Bei Dok im Knast wurde dieses Jahr auch der Film über Neo Rauch gezeigt. Interessanter waren aber die Kurzfilme, die die Gefangenen selber gedreht haben.
Es gibt Popcorn. Zwei Inhaftierte stehen hinter einer kleinen Popcornmaschine und freuen sich, dass sich alle so darüber freuen. Es ist der dritte und letzte Abend der Reihe Dok im Knast und auf dem Programm steht: »Neo Rauch – Gefährten und Begleiter.«
Eine Auswahl, die etwas verwundert, wenn man weiß, dass die Insassen die Filme selber ausgesucht haben. Am ersten Tag lief der rührende Animationsfilm »My Life As A Courgette«, am Abend zuvor »Fighter« – über Männer, die sich im Käfig blutig schlagen. Warum also jetzt dieses Künstlerportrait? Ein Junge aus der Jury nennt drei Gründe: »Wir fanden es interessant zu sehen, wie die Charaktere der Bilder entstanden sind. Und die Kunst, die Herr Neo Rauch da macht. Außerdem ist er Leipziger – und wir sind ja auch Leipziger.«
100 Minuten später, in denen Gefängnisbewohner und Festivalbesucher zusammen Rauch beim Malen und reiche Sammler beim Stolzsein beobachtet haben, bedankt sich Regisseurin Nicola Graef erst mal »fürs Ausharren«. Und kann selbst nicht glauben, wieso die jungen Männer gerade ihren Film zeigen wollten. »Wir hatten vorher nur Ausschnitte gesehen, wo er malt«, erklärt einer. »Und hier gibt’s ja viele Leute, die sprayen.« Auch die Kunsttherapie, die die Inhaftierten besuchen, hätte bei einigen das Kunstinteresse geweckt. »Aber es ist bei Künstlern echt schwer, die zu verstehen.«
Einer versucht es trotzdem: »Neo Rauch scheint immer auf der Suche zu sein. Und seine Lebensbiografie kann man doch auch in seinen Bildern sehen, oder?«, vergewissert er sich. Graef bestätigt das und die Fragerunde geht weiter:
»Wie lange malt er an so einem Bild?« – »Etwa zwei, drei Monate. Er malt meistens an mehreren Bildern gleichzeitig.«
»Sind wirklich alle seine Bilder sooo teuer?« – »Ja. Ich wollte mal ein ganz kleines kaufen. Aber das hätte 300.000 gekostet.« … »Entschuldigung, haben Sie Dreieinhalbtausend gesagt?«
»Malt der gute Herr wirklich seine Farben leer, obwohl er so viel Geld hat?« – »Ja.«
Dann sind die Insassen selbst dran. Mit Comiczeichner und Filmemacher Schwarwel haben sie in diesem Jahr einen Workshop gemacht, bei dem Kurzfilme entstanden sind. Einer heißt »Freiheit«: Naturaufnahmen, zu denen sich der Inhaftierte Kevin Leicht Gedanken macht, was man alles beim Freiheitsentzug vermisst. »Man weiß ja erst gar nicht, was man hier alles nicht hat. Aber wenn man im Herbst entlassen wird, läuft man erstmal durch ein Laubhaufen«, sagt ein Inhaftierter. »Oder man freut sich über Bahngeräusche. Hier drinnen kann man nur Stimmen hören oder wie die Tür auf- und zugeschlossen wird.« Im zweiten auffällig gut animierten Workshop-Film »Willy« haben Jungen, die sich Jesus Junior oder cash nennen, eine kurze Lebensgeschichte skizzert: Aufwachsen beim Alkoholikervater, anfangen zu kiffen, extrem viel kiffen, dealen, um Geld fürs Gras zu bekommen, einbrechen und rauben, Knast, Freundschaft im Knast, rauchen im Knast, entlassen werden.
Auch im Film »Schachmatt« wird von Aufsteigen und Absteigen, von Königen und Bauern im Gefängnisalltag erzählt. Die Wahrscheinlichkeit, nach der Entlassung wieder im Gefängnis zu landen ist hoch. Bei jungen Männern und den Straftaten Raub und Erpressung liegt die Rückfallquote am höchsten, über 70 Prozent.
»Ich bin zum dritten Mal hier«, sagt einer. Es sei schwer, draußen nicht wieder straffällig zu werden. Meist komme man krimineller aus dem Knast raus, als man reingekommen ist. »Hier lernt man Leute kennen, mit denen man ein bombensicheres nächstes Ding plant«, erzählt einer, den das »bombensichere Ding« wieder zurück in den Knast gebracht hat. »Aber immerhin hat man hier ein Dach über den Kopf und was zu essen.«
Längst geht es nicht mehr um Filme, sondern um das Leben im Gefängnis. »Gibt es hier Rassismus«, will eine Dame aus dem Publikum wissen. Ein Schwarzer antwortet: »Ich bin hier der einzige, der rassistisch ist.« Seine deutschen Kumpels lachen.
Die Aufmerksamkeit und der Applaus für ihre Filme hat den jungen Männern sichtlich ungewohnte Freude gebracht. Auch die Gäste lachen mit, unterhalten sich, fragen nach. Kleine Gruppen stehen zusammen und rauchen. Gegen acht Uhr müssen die Inhaftierte wieder in ihre Häuser. Auch das Popcorn ist alle.