Ein Bündnis des Vereins Peperoncini, des Initiativkreises Menschenwürdig und der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel beschäftigt sich derzeit mit der Abschiebung von Raisa D. Die abgelehnte Asylbewerberin wurde Anfang April ohne ihren 13-jährigen Sohn von Grimma nach Polen abgeschoben.
Die Polizei kommt morgens um sechs Uhr in eine Wohnung in Grimma, es ist der 5. April. Raisa D., eine alleinerziehende Mutter, die seit über drei Jahren in Deutschland lebt, und ihr 15-jähriger Sohn werden abgeschoben. Ihr zweiter Sohn, 13 Jahre alt, ist nicht zu Hause, er schläft bei einem Freund. Die Polizei telefoniert mit der zuständigen Behörde, bekommt ein OK, und der minderjährige Sohn bleibt ohne Betreuung und Information in Grimma zurück.
Heute, rund zwei Monate später, zeigt Raisa D. Handy-Fotos von Torten, die sie gebacken hat, farbenfroh, mehrstöckig und lecker aussehend. Sie wollte in einer Konditorei arbeiten, ihr ältester Sohn hatte in der Schule in Grimma schon berufsbegleitende Kurse. Zusammen mit dem jüngeren Kind wollten sie nach Leipzig ziehen. Aber daraus wird erst mal nichts, Raisa packt jeden Abend ihre Tasche und rechnet mit einer weiteren Abschiebung im Morgengrauen.
Raisa D. erzählt von ihrer Flucht. Vor sieben Jahren sei sie mit ihren Kindern aus Tschetschenien ausgereist, der Kaukasusrepublik, in der sich die russische Armee und Separatisten seit vielen Jahren Gefechte liefern. D. wollte ihrem Mann entkommen, der sie schlug. Auch die Polizei habe sie verfolgt und verdächtigt, ihren Mann zu verstecken, der als Islamist gesucht wurde. In Polen stellte sie einen Asylantrag, aber dort habe es keine Behandlung für ihre psychiatrische Erkrankung gegeben, sagt sie, nur starke Antidepressiva. Also floh sie weiter zu Verwandten nach Österreich. Dort fing sie eine Therapie an, wurde aber nach drei Monaten wieder nach Polen abgeschoben.
Inzwischen habe ihr Mann die Adresse in Polen ausfindig gemacht und nach ihr gesucht. Die Lage sei aussichtslos geworden, auch den Kindern ging es immer schlechter, also reiste die dreiköpfige Familie 2012 weiter nach Deutschland. Dort lebte sie zwei Jahre im Heim in Bahren, später in einer eigenen Wohnung in Grimma. Die Jungs gingen zur Schule, schlossen Freundschaften, Raisa belegte Sprachkurse und machte Pläne. Bis sie vor Kurzem wieder nach Polen abgeschoben wurde.
Raisa fragte die sächsischen Polizisten, was denn nun mit ihrem 13-Jährigen passieren würde. Die Beamten antworteten, das Jugendamt würde sich kümmern. Das allerdings sei nicht passiert, kritisiert ein Unterstützernetzwerk aus dem Verein Peperoncini, der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) und dem Initiativkreis Menschenwürdig. Die Unterstützer bewerten dieses Vorgehen der sächsischen Behörden als klaren Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Darin heißt es, dass der Staat bei einer Trennung der Kinder von ihrer Familie über ihren Verbleib Auskunft geben muss und insbesondere für ihre Fürsorge zuständig ist. Auf eine kleine Anfrage im Landtag zu dem Vorfall antwortet Markus Ulbig, es sei alles korrekt gelaufen, das zuständige Jugendamt habe den Jungen aber leider nicht ausfindig machen können.
Raisa D. kam kurze Zeit später wieder zurück nach Deutschland. Sie stellte einen neuen Asylantrag in Chemnitz, ein anwaltlicher Widerspruch gegen die vorangegangene Ablehnung lief auch noch, ihr Arzt hatte medizinische Bedenken angemeldet, was die Abschiebung aber nicht gestoppt hatte. Fünf Tage musste sie in der Erstaufnahme bleiben. In die Wohnung in Grimma durfte sie nicht zurück, erzählt sie. Bei der Ausländerbehörde in der Kleinstadt habe man sie angeschrien, sie solle in Polen sein. Dann wies man ihr einen Heimplatz in Lobstädt zu, einem kleinen Dorf weit außerhalb, obwohl im Heim in Grimma Platz gewesen sei, wie sie berichtet. Die Kinder könnten nun nicht mehr in die Schule gehen, die Schulbücher seien weg, keine Behörde habe sich weiter darum gekümmert, erzählt die Mutter,
Raisa D. hat Strafanzeige gestellt, damit ermittelt wird, wer genehmigte, dass eine alleinerziehende Mutter ohne ihr minderjähriges Kind abgeschoben wird. Unterstützung bekommt sie dabei von Peperoncini. Die Initiative aus Leipzig, die für den taz.panter-Preis nominiert ist, sammelt Minibürgschaften, um damit Asylsuchende rechtlich zu unterstützen. Meist geht es um Klagen gegen Abschiebebescheide, dies ist der erste Strafantrag, den sie unterstützen.
Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren mittlerweile eingestellt, »weil eine Verurteilung des Polizisten unwahrscheinlich wäre … Die Anordnung der Behörde sah eine Trennung ausdrücklich vor«. Frau D. hat dagegen Beschwerde eingelegt.
Die regierende CDU in Sachsen fordert bereits seit vergangenem Jahr, Familien bei Abschiebungen trennen zu können. Gegen ein solches Vorgehen haben sich inzwischen mehrere antirassistische Gruppen zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Sie vermuten, Raisa D.s Fall sei nicht der einzige und Sachsen möchte auch auf diesem Gebiet voranpreschen, um die Abschiebezahlen in die Höhe zu treiben.
Raisa erzählt, sie habe die Polizei gebeten, doch bitte zu klingeln, wenn die Beamten früh am Morgen kommen, und nicht gegen die Tür zu hämmern. Sie und ihre Söhne schlafen schlecht und sind mit den Nerven am Ende. Sie beruhigt ihre Kinder: »Hauptsache wir bleiben zusammen«, aber sie sagt auch, dass sie wenig Perspektive für sich sieht, nicht in Polen, und in Tschetschenien schon gar nicht.