Noch neun Nächte – dann wird das Leipziger Fußball-Derby im Viertelfinale des Sachsenpokals um 13 Uhr im Alfred-Kunze-Sportpark (AKS) angepfiffen. Es verbleibt daher noch etwas Zeit, um abseits von Fußballphrasen, Mobfotos und Häuserfassadengemetzel auf das Spiel der BSG Chemie Leipzig gegen den 1. FC Lokomotive Leipzig zu blicken. Denn das Spiel 2016 besitzt einigen historischen Wissensstoff. Gewann Chemie vor 50 Jahren den FDGB-Pokal gegen Lok Stendal, so konnte der 1966 gegründete FC zehn Jahre später einen seiner insgesamt vier FDGB-Pokale in Empfang nehmen.
Der im grauen November melancholisch gestimmte Fußballgeist sucht sich möglicherweise vor dem Beginn des Kartenverkaufs am kommenden Montag ein paar Bewegtbilder längst vergangener Treffen heraus – wie etwa das aus der Saison 1970/71 im Zentralstadion oder blättert in den Fanfibeln von Chemie und Lok und bleibt dort jeweils beim Kapitel zum Erzrivalen hängen.
Davor
Lok und Chemie stiegen zu Beginn der Saison auf. Während sich Chemie derzeit auf Platz zwei der Oberliga befindet, spricht Loktrainer Heiko Scholz von einer »Ergebniskrise«, die seine Elf derzeit in der Regionalliga erlebt. Meint: Nach guten Spielen stehen nicht die erhofften drei Punkte auf der Habensseite. Mit Platz zehn ist der Trainer allerdings zufrieden, denn der zeigt, dass die Mannschaft die höhere Spielklasse bewältigt. Am kommenden Sonntag fährt Lok zum bisher unbesiegten Tabellenführer Carl Zeiss Jena. Bei diesem Spiel hat sein Team nichts zu verlieren, so Scholz gegenüber dem kreuzer, denn ihm zufolge geht es darum, aufzuzeigen, dass Lok mit einer Spitzenmannschaft mithalten kann.
Auch Chemie spielt am Wochenende auswärts. Am Samstag tritt die Mannschaft von Trainer Dietmar Demuth gegen den Tabellenzehnten Brandenburger SC an. Demuth hatte zwar gehofft, dass seine Elf gut in der Oberliga ankommt, aber der derzeitige zweite Platz ist dann doch etwas unerwartet. Und der erfahrene Trainer weiß auch, dass wegen des schmalen Kaders und den herrschenden Trainingsbedingungen mit Leistungsschwankungen zu rechnen ist – wie am letzten Montag beim Nachholspiel gegen Inter Leipzig zu sehen war. Den Spielern fehlte die Frische und Bissigkeit nach dem haushohen Sieg am vergangenen Samstag gegen den TV Askania Bernburg.
Das Viertelfinale
Dass vor dem Anpfiff kein Schwarm von Friedenstauben über dem AKS kreisen wird, gilt als ziemlich sicher. Was die sportliche Perspektive betrifft, so möchte Heiko Scholz mit seiner Mannschaft unbedingt weiterkommen und sieht dafür eine Fifty-fifty-Chance. Für einen Leutzscher Sieg spricht seiner Meinung nach der Heimvorteil, denn die Chemiefans werden den AKS zur Festung machen. Scholz votierte im Vorfeld für eine größere Spielstätte, damit mehr als die jetzt zugelassenen 750 Lok-Anhänger von insgesamt 4.999 Plätzen seine Mannschaft hätten unterstützen können. Außerdem wird der Schiedsrichter laut Scholz eine herausragende Rolle spielen.
Chemie-Trainer Dietmar Demuth, der einige Derbys hinter sich hat – wie St. Pauli gegen den HSV oder Eintracht Frankfurt gegen Kickers Offenbach –, sieht dem Spiel gewohnt ruhig entgegen. Die Tagesform wird den Unterschied ausmachen und zeigen, ob sich der Oberligist gegen den Regionalligisten durchsetzt. Lok sieht er dabei in der Favoritenrolle. Doch mit den Fans im Rücken, denen er für die bisherige positive Saisonbegleitung ein Kompliment ausspricht, sollte einiges möglich sein. Ein volles AKS gab es in dieser Saison bereits einmal – als Eintracht Frankfurt zum Benefizspiel antrat. Das Spiel war nach Chemie-Kapitän Stefan Karau allerdings ein Kindergeburtstag, denn am 13. November findet das Derby statt, und das stellt »für alle Chemie-Spieler das höchste der Gefühle« dar. Torjäger Andy Müller wünscht sich ein Fußballfest, das zeigt, wie zwei Leipziger Vereine ihre Fankultur und ihre Mannschaften feiern. Wobei wir wieder bei den Friedenstauben wären.
Das Spiel beginnt um 13 Uhr, im Bruno-Plache-Stadion findet parallel dazu ein Public Viewing statt. Der MDR überträgt die Begegnung live und beginnt bereits vierzig Minuten vor dem Anpfiff mit dem Schwelgen in alten Zeiten. Wer sich schon früher Wissen aneignen möchte, dem seien die Tipps zum Schauen und Lesen ans Herz gelegt.
Lektüretipps
Freundeskreis Probstheida: 1. FC Lokomotive Leipzig. Fußballfibel. Berlin 2016. 166 S., 9,99 €
Alexander Mennicke: BSG Chemie Leipzig. Fußballfibel. Berlin 2016. 156 S., 9,99 €
Thomas Franke, Marko Hofmann, Matthias Löffler, 1. FC Lok Leipzig (Hg.): 50 Jahre 1. FC Lokomotive Leipzig. Die Chronik in Bildern. 2. Erweiterte Auflage, 34,90 €. Erscheint am 1.12.
Jens Fuge: Steigt ein Fahnenwald empor. 640 S. mit 1.500 Abbildungen. Erscheint am 15.11.