anzeige
anzeige
Kultur

Von Wittstock bis Masuren

Wie ein Teil vom Ganzen: »Schattenland – Reise nach Masuren« trägt die typische Handschrift des großen Dokumentarfilmers Volker Koepp

  Von Wittstock bis Masuren | Wie ein Teil vom Ganzen: »Schattenland – Reise nach Masuren« trägt die typische Handschrift des großen Dokumentarfilmers Volker Koepp

In Leipzig weiß man seine Filme zu schätzen. Nicht erst seit der großen Retrospektive auf dem Leipziger Dokfestival vor zwei Jahren sorgt das dokumentarische Kino des Volker Koepp für ungewöhnlich volle Säle – auch im vergangenen Herbst bei »Schattenland«, der im internationalen Wettbewerb des Festivals lief.

In Leipzig weiß man seine Filme zu schätzen. Nicht erst seit der großen Retrospektive auf dem Leipziger Dokfestival vor zwei Jahren sorgt das dokumentarische Kino des Volker Koepp für ungewöhnlich volle Säle – auch im vergangenen Herbst bei »Schattenland«, der im internationalen Wettbewerb des Festivals lief.

Das Ungewöhnliche daran: seine Filme sind leise, unaufdringlich, fast unscheinbar. Doch wer sich Zeit nimmt und zuhören kann, wird belohnt mit großen Erzählungen. Das Leben selbst schreibt sie – ein Leben geprägt von Landschaften und bewegten Zeiten, so wie jenes der zwei unvergesslichen jüdischen Czernowitzer in »Herr Zwilling und Frau Zuckermann«. Sie sind die bekanntesten Protagonisten aus Koepps über 50 Filme umfassendem Werk, in dem er Menschen aufsucht, die Einblick in ihr vermeintlich schlichtes Leben gewähren, doch nebenbei auch die Historie ganzer Regionen offenbaren.

In »Schattenland« nimmt Koepp uns mit auf eine Reise nach Masuren, jener Landschaft des früheren Ostpreußens im Nordosten Polens, die zwar touristisch bekannt, aber geschichtlich und kulturell Terra incognita ist. Dort trifft er auf Fischer, die an gefrorenen Seen ihren knappen Unterhalt verdienen und klagen, dass es ihnen seit dem EU-Beitritt schlechter ginge. Oder auf Ukrainer, die nach dem Zweiten Weltkrieg zwangsumgesiedelt wurden, und die es heute wieder zurückzieht in ihre alte Heimat.

Volker Koepp – © DOK Leipzig / Reichmann
Wie der alte Bauer Zhuk Mychailo, der barfuß und hungernd in Masuren ausgesetzt wurde, leben die Menschen in Koepps Filmen oftmals »gegen die Geschichte«. Wider jede Statistik überlebten sie die widrigsten Umstände: die Unterdrückung durch die Sowjets in »Kuhrische Nehrung« oder Frau Zuckermann den Holocaust.

Es gehört viel Glück dazu, Menschen zu begegnen, die solche Schatzkammern an Erfahrungen in sich tragen und diese vor laufender Kamera »in ihrer Sprache umsetzen, eine Sprache voller Ehrlichkeit, Präzision und unendlich vieler Hinweise auf den sozialen Hintergrund«, wie Koepp sagt.

Kennengelernt hat der 1944 in Stettin Geborene sein filmisches Sujet auf beinahe absurde Weise. Der gelernte Maschinenschlosser begab sich als Babelsberger Filmstudent für seine erste Übung »Sommergäste bei Majakowski« auf eine unbefangene Reise in die georgische Heimat des Dichters. Prompt verdonnerte man ihn dazu, den Arbeitsalltag einer Bauarbeiter-Brigade zu dokumentieren – nach sozialistischem Ideal, versteht sich. »Immerhin fand ich mit jener ‚Strafarbeit’ eine meiner thematischen Hauptlinien: Filme über so genannte einfache Leute zu machen«, schreibt Koepp in seinem Tagebuch.

Weitere Szene aus »Schattenland«
Gustav J. ist ein solcher, den er wenig später porträtierte: ein alter Schmied, den es von Ostpreußen in die russische Steppe bis nach Mecklenburg verschlug. Mit diesen Motiven war ein neuer Typ im Dokumentarfilm geboren.

Zur Essenz Koeppscher Filme gehört die Verbindlichkeit ihres Machers. Fast immer spricht er selbst aus dem Off, ist selbst mit seiner Stimme als Mensch präsent und gibt verlässlich Auskunft über Ort, Zeit und persönlich verbürgte Geschichte: »Masuren. Schweden und Pest. Hungersnöte. Tatareneinfälle und russische Besatzung im siebenjährigen Krieg. Napoleon. Dann aufkommender Sprachen- und Nationalitätenstreit. ‚Wo sich aufhört die Kultur, beginnt zu leben der Masur.’ Schlachtfelder in beiden Kriegen des 20. Jahrhunderts. Grenzlandschaft im Schatten der Geschichte.« Seine Art des Dokumentierens ist gerade deshalb so glaubwürdig, weil sie an seine eigene Person geknüpft ist und niemals falsche Objektivität vorgaukelt.

Neben den atemberaubenden Landschaftsaufnahmen des Kameramanns Thomas Plenert, die bewusst machen, wie sehr sich die Menschen und Landschaften gegenseitig prägen, findet man ein weiteres Merkmal in Koepps Filmen: die bedingungslose Souveränität seiner Protagonisten. Niemals drängt er sie, sondern zeigt eine Engelsgeduld. Sie gestalten den Film als Gleichberechtigte mit. Solche Nähe, Liebe und Respekt zu den Menschen ist eine heimliche Antwort auf die Inszenierungs- und Eskalierungstendenzen heutiger Dokumentationen.

Ob der legendäre »Wittstock-Zyklus« oder »Kalte Heimat«, »Uckermark« oder jetzt »Schattenland« – Koepps Filme sind nicht nur persönliche Porträts mit historischer Weite. Sie sind so leise wie ergreifend und damit immer großes Kino.


Kommentieren


0 Kommentar(e)