die alliierten Soldaten. Hierbei geht es ihr um die systemunabhängige Männerherrschaft und die Frage, warum keine Fotografien von Vergewaltigungen existieren. In weiteren Kapiteln werden Menschenansammlungen im öffentlichen Raum gezeigt, die sich gegen Hungersnot und für demokratische Rechte einsetzen. Das Kapitel »Books Not in Their Right Place« beispielsweise behandelt die Überführung von Büchern aus europäischem jüdischem Besitz nach Israel und in die Kongressbibliothek nach Washington.
In der Ausstellung wie im Katalog sind Fotografien sowohl mit der Vorder- als auch Rückseite zu sehen. Auf der Rückseite sind Bildbeschreibungen notiert wie auch das Archiv und Registriernummern. In der Publikation sind sie durchnummeriert und tauchen so im Text auf. Das stellt an sich eine Schwierigkeit dar, denn die Quellen werden nicht offengelegt: Was fand Azoulay wo und in welchem Zustand? Und um die Macht eines Archivs verstehen zu können, sollte zuvorderst gefragt werden: Was sammelt eine Institution und vom wem stammen Fotografien und wer beschreibt sie wie?
Die von dem Bündnis vorgetragene Kritik an ihrer Installation bezieht sich auf vier Punkte – wie auf dem Flugblatt »Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht. Gegen die verschwörungstheoretische Ausstellung ›The Natural Violence of the New World Order‹ auf dem F/Stop-Festival« nachzulesen ist:
Die Verwendung des Begriffs »New World Order« als Verweis auf rechte Verschwörungstheorien, die Pauschalisierung von Alliierten als Täter, die Verharmlosung des Nationalsozialismus, die Opferrolle der deutschen Frau und deutschen Bevölkerung durch die Kolonialisierung Deutschlands sowie der nicht deutlich vorgetragene Holocaust.
Am Sonntag reagierte Co-Kurator Jan Wenzel auf den Facebook-Protest vom Mittwoch. Dabei betonte er, dass nur innerhalb der Kunst das Menschenrecht des Irrens herrsche. Er spricht gar von einer »persönlichen Irrfahrt« der Künstlerin, die sich aus ihrer Biografie ergibt und bedankte sich für die Kritik. Denn Wenzel sieht die Ausstellung als ein »Ärgernis«, weil Azoulays Lektüre zum Jahr 1945 wesentliche »historische Tatsachen und Kontexte« ignoriert. Er vermisst aus früheren Arbeiten »die Genauigkeit in der Auseinandersetzung mit Bildern« zugunsten »einer großen Verschwörung«. Hier solle Kritik einsetzen und eine Ausstellung biete einen Ort dafür: »In dieser Weise verstehe ich das Festival als gesellschaftlichen Raum, als einen Ort der Co-Produktion von Erfahrung.«
So wurde am Sonntagnachmittag ein Gesprächstermin in der Ausstellungssituation anberaumt. Ungefähr 50 vorwiegend junge Menschen kamen samt den F/Stop-Organisatoren – neben Jan Wenzel die Co-Kuratorin Anne König. Wenzel erklärte nochmals, dass ein Festival ein Ort der Kommunikation darstelle. Die Einladung von Ariella Azoulay entstand aus der Anerkennung der Methode, wie sie Bilder lese. 1945 erschien im Zusammenhang mit dem Festival als ein interessanter und wichtiger Punkt. Diskussionen gab es bereits im Vorfeld – auf genauere Umstände ging das Kuratorenteam dabei nicht ein.
Die Gruppe der Kritiker ging davon aus, dass die Ausstellung falsch sei durch die Kombination aus New World Order, Verharmlosung der NS-Zeit und Holocaust und dass sie weit hinter den Debatten bleibt, die in den letzten Jahrzehnten geführt worden sind.
Über die Dauer des Zusammentreffens – von Gespräch konnte keine Rede sein, dazu wurde viel zu sehr aneinander vorbei kommuniziert – fand sich keine gemeinsame Ebene, um die jeweilige Kritik auf eine sinnvolle Art und Weise zu verhandeln. König/Wenzel verstehen die Position des Kurators nicht als Polizisten, der die Kunst von der Wand reißt, während die Kritiker den moralischen Anspruch und die historische Wahrheit ins Feld führen, um gegen den für sie von der Künstlerin praktizierten Geschichtsrevisionismus vorzugehen.
Die Zuhörer lernten zudem vom F/Stop-Team, dass Ausstellungen keine Lexika seien und das Archiv Massiv nicht das Deutsche Museum – was im Umkehrschluss zur Folge hatte, dass hier die anfangs eigenen, vorgetragenen Bedenken gegenüber der künstlerischen Arbeit verworfen wurden. Offensichtlich darf nur derjenige Kritik äußern, so seitens des Festivals, der über ein dazu berechtigtes Studium verfügt. Dieser Logik folgend dürfte sich das zukünftige Betätigungsfeld einiger Kunstschaffender stark einschränken.
Letztlich wurde deutlich, dass wenn ein Unbehagen der Organisatoren herrscht, es für alle hilfreich gewesen wäre, dieses auch klar zu artikulieren – und sei es in Form eines Textes, der Stellung bezieht.
Das findet in unseren Breiten leider sehr selten statt. Viel lieber werden Netzwerke gefüttert, Einladungen dienen der Austauschökonomie und alle lesen die angesagten Diskursblätter und liken sich auf Facebook. Das steigert das symbolische Kapital – die inhaltliche Arbeit und Formfindung leiden seit Jahren darunter. Und über die formalästhetischen Aspekte hinaus sollte dringend durch gemeinsames Reden an einem Thema gefeilt werden. Da herrscht vor Ort noch sehr viel Luft nach oben, denn das Löschen von Inhalten auf der Homepage stellt keine besonders reife Leistung dar.