anzeige
anzeige
Stadtleben

Grüne Strahlkraft

In den Gärtnereien der Annalinde ist seit Jahresbeginn nicht viel passiert. Manche fürchten das Aus. Der Geschäftsführer versichert, dass es weitergeht

  Grüne Strahlkraft | In den Gärtnereien der Annalinde ist seit Jahresbeginn nicht viel passiert. Manche fürchten das Aus. Der Geschäftsführer versichert, dass es weitergeht  Foto: Annalinde

Ein Sonntag im Januar 2024, das Jahr ist jung, als sich ein Leser beim kreuzer meldet. Er berichtet, dass er seit Jahren eine der wöchentlichen Gemüsekisten von der Annalinde beziehe. Zum Ende 2023 sei der Dienst kurzfristig eingestellt worden. Wer sich am 22. Dezember – am Tag der letzten Auslieferung – in den Abendstunden bei Instagram aufhielt, konnte auf dem Annalinde-Account lesen: »Ab 2024 kein betrieblicher Gemüseanbau in der Annalinde«.

Es wurde das Ende der Gemüsekiste verkündet, ebenso das Aus der Belieferung von Gastronomie und Einzelhandel. Außerdem wurde erklärt, dass es in den Gärtnereien der Annalinde vorerst keinen »strukturierten« Gemüseanbau geben werde. »Im Laufe des Kalenderjahres haben uns drei ausgebildete Gärtner*innen, zwei Azubis und eine Social-Media-Mitarbeiterin verlassen. Die Geschäftsführung hat beschlossen, keine neuen Gärtner*innen einzustellen. Das Team der Gärtnerei ist für die kommende Saison damit ohne bezahlte Fachkraft.« Das bedeute: »Die Anbauflächen unserer beiden Gärtnerei-Standorte in Lindenau und Anger-Crottendorf werden deshalb nun weitestgehend brach liegen.« Am nächsten Morgen waren die Postings gelöscht. Dem kreuzer liegen die Screenshots der insgesamt fünf Postings vor. Ebenfalls am 23. Dezember brachte das Magazin Urbanite online eine diesbezügliche Meldung, die am selben Tag wieder verschwand.

Vorzeigeprojekt und Preisträger

Es dreht sich bei diesen Vorgängen vorrangig um Gemüseanbau und dessen Voraussetzungen. Dabei steht die Annalinde für weitaus mehr. Die multifunktionale urbane Landwirtschaft als soziokulturelles Projekt begann 2011 mit dem Gemeinschaftsgarten in Plagwitz. 2012 wurde das Gelände der Gärtnerei Toepel in der Lützner Straße gepachtet und neu gestaltet. Von Anfang an gehörten Vernetzung, Gesprächsformate, Workshops und Gartendinner dazu, fand Austausch statt – auch regional und überregional. Wissen wurde weitergegeben, etwa in Kitas und Schulen oder bei offenen Gartentagen. 2013 gründete sich die Annalinde gGmbH, 2014 entstand die Annalinde-Akademie, die sich vertieft mit Themen wie Stadtentwicklung, essbarer Stadt und nachhaltigem Wirtschaften befasste. 2015 kam mit dem Obstgarten am Bürgerbahnhof Plagwitz eine urbane Streuobstwiese hinzu, 2018 die Gärtnerei in Anger-Crottendorf.

Es gab Forschungsprojekte, so auf den Flächen im Osten der Biomeiler zur Wärme- und Kompostgewinnung in Kooperation mit dem Biomasseforschungszentrum. Weitere Projekte sind der Interkulturelle Garten und die Umweltbildung in Ankunftsquartieren, seit 2022 läuft das Projekt Demonstrationsgärten – dort werden Anbaumethoden im städtischen Raum gezeigt. Immer wieder erhielt die Annalinde Auszeichnungen, darunter den Sächsischen Zukunftspreis. Mit der Annalinde sind biodiverse Orte in einer immer mehr versiegelten Stadt entstanden, kamen Menschen mit Themen wie Lebensmittelproduktion, Saisonalität und Regionalität in Berührung. Manche haben ein Praktikum begonnen und eine Ausbildung abgeschlossen.

Ohne Gärtner kein Gemüse

Für die Finanzierung der Annalinde waren die Gemüselieferungen nur ein Baustein. Hinzu kamen der Jungpflanzenverkauf sowie Mittel von der Stadt und aus verschiedenen anderen Fördertöpfen. Laut Gesellschaftsvertrag fördert die gemeinnützige GmbH unter anderem »Jugend- und Altenhilfe«, »Kunst und Kultur«, »Erziehung«, »Volks- und Berufsbildung«, den »Naturschutz« und die »Landschaftspflege«, außerdem das »Gemeinwesen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung insbesondere von Gartenprojekten und Demonstrationsvorhaben im Bereich der urbanen sozialen Landwirtschaft«. Somit dienen die Einnahmen aus dem Gartenbau dem gemeinnützigen Zweck, und der bringt steuerliche Vorteile mit sich.

Tatsächlich sind die verschiedenen Projekte auch inhaltlich an den Gartenbau gekoppelt, die Demonstrationsgärten zum Beispiel tragen das im Namen. Ohne Gärtner kann es jedoch kein Gemüse zur Direktvermarktung geben. Der äußerst beliebte Jungpflanzenmarkt wurde in diesem Jahr ausgesetzt. Ohne Gärtner sind diejenigen, die über ein FÖJ, ein Praktikum oder den Bundesfreiwilligendienst in der Annalinde arbeiten, ohne Anleitung, haben Auszubildende keinen Ausbilder. Es stellt sich also die Frage, wie es mit der Annalinde weitergeht. Ob wieder ein Gärtner oder eine Gärtnerin eingestellt wird oder mehrere. Wie sich die Annalinde künftig finanzieren wird. Was mit den Flächen passiert.

Erst Garten, dann Bauland?

Der kreuzer hatte seit Anfang des Jahres Kontakt zu sechs Personen mit Verbindungen zur Annalinde. Sie alle eint, dass sie im Text nicht erkennbar sein möchten. Ihnen zufolge sei die Entscheidung, den Gemüseanbau aufzugeben, im Herbst 2023 gefallen, mit der Entscheidung, keine Fachkräfte mehr einzustellen. Zu diesem Zeitpunkt sei bereits abzusehen gewesen, dass die Gemüselieferungen auslaufen würden. Die gärtnerischen Tätigkeiten im Osten seien eingestellt worden, im Westen hätten Freiwillige selbstständig ohne Fachanleitung gegärtnert.

Die Personen empfanden die Arbeit bei der Annalinde als schön: Sie bedeutete großen Gestaltungsspielraum und Eigenverantwortung, sei eine sinnstiftende Tätigkeit mit guten Produkten und Projekten gewesen. Sie fürchten um die Annalinde in ihrer Strahlkraft und als Impulsgeberin. Bedauern schwingt mit.

Geschäftsführer Dominik Renner: »Im Wesentlichen geht es weiter«

Die Befürchtung mag nicht weit hergeholt sein, wenn man bedenkt, dass urbane Gärten oft nur temporär existieren. Stattdessen werden die Flächen nach einigen Jahren anders genutzt, etwa bebaut. Zudem werden in den nächsten Wochen alle, die noch bei der Annalinde arbeiten, gegangen sein. Alle aktuellen Projekte laufen aus. Neue Stellenausschreibungen waren bis zum Redaktionsschluss nicht zu finden.

Dominik Renner ist der Geschäftsführer, er hat die Annalinde mitgegründet und mit aufgebaut. Er sagt: »Im Wesentlichen geht es weiter.« Einschränkungen brächten Baustellen mit sich. Da ist einmal die Gewölbekeller-Baustelle am Gemeinschaftsgarten; allerdings verwalten die Menschen hinter dem Gemeinschaftsgarten Renner zufolge die Fläche schon länger selber. Dann sind da noch zwei Baustellen an der Gärtnerei im Westen: »Deswegen haben wir uns für dieses Jahr entschieden, nachdem zwei Gärtner gekündigt hatten, da erst mal nicht weiterzumachen.« Wie es dort weitergeht, hänge von den Baustellen ab, außerdem stehe die Sanierung des Gärtnerhauses an.

In der Gärtnerei im Osten werde es ab Herbst wieder Gartenbau geben. »Die Flächen im Osten werden aktuell im Rahmen eines Projekts extensiv bewirtschaftet, unter anderem zur Gründüngung, die Gewächshäuser waren im Frühjahr in Nutzung durch befreundete Solidarische Landwirtschaften«, sagt Renner. »Im Rahmen des laufenden Projekts im Osten werden gerade Konzepte mit interessierten Gärtnerinnen und Gärtnern für die Weiternutzung ab Winter 24/25 erarbeitet. Im Bundesfreiwilligendienst stellen wir dann nach Bedarf neu ein.«

Zu neuen Bildungsprojekten, Workshops oder Umweltbildung sagt er: »Das verfolgen wir schon weiter.« Die Gesellschaftsform soll weiterhin die gemeinnützige GmbH sein. Was heißt das für den Jungpflanzenverkauf? Den möchte Renner im nächsten Jahr wieder veranstalten, auch wenn er sich über den Aufwand im Klaren sei. Aber: »Der ist einfach so wichtig.« 


Kommentieren


0 Kommentar(e)