Von Werner Herzogs Grenzerfahrungen ließ sich James Gray nicht abschrecken: Der Regisseur drehte den Dschungelfilm »Die versunkene Stadt Z« auch wirklich im Dschungel. Allerdings wollte seine Hauptdarstellerin Sienna Miller nicht mit nach Südamerika.
Hunger, schlechte Laune, Wutausbrüche: Wer im Dschungel einen Kinofilm dreht, muss sich nicht nur mit Moskitos herumplagen. Regisseur James Gray wollte sein Abenteuerepos »Die versunkene Stadt Z« über den in Vergessenheit geratenen englischen Forscher Percy Fawcett trotzdem im Amazonasgebiet drehen – auch wenn er seine Hauptdarstellerin Sienna Miller nicht mitnehmen konnte. Im kreuzer-Interview erzählen Gray und Miller freimütig von Urwaldängsten, unerforschtem Terrain und der Wichtigkeit von Spaghetti mit Tomatensauce.
kreuzer: Es hat ziemlich lange gedauert, bis Sie »Die versunkene Stadt Z« wirklich machen konnten: Was war Ihnen an dem Film so wichtig, dass Sie so lange an dem Projekt dranblieben?
SIENNA MILLER: Ich traf James vor acht Jahren das erste Mal wegen des Films …
JAMES GRAY: Ehrlich? Ich erinnere mich, dass wir mal zusammen Lunch gegessen haben, weil mich ein paar Agenten fragten, ob ich Lust hätte, Sienna Miller zu treffen. Ich wusste überhaupt nicht, wer das war. Was daran liegt, dass ich überhaupt keine Schauspieler und Schauspielerinnen kenne. Zu meiner Überraschung war Sienna sehr witzig und äußerst charmant. Und offensichtlich warst du auch von Anfang an dabei …
MILLER: Das stimmt. Es ist nicht so, dass ich in der Zwischenzeit nichts zu tun gehabt hätte. Aber am Ende fand ich, dass es die Geschichte wert sei, einen langen Atem zu haben. Allein schon die Vorstellung, dass es diesen Mann gab, der sich in unerforschtes Terrain wagte, ist in unserem Zeitalter, in dem jeder Quadratzentimeter der Erde dokumentiert worden ist, faszinierend.
GRAY: Die englische Schriftstellerin George Eliot sagte einst: »Das Wesen der Kunst ist die Erweiterung unseres Verständnisses.« Das kam mir in den Sinn, als ich die Sachbuchvorlage las. Percy Fawcett fühlte sich unbehaglich – nicht was materielle Dinge angeht, sondern wie die Welt in seiner Zeit wahrgenommen wurde. Seine Geschichte hatte etwas Tragisches, er war Gefangener des Klassendenkens. Niemand schenkte seinen Ideen Gehör, nur weil er nicht adlig genug war.
kreuzer: Es ging Ihnen also um hierarchische Strukturen?
GRAY: Diese Strukturen interessierten mich in der Tat am meisten. Die Oberklasse hat auf Percy herabgeblickt, Percy hat seine Frau in Schach gehalten. Die Hierarchie war etwa, was in der Gesellschaft manifest war. Der weiße Mann blickte seit Jahrhunderten auf Eingeborene herab und versklavte sie einfach. Percys Geschichte las sich wie ein sehr interessanter Gesellschaftskommentar, den ich gerne im Kino sehen wollte.
kreuzer: Wie wichtig war es für Sie, dass Sie die Dschungelszenen wirklich im tiefsten Dschungel drehten?
GRAY: Ich wollte sicherstellen, dass die indigenen Völker korrekt dargestellt werden. Sie sollten nicht von Hollywood-Komparsen gespielt werden, die wild herumlaufen und mit Speeren herumfuchteln. Der Film sollte zeigen, dass sie einst unabhängig von uns existierten – und es heute noch tun könnten. Natürlich hatte ich weitaus wirtschaftlichere Optionen, die Dschungelszenen in Australien, Südostasien oder Südafrika zu drehen. Nebenbei erwähnt: Die Ureinwohner, mit denen wir im Amazonasgebiet drehten, waren die besten Schauspieler, mit denen ich jemals arbeitete. Die Kamera war ihnen völlig egal, sie wussten gar nicht, was das für ein Apparat ist: Sie waren einfach sie selbst.
kreuzer: Werner Herzogs Erfahrungen beim Dreh von »Fitzcarraldo« haben Sie nicht abgeschreckt?
GRAY: Ich habe eine Menge schlechter Eigenschaften, eine davon ist, dass ich absolut nicht auf gut gemeinte Ratschläge höre. Wenn mir also jemand etwas ausreden will, weil es eigentlich unmöglich ist, schalte ich auf stur und ziehe die Sache trotzdem durch. Der ultimative Test ist doch, es selbst zu versuchen: Ich bin froh, dass wir die Dschungelstrapazen auf uns genommen haben. Auch wenn die Dreharbeiten körperlich schrecklich anstrengend waren.
kreuzer: Würden Sie es wieder tun?
GRAY: Ein klares: Nein! Ich bin doch nicht verrückt. Wie oft war Werner Herzog im Dschungel? Ich glaube, mindestens vier Mal, oder? Mir hat das eine Mal gereicht.
kreuzer: Miss Miller, waren Sie eigentlich neidisch, nicht mit den Jungs in den Urwald ziehen zu können?
MILLER: Ich habe sie vermisst, aber es war nicht unpraktisch für mich, zu Hause bleiben zu können.
GRAY: Obwohl ich alles versucht habe, dich in den Dschungel zu holen – und mir sogar extra eine Szene einfallen ließ.
MILLER: Im Nachhinein wäre es sicherlich schön gewesen. Aber ich war sehr zufrieden mit meiner Rolle im Film.
GRAY: Das glaube ich nicht, du hattest Angst!
MILLER: Absolut nicht, ich habe schließlich mal in Guatemala gelebt.
kreuzer: Wie war denn die Stimmung am Set?
MILLER: Ich habe gehört, dass die Jungs ständig Hunger hatten und deswegen ziemlich grantig waren …
GRAY: Das ist nicht unwahr. Charlie Hunnam hat in neun Wochen 30 Kilo abgenommen. Auch ich habe lange nur eine Banane am Morgen und eine Banane am Abend zu essen gehabt. Davon kann man auf Dauer nicht überleben. Also habe ich meinen Assistenten irgendwann in die sieben Stunden entfernte nächste Stadt geschickt, um das Auto mit Nudeln, Büchsentomaten, Olivenöl und Knoblauch vollzuladen. Nachdem er zurückgekommen war, kochte ich jeden Abend Spaghetti mit Tomatensauce, was die Stimmung am Set merklich verbessert hat.
Ein geflügeltes Wort in Hollywood besagt, dass auf einem glücklichen Set nur langweilige Filme entstehen …
MILLER: Da ist absolut wahr.
GRAY: Das ist überhaupt nicht wahr.
MILLER: Doch! Wenn ich auch beim Dreh Schwierigkeiten hatte, war ich immer besser.
GRAY: Interessant. Ich für meinen Teil konnte keine direkten Zusammenhänge zwischen der Qualität eines Films und der Menge an Vergnügen am Set feststellen. Denken Sie doch mal an Robert Altman: Auf seinen Sets gabs Unmengen an Gras und jeder hat sich amüsiert. Und dabei sind mindestens vier oder fünf Meisterwerke entstanden.