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Feierabend in der Fickt-Euch-Allee

Kolumne von Juliane Streich: Irgendwas mit Bier

  Feierabend in der Fickt-Euch-Allee | Kolumne von Juliane Streich: Irgendwas mit Bier

Juliane Streich war schon Musik-, Online- und Chefredakteurin beim kreuzer. Das sind mindestens fünf Gründe für eine Kolumne über Bier. Jeden Monat im aktuellen kreuzer.

Eine Freundin hat Karten fürs Konzert von Großstadtgeflüster, kann aber nicht, denn die Karten sind drei Jahre alt, der Termin mehrmals verschoben, jetzt aber wirklich, also gehen wir statt ihrer hin, Konzertkarten verfallen lassen wäre dumm irgendwie. Vorher treffen wir andere Freunde, es sind interessanterweise sehr viele, was ist da los? Woher kommt der Hype? Wahrscheinlich von »Fickt-Euch-Allee« – einem Song, mit dem sich alle identifizieren können, die irgendwann schon mal genervt waren von jemandem.

Porträtzeichnung von Juliane Streich
Kolumnistin Juliane Streich.
Illustration von Annabell Goldacker,
Foto von Christiane Gundlach

»Ich bin in meinem Wochenendhäuschen in der Fickt-Euch-Allee. Wo ich auf der Veranda meine Eier schauklee. Da hab ich immer recht und’n Blick auf’n See.«

Blick auf’n See ist heute nicht, das Konzert findet im Täubchenthal statt, es ist eines dieser ersten »post-pandemischen«, wo massenhaftes Ausrasten ohne Maske erlaubt ist.

Wir haben Wegbiere mitgenommen, doch der Weg ist kurz, jetzt müssen wir sie exen. Klaus (Name von der Redaktion geändert) muss pissen, doch in der Schlange pissen ist schlecht, also exen wir sein Bier. Klaus mag keine Konzerte. Zu laut, zu eng, und es schreckt ihn ab, wenn eine Menschenmasse gemeinsam was brüllt. Wir sagen, dass das ja schon sehr davon abhänge, was die Menschenmasse brüllt. Klaus ist das egal, Klaus ist nur mitgekommen, um Bier zu trinken – und weil es dumm wäre, Konzertkarten verfallen zu lassen.

»Da musst du auch reingehen – nein, muss ich nicht. Das musst du doch einsehen – nein, muss ich nicht.«

Das werden sie hier alle brüllen, und Klaus wird nicht mitbrüllen, weil er gar nichts muss. Außer auf Toilette. Wir stellen uns derweil am Bierstand an, weil unser mitgebrachtes Bier weggeext ist. Die Schlange ist lang, es dauert ewig, die Bar verkauft sowohl im Saal als auch aus dem Fenster hinter der Bar heraus – aber mit genauso wenig Personal. Egal, wir haben Zeit.

»Jetzt ist Feierabend. Wie’s in Zukunft weitergeht, könnt ihr Marty McFly ja fragen.«

Das Publikum besteht größtenteils aus Menschen, die tatsächlich Feierabend haben, also auch einen Job und einen Babysitter für die Kinder, und die jetzt mal ein bisschen abgehen wollen, das haben sie sich verdient. Musik für Um-die-40-Jährige, die noch nicht aufgeben wollen.

»Also wo ist das Problem? Ich will jetzt mein Diadem.«

Es geht los. Wir drängen uns irgendwie nach vorne und haben nach etwa drei Sekunden Klaus verloren. Es ist wirklich voll. Wir landen ganz vorne am Rand, wo man sehr nah an der Bühne ist, aber wegen einer an der Wand hängenden Box nur den Körper, aber nicht den Kopf von Sängerin Jen Bender sieht, die – das fällt aus dieser Perspektive besonders auf – eine Knie-Stütze trägt und dann auch das gut gelaunte Publikum fragt: Wer von euch hat Knie? Viele johlen. Wer von euch hat Rücken? Noch mehr johlen. Ich schreib Klaus, dass wir vorne rechts sind. Keine Reaktion. Ich schreib Klaus, dass ich mich geirrt habe, vorne links. Klaus schreibt, er steht hinten bei den Klos. Ich drängle mich zurück, denn ich hab Durst von dem ganzen Gebrülle und vorne links ist der von der Bar am weitesten entfernte Punkt im Saal. Klaus hat ein Bier in der Hand und zeigt sich zumindest darüber begeistert, dass er während des Konzerts an der Bar nicht anstehen muss. Aber Fassbier ist alle. Es gebe jetzt nur noch kleine Astras, die in Plastikbecher umgekippt werden. Klaus sagt, er findet es deprimierend, dass hier alle Rücken haben. Ich trinke seinen Becher aus und geh wieder nach vorne. Er geht zurück zur Bar. Dort treffen wir ihn nach dem Konzert wieder. Die Menschen, die jetzt wieder in der Schlange stehen, regen sich auf, dass das Bier alle ist. Uns ist es egal.


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