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Stadtleben

»Erinnern und Demokratiebildung gehen Hand in Hand«

Jutta Stahl-Klimmt vom Ariowitsch-Haus über den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

  »Erinnern und Demokratiebildung gehen Hand in Hand« | Jutta Stahl-Klimmt vom Ariowitsch-Haus über den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus  Foto: Jutta Stahl-Klimmt/Ariowitschhaus

Jutta Stahl-Klimmt ist Projektkoordinatorin für den Bereich Bildung im Ariowitsch-Haus in Leipzig, einem Zentrum für jüdische Kultur. Vor dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar spricht sie darüber, warum Erinnern so wichtig ist, wie sich die Stimmung im Haus nach dem 7. Oktober verändert hat und was wir aus der Vergangenheit lernen sollten.

Am 27. Januar ist der Holocaustgedenktag. Was bedeutet der Gedenktag für Ihre Einrichtung?

Erstmal ist es wichtig, dass es ein Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus ist, nicht nur für die Holocaust-Opfer. Für uns bedeutet es vor allem, dass wir viele Anfragen bekommen, die sich um aktuelle Ereignisse und das Erinnern drehen. Wir sind außerdem involviert am Gedenken und beteiligen uns an den von der Stadt geplanten Veranstaltungen.
 

Am Samstag starten zwei Ausstellungen. Außerdem gibt es eine Gedenkveranstaltung in Abtnaundorf. Wie sind Sie daran beteiligt?

Die Ausstellung »Gegen das Vergessen« vom deutsch-italienischen Fotografen Luigi Toscano ist ganz großartig, da auch Gemeindemitglieder involviert waren, die den Holocaust überlebt haben. Das Projekt wird am Bahnhof gezeigt und wir werden zweimal die Woche vor Ort sein, um das Informationsbedürfnis der Besucher zu stillen.

Die Anne-Frank-Ausstellung sollte ursprünglich bei uns im Haus stattfinden. Damit sie aber allen zugänglich ist, wird sie im Rathaus gezeigt. Wir bespielen sie zusätzlich mit Workshops, zum Beispiel für Lehrkräfte, und es gibt Peer-Guides, die vom Anne-Frank-Zentrum in Berlin ausgebildet wurden, die Gleichaltrige durch die Ausstellung führen sollen.
 

Haben Sie eine Stimmungsänderung nach den Hamas-Angriffen am 7. Oktober auf Israel wahrgenommen?

Seit dem 7. Oktober hat sich die Welt stark verändert. Ein Beispiel: wir sind im Haus ein sehr gemischtes Team, ein Kollege hat einen Bruder in der Ukraine und eine Schwester in Israel. Solche Ereignisse machen natürlich etwas mit einem Menschen. Sie spülen Ängste nach oben, die in Deutschland ja nicht von Unbekanntem herrühren. Da ist auch das Gefühl, nirgendwo einen sicheren Ort zu haben. Nicht nur in Berlin, auch in Leipzig, wurden Judensterne an Klingelschilder gemalt. Diese Ereignisse zeigen deutlich, wie wichtig das Erinnern ist, um heutige Ereignisse zu verstehen. Es dient außerdem der Empathiebildung.
 

Haben Sie das Gefühl, dass sich diese gesellschaftliche Empathie verändert hat?

Wir geben über 100 Fortbildungen im Jahr, da merke ich, dass sich seit dem 7. Oktober etwas verändert hat. Es hat veränderte Reaktionen gegeben, verstärkt Übergriffe. Ich würde mir wünschen, dass die Geschehnisse noch stärker aus einer jüdischen Sicht wahrgenommen werden. Zum Beispiel wird oft Mitleid darüber ausgedrückt, dass die Polizei nun vor dem Ariowitsch-Haus steht. Diese Tatsachse ist bedauerlich. Aber es passiert ja zum Schutz der Menschen im Haus.
 

Sie haben gesagt, dass Erinnern auch wichtig ist, um aktuelle Geschehnisse zu verstehen. Nehmen Sie eine gewisse »Erinnerungsmüdigkeit« wahr?

Oft geht Erinnern mit einem Fragezeichen einher, mit der Angst vor dem erhobenen Zeigefinger. Aber diese Skepsis wird weniger, wenn klar wird, dass wir die Vergangenheit nutzen, um Handlungsanweisungen für die Gegenwart zu entwickeln. Erinnern und Demokratiebildung gehen Hand in Hand, das eine geht nicht ohne das andere.
Wichtig an dieser Stelle ist auch, dass im Nationalsozialismus zwar Unsägliches geschah, dass es Antisemitismus aber schon davor gab und mit dem Dritten Reich nicht aufgehört hat. Das versuchen wir zu vermitteln.

 

> Vernissage: »Gegen das Vergessen«, 27.1., 14 Uhr, Querbahnsteig (Ostseite), Hauptbahnhof

> Zentrale Gedenkveranstaltung der Stadt Leipzig, 27.1., 15 Uhr, Theklaer Straße/Heiterblickstraße, Abtnaundorf

> Ausstellungseröffnung »Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte.«, 27.1., 16:30 Uhr, Untere Wendelhalle, Neues Rathaus

> Ariowitsch-Haus, www.ariowitschhaus.de


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