Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen manchmal Lücken. Das muss auch das Conne Island immer mal wieder erfahren, wenn die Auftritte von Bands dort diskutiert werden, beziehungsweise man exemplarisch anhand von Bands ganze Genres durchdiskutiert. Man konnte das etwa 2005 an der Kontroverse um »Oi! The Meeting« sehen, 2009 gings um die mögliche Ironie des Rap-Sets K.I.Z., im Jahr darauf um den Bahamas-Surfer-Pop von Justus Wertmüller.
»Für die Zukunft gilt, dass auch andere Bands dieser Szene stärker in die Rechenschaftspflicht genommen werden«, heißt es nun zum Abschluss in einer Erklärung über die Band Thy Art is Murder.
Die werden am 17. Januar im Island spielen, weshalb sich eine Diskussion entzündete. Die Band hat oder spielt noch Songs mit – auf den ersten Blick – frauenfeindlichen Texten. Hier ist nicht der Ort, das australische Deathcore-Quintett zu verteidigen oder nicht. Das ist gar nicht möglich, weshalb zwei Sätze zuvor auch das »auf den ersten Blick« eingefügt ist. So löblich der selbstgegebene Bildungsauftrag des Island auch ist, die Szene-Erklärenden sitzen hier einem doppelten Missverständnis auf.
Einerseits spielen die Texte im Death Metal als inhaltliche Ebene eine viel geringere Rolle als in den meisten anderen Musikgenres. Der Gesang – zwischen Howling und Shouts – ist vielmehr als eigenes Instrument oder vokale Orchestrierung zu vernehmen. Das ist nicht nur der Ansatz einiger Metal-Theoretiker, sondern speist sich auch aus dem Erfahrungsschatz. Mitunter sind die Texte im Booklet nicht abgedruckt und niemand wird erraten, was genau das gutturale Getöse artikuliert. Das ist vielen auch einfach egal, ohne dass sie als Ignoranten gelten müssen. Denn darum gehts einfach nicht.
Zweitens führt die Aufforderung, sich eindeutig zu positionieren, aufs Glatteis. Man muss das Spiel nicht mögen oder mitspielen wollen, aber vieles im Extrem-Metal ist Scharade, Übertreibung, Parodie. Hier ist oft tiefe Ironie am Werk, wie Metal-Soziologe Kahn-Harris mal im kreuzer-Interview formulierte: »Das überrascht viele Leute, weil sie Metal oft als sehr ernsthaftes und humorloses Genre verstehen. Aber Ironie und Humor sind ganz zentral im Extrem-Metal. Hier gibt es ein großes Gespür für Lächerlichkeit, fürs Simulieren im Als-ob. Metal-Fans sind viel geschickter, das zu dechiffrieren als viele andere. Das ist wahrscheinlich das bestgehütete Geheimnis im Metal.«
Die Pointe daran ist natürlich: Wo genau die Grenze zwischen Ironie und Ernst liegt, wird nicht verraten – sonst wäre der Witz verdorben. (Was die Distanzierung von NS-Positionen angeht, tun sich viele Bands dann ja gar nicht so schwer; vielleicht weil hier diese Spielzone verlassen wird?) Das heißt eben nicht, dass es nicht auch Bands gibt, die Mysogonie, Homophobie etc. vertreten. Nur – nichts Genaues weiß man nicht. Künstler, die sich erklären, ihre Kreationen sonnenklar ausleuchten und jeden Fitzel bis zur Sterilität präzisieren, sind leider meist langweilig. Statt also das langweilige und erkenntnisfrei bleibende Spiel von Pauschalattacke oder -verteidigung zu spielen, müsste man sich mal dem Genre nähern, indem man seine Widersprüche mitdenkt. Wie es etwa die Theoretikerin Michelle Phillipov am Beispiel Metal und Gewalt anerkennt: »Rather than seeking to simply defend metal from attack, critics’ attempts to think with metal’s violence contribute to a more nuanced understanding of the importance of transgression and controversy for past and current metal scenes.«
Die Island Crew und das Plenum haben alles Recht zu diskutieren, wer bei ihnen spielt und wer nicht. Wenn sie auf Bands keinen Bock haben, dann spielen die dort eben nicht, und wenn sich Bands nicht ausreichend für die Island-Ansprüche erklären, eben auch nicht. Es könnte der Crew aber auch zu denken geben, warum es ihr an »szenekundigen SupporterInnen mangelt«, wie man ja selbst feststellt. Warum beschränkt sich das Island nicht einfach auf Musikszenen – sofern es sie gibt –, die mit Eindeutigkeit glänzen, eine Subkultur ohne doppelten Boden, sondern mit Sicherheitsnetz?
Die nächste Diskussion ist eigentlich auch schon absehbar, wenn Der Weg einer Freiheit spielt. Textlich völlig unbedenklich, könnte man sie aber schon mal fragen, warum sie auf dem vom Varg-Sänger organisierten Wolfszeit Festival gespielt haben. Muss man nicht, wäre aber konsequent. Aber Anspruch und Wirklichkeit klaffen eben manchmal weit auseinander. Warum lässt das Island nicht einfach die Finger vom Metal? Dann kann es sich diese auch nicht aufgrund von Eineindeutigkeitsforderungen verbrennen. Oder man holt einfach halbjährlich Napalm Death her. Da haben alle was von und Missverständnisse gibts mit Barney & Co. auch keine – »You suffer«.