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Kultur

Musterstück

Was uns der Schwibbogen heute noch über den Nationalsozialismus in Sachsen erzählen kann

  Musterstück | Was uns der Schwibbogen heute noch über den Nationalsozialismus in Sachsen erzählen kann

Er ist ein Klassiker auf der Fensterbank zur Weihnachtszeit, ob aus Holz oder Metall: der Schwibbogen. In hiesigen Breiten stehen zumeist unter dem Bogen mittig zwei Bergleute mit sächsischen Kurschwerten. Links und rechts an der Seite sitzen eine Klöpplerin und ein Spielzeugmacher. So bekannt das Motiv, umso unbekannter ist vielleicht die Geschichte dahinter.

Bei der Darstellung handelt es sich um das »Schwarzenberger Motiv«, das mittlerweile 84 Jahre alt ist. Es stammt von Paula Jordan. Geboren 1896 in Straßburg, studierte sie an der Leipziger Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe. Von 1922 bis 1952 war sie hier freiberuflich als Grafikerin tätig. Von Jordan stammen eine Unzahl an Illustrationen in christlichen Büchern. Außerdem entwarf sie nach 1945 Bleiglasfenster für die Kreuzkirche in der Paul-Gruner-Straße sowie für den Chor der St.-Laurentius-Kirche in Leutzsch. 1952 zog sie nach Stuttgart und starb dort 1986.

»Ihr« Schwibbogen entstand 1937 für einen Wettbewerb. Die Idee stammte vom Schwarzenberger Waschmaschinen- und Volksbadewannen-Unternehmer Emil Friedrich Krauss (1895-1977), der sich sehr für die erzgebirgische Volkskunst einsetzte. Er war seit 1933 Mitglied der NSDAP. Adolf Hitler zeichnete sein Unternehmen 1937 als »Nationalsozialistischen Musterbetrieb« aus. Außerdem stand er dem 1936 gegründeten Sächsischen Heimatwerk zur Förderung des sächsischen Volkstums vor. Es war das erste deutsche Gauheimatwerk und steht im Zusammenhang mit der im April 1936 initiierten Sachsenaktion, die sich gegen die Menschen richtete, die an der sogenannten Herabsetzung der Sachsen aufgrund ihres Dialektes beteiligt waren.

Unterstützung erhielt er vom Gauleiter Martin Mutschmann. Der wiederum legte bereits 1934 den Grundstein für die Grenzlandfeierstätte in Schwarzenberg aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der NSDAP-Ortsgruppe.

Hier im Erzgebirge ging es vor allem um »Grenzlandarbeit«, die sich auf mehr Heimatstolz und gegen das feindliche Slawentum jenseits der Grenze richtete. So wurde sächsische Volkskunst mal mehr mal weniger fein mit Ideologie verstrickt.

Krauß kümmerte sich um die sogenannte Feierabendkunst und richtete bereits 1934 eine »Deutsche Krippenschau« in Aue aus. Zu Weihnachten 1937/38 öffnete die »Feierohmd-Schau« in Schwarzenberg und zeigte im dortigen Realgymnasium die Bannbreite erzgebirgischer Volkskunst. Draußen stand die überdimensionale Krauß-Pyramide, eine von Krauß gesponserte sieben Meter hohe Freilandpyramide. Der Schwibbogen mit den Motiven von Paula Jordan und den Ausmaßen von über sechs Metern Länge und mehr als drei Meter Höhe befand sich vor dem Ratskeller. Auf der Eintrittskarte in Form einer Postkarte zierte der Schwibbogen als Motiv. Ein gewiefter Marketingtrick vom Organisationsteam Krauß und Erich Peter Neumann (1912-1973). Letzter arbeitete als Redakteur unter anderem für das Berliner Tageblatt und später als Kriegsberichterstatter für die Wochenzeitung Das Reich. 1946 gründete er mit seiner Ehefrau Elisabeth Noelle-Neumann das Institut für Demoskopie Allensbach.

Zur Eröffnung schauten neben Gauleiter Martin Mutschmann und dem sächsischen Wirtschaftsminister Georg Lenk, die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink und die Schwester von Adolf Hitler sowie Reporter für ausländische Medien vorbei.

Der Schwibbogen gelangte so bereits zu einiger Berühmtheit bei nicht weniger als 335.000 Ausstellungsbesuchern. Im Katalog zur Sächsischen Landesausstellung »Boom« aus dem Jahr 2020 ist über die Schau zu lesen, dass sie »bis heute im kollektiven Gedächtnis verankert« sei. Wie und warum genau wird dabei nicht ausgeführt. Aber der Schwibbogen zählt ganz sicher dazu.

BRITT SCHLEHAHN


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1 Kommentar(e)

Lord KoRnblume 25.12.2021 | um 08:15 Uhr

Leider richtige Informationen, falsch interpretiert. Gegenstände, Symbole und Fresken werden von Menschen seit jenher mit Emotionen und Werten aufgeladen. Auch wenn diese Symbole zu jener Zeit den Zeitgeist dargestellten haben wurden über Generationen die schwippbögen von vielen Menschen unterschiedlich interpretiert und zählen nun zum neutralen kulturgut. Per se sowas zu unterstellen ist schwierig und teils reißerisch. Eine Differenzierung der Tatsache und dem auseinandersetzen der Ist Situation hätte dem Artikel gut getan. Man betrachte die Fenster in Leipzig connewitz und werfe diesen Artikel laut den Bewohnern vor. Bin auf das Ergebnis gespannt.