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Stadtleben

Offener Brief aus der »Runden Ecke«

Aktuelle und ehemalige Mitarbeiter der Stasigedenkstätte kritisieren strukturelle Probleme und Museumsleiter Hollitzer

  Offener Brief aus der »Runden Ecke« | Aktuelle und ehemalige Mitarbeiter der Stasigedenkstätte kritisieren strukturelle Probleme und Museumsleiter Hollitzer

Insgesamt zwölf ehemalige und aktuelle Gruppenbegleiter der Stasigedenkstätte »Runde Ecke« wenden sich in einem offenen Brief an die Öffentlichkeit. Sie prangern strukturelle Probleme an und bekräftigen kritische Berichte über das Museum und dessen Leiter Tobias Hollitzer.

Der kreuzer veröffentlicht an dieser Stelle die ungekürzte Stellungnahme der Museumsmitarbeiter. Die Namen der Unterzeichner liegen der Redaktion vor. 

Sehr geehrte Damen und Herren,angesichts der aktuellen kritischen Berichterstattung durch das Stadtmagazin Kreuzer (Ausgabe Juni, 2019) und die Leipziger Volkszeitung vom 4. September 2019 zur »Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke« halten wir es als freiberufliche GruppenbegleiterInnen des Museums für geboten, in dieser Debatte inhaltlich Stellung zu beziehen.

 

Wir bitten Sie aus Rücksicht auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte der unterzeichnenden Personen darum, den Brief ohne Nennung der konkreten Namen, sondern unter Verwendung einer allgemeinen Begrifflichkeit wie »aktive und ehemalige freiberufliche Gruppenbegleiter des Museums« zu veröffentlichen. Gern können Sie darauf verweisen, dass der Redaktion die Namen der UnterzeichnerInnen bekannt sind. Ursächlich hierfür ist unser Bestreben zum inhaltlichen Diskurs beizutragen und die Debatte nicht auf einzelne Namen zu reduzieren.

 

Unsere Einschätzung stellt mit Sicherheit keine aus einem spontanen Impuls entstandene Einzelmeinung dar. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche ehem. wie aktive MitarbeiterInnen des Museums in der Runden Ecke unsere Einschätzung zumindest in Auszügen teilen. Aus Sorge vor Repressionen von Seiten der Museumsleitung gibt es aber auch Bedenken sich namentlich öffentlich zu äußern. Diese ernst zu nehmende Sorge besteht auch im Zusammenhang mit dem Ihnen hier vorliegenden Schreiben.

 

Wir sind u.a. studierte PädagogInnen, JuristInnen, HistorikerInnen, PolitikwissenschaftlerInnen, SoziologInnen sowie GeisteswissenschaftlerInnen und beschäftigen uns im Zusammenhang mit unserer Arbeit intensiv mit der historisch- wissenschaftlichen Materie des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit und der DDR. Aufgrund unserer mehrjährigen Erfahrung bei der Arbeit in der »Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke« und aufgrund mehrerer Gespräche und Konflikte mit der Museumsleitung, namentlich mit Herrn Tobias Hollitzer, können wir viele der Schilderungen aus den eingangs genannten Pressemeldungen aus eigenem Erleben bestätigen.

 

Die Vermittlung von Wissen an Museumsbesucher ist uns ein bedeutsames Anliegen und die Tätigkeit als GruppenbegleiterInnen üben wir daher mit viel Freude an der Sache aus. Dieser Grundsatz gilt für unsere Tätigkeit in der »Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke« auch weiterhin und unabhängig von den im Folgenden geschilderten Sachverhalten. Wir stehen während den Begleitungen durch das Museum in der Runden Ecke und die Sonderausstellung »Leipzig auf dem Weg zur friedlichen Revolution« in direktem Kontakt mit einer Vielzahl von BesucherInnen unterschiedlichster Zielgruppen. Und bereits seit Beginn unserer Tätigkeit registrieren wir wiederholt Kritik am Zustand der Ausstellung.

 

Mehrfach haben wir deshalb den Versuch unternommen, mit der Museumsleitung, namentlich mit Herrn Tobias Hollitzer, über den wissenschaftlichen und didaktischen Gehalt der Dauerausstellung und den baulichen Zustand des Museums in einen konstruktiv-kritischen Dialog zu treten. Alle diese Versuche blieben in der Sache ergebnislos und haben auf persönlicher Ebene häufig zu Frustration und Resignation geführt.

 

Im Verlauf der Gespräche ist deutlich geworden, dass das Museum von Herrn Hollitzer allein und auf sehr autoritäre Weise geführt wird. Unser Bestreben, den Vorstand des Bürgerkomitees in die Diskussion einzubinden, blieb ebenfalls ohne Ergebnis, da der Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Jürgen Wenge sich in allen zentralen Punkten hinter Herrn Hollitzer gestellt hat. Da Herr Hollitzer neben seiner Funktion ebenfalls dem Vorstand des Bürgerkomitees Leipzig e.V. angehört, sehen wir keine Voraussetzungen für ein unabhängiges Handeln des Vorstandes gegenüber der Leitung der Gedenkstätte.

 

Herr Hollitzer weigerte sich zudem, mit uns als Gruppe schriftlich zu kommunizieren. E- Mails in unser aller Namen wurden mehrfach ignoriert. In darauffolgenden Gesprächen hat Herr Hollitzer des Weiteren mehrfach eindringlich die Unterlassung solcher kollektiven Initiativen gefordert und verlangte, uns ausschließlich in direkten Einzelgesprächen an ihn zu wenden. Dieses Vorgehen haben wir als Einschüchterungsversuch wahrgenommen.

 

Bei der zentralen Frage nach dem Zustand der Dauerausstellung und einer dringend notwendigen Neukonzeption wurde uns seither mehrfach versichert, die Ausstellung solle demnächst modernisiert werden, womit die benannten Defizite behoben wären. Auch wurde uns stets eine Verbesserung der Kommunikation zwischen der Museumsleitung und uns als Gruppenbegleitern sowie mehr Transparenz bei weiteren Entscheidungsprozessen zugesagt.

 

Im Ergebnis ist seit Jahren überhaupt nichts passiert. An den Ausstellungen wurde nichts verändert, obwohl uns Gesprächsprotokolle mit GruppenbegleiterInnen aus dem Jahr 2007 vorliegen, in denen Herr Hollitzer bereits damals die gründliche Modernisierung der Dauerausstellung versprach. Kritik an der inhaltlich, didaktisch und vom Zustand veralteten und restlos überholten Dauerausstellung wurde stets mit dem Argument zurückgewiesen, dass das Ziel der Dauerausstellung sei, die Atmosphäre der Friedlichen Revolution authentisch wiederzugeben. Wie aus dem angesprochenen Protokoll hervorgeht, ist diese Aussage unzutreffend. Einige Tafeln der Dauerausstellung sind erst viel später hinzugefügt worden (so z.B. die Tafel zur »operativen Psychologie« im Jahr 2007) und in den vergangenen Jahrzehnten wurde mit einer unsachgemäßen »Restaurierung mit Klebestift und Klebeband« massiv in den ursprünglichen Zustand der Tafeln eingegriffen.

 

Fast immer wurde auch eine inhaltliche, didaktisch und geschichtswissenschaftlich fundierte Kritik an der Ausstellung pauschal als Infragestellung der demokratischen Errungenschaften der Friedlichen Revolution dargestellt, indirekt dabei sogar der Kritik übenden Person unterstellt, er/sie würde das Unrecht der DDR relativieren. Auf fragwürdige Weise wurde von Herrn Hollitzer Kritik an dem stark moralisierenden Unterton der Dauerausstellung als unzulässig abgetan – unserer Ansicht nach mit dem Bestreben, nichts an der Dauerausstellung verändern zu müssen. Dieses Verhalten steht einer seriösen und einer um Objektivität bemühten politischen Bildung nach dem Beutelsbacher Konsens entgegen.

 

Die Probleme in der »Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke« sind aus unserer Sicht strukturell und werden von einer uneinsichtigen Führung verstärkt, die sich der Notwendigkeit einer grundlegenden Erneuerung verweigert. Stattdessen beharrt man auf dem »Status quo« der Ausstellung - ungeachtet der wissenschaftlichen und museumsdidaktischen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte. Die Gedenkstätte Museum in der Runde Ecke benötigt daher dringend ein unabhängiges wissenschaftliches Gremium, dass ein zeitgemäßes Konzept für die Dauerausstellung in einem klar definierten Zeitrahmen entwickelt und umsetzt. Gerade im Zeichen des 30. Jahres der Friedlichen Revolution braucht es aus unserer Sicht in Leipzig einen transparenten und offen-demokratischen Umgang im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Repressionssystems und der Arbeit der Opposition in der DDR.


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