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Politik

Ein bisschen Frieden

Verquerfront: Die Montagsdemonstrationen stochern im Nebel und suchen den Burgfrieden gegen Krieg und Krise, Monsanto und MDR

  Ein bisschen Frieden | Verquerfront: Die Montagsdemonstrationen stochern im Nebel und suchen den Burgfrieden gegen Krieg und Krise, Monsanto und MDR

Sie meinen, die Montagsdemonstrationen wiederzubeleben. Auch in Leipzig halten Menschen Friedenskundgebungen ab, die inhaltlich nicht tragfähiger als eine Kreditblase sind und die Warnungen vor einer Querfront nicht wirklich entkräften.

19.55 Uhr: »Schreibt einen Brief an jemanden, der ihn auch liest!« Gen Ende der Montagsdemonstration am 21. April ist dann doch noch Konkretes zu hören, wird eine klare Handlungsanweisung gegeben. Knapp zwei Stunden zuvor begann auf dem Augustusplatz die vierte der wöchentlichen Veranstaltungen mit geschätzten 400 Teilnehmern, deren klarste Botschaft lautete: »Kommt zu den Montagsdemos.«

Solche finden seit einigen Wochen in rund 30 BRD-Städten statt. Sie sehen sich als Wiedererweckung der 89er-Bürgerbewegung und nehmen die Ukraine-Krise zum Anlass, um Kundgebungen »gegen den Krieg« abzuhalten und multithematischer Empörung Luft zu verschaffen. Unter den Organisatoren befinden sich bundesweit auch in verschwörungstheoretischen Kreisen Aktive, Neurechte und Querfrontler – wobei sie selbst links/rechts als politische Kategorie für nicht mehr zeitgemäß halten. Mittlerweile haben sich unter anderem das globalisierungskritische Attac-Netzwerk und Friedensinitiativen von den Demos distanziert.

Hoffnung auf Frieden als kleinster gemeinsamer Nenner

Ein mindestens diffuses Bild gibt also das Projekt Montagsdemo ab, ein solches zeigten auch die letzten Mitschnitte auf der Facebook-Seite des Leipziger Orga-Teams. Als vergangene Woche das nationalistisch-verschwörungsverdrehte »Anonymous.Kollektiv« einen »Guerillakrieg« genannten Shitstorm gegen die Medien anzettelte, damit diese von den Demos berichten, wütete ein Leipziger Redner im gleichen Tenor: »Zwingt diese Schweine, uns wahrzunehmen!« Hier wird zudem mehrfach Ken Jebsen verlinkt, der mit seinen Videoclips als ein Anchorman in der verschwörungstheoretischen Szene fungiert. Dieses Bild revidiert sich auch am 21. April in Leipzig nicht, als nach dem Abspielen sicherlich GEMA-freier Eso-Musik die Empörung mit leichter Verspätung beginnt. Die Organisatoren erweitern das Motto zu »Nie wieder Krieg & Faschismus« und erklären zu Beginn, dass man keine Nazis dabei haben will. Das erweist sich angesichts der Weigerung, überhaupt politisch in solche Kategorien zu unterteilen, als Schlag ins Wasser, wie die Mischung des Publikums beweist. Darunter befinden sich eben auch NPDler – es sind Gesichter zu sehen, die am Mittwoch an der Aktion im Stadtrat dabei waren – und Mitglieder der AfD wie Landesverband-Vorstandsmitglied Hans-Thomas Tillschneider, Freiwild-Hörer und Fans von Nazi-Black-Metal-Bands. Ein Pärchen hält schwarze Luftballons in den Händen mit dem Aufdruck: »Dem Gedenken der Opfer des TERRORangriffs auf Dresden am 13./14. Februar 1945«.

Hoffnungen auf eine friedvolle Zukunft bezeichnet eine Rednerin den »kleinsten gemeinsamen Nenner« der Demonstrierenden. Oder, wie es die Facebook-Seite zum aktuellen Aufruf allen Ernstes formuliert: »We need a world of friends...nothing more! / Friends will do what needs to be done… / until with the labor of love… global peace will have been won <3«. Um Inhalte, im Sinne von (gehaltvoller) Information, geht es bei diesem bisschen Frieden nicht. Schwammig hören sich die Vorträge auch jenseits der schwierigen Akustik an. Jeder Fokus fehlt, wenn ein Beitrag zur Ukraine in Randnotizen über die »Volkskrankheit Depression« abdriftet, mal mehr Polizisten und Mitbestimmung gefordert werden oder Kapitalismuskritik anhand des »Fließenden Geld«-Konzepts des umstrittenen »Zinskritikers« Andreas Popp geübt wird. So wichtig viele der  irgendwie angesprochenen Themen auch sind, ihre stets unterkomplexe Betrachtung macht fassungslos. Hier stehen erwachsene Menschen und applaudieren, wen jemand sagt: »Frieden ist mehr als Nicht-Krieg, Lieben mehr als Nicht-Hassen.« Von Politik und dem Politischen hat hier – bei allem Verständnis für die Wut und Empörung über den Weltzustand – niemand eine Ahnung, aber man meint trotzdem, Recht zu haben. Warum engagieren sie sich nicht bei bestehenden Initiativen? Oder folgt der eigenen Forderung nach mehr Bildung zunächst selbst? Und was passiert denn, wenn die Aktion wirklich in den nächsten Wochen massiv an Zuspruch gewinnen würde? Auch dazu fehlen Erklärungen. Aber selbst reformistische, von revolutionären Momenten ganz zu schweigen, brauchen mehr als – und seien es auch viele – Menschen, die montags in der Innenstadt wiederkehrenden Reden zuhören.

Schwammigkeit und Suggestion

Vorwürfe der Unprofessionalität und der politischen Naivität müssen sich die Organisatoren und die Menschen am Mikro mindestens gefallen lassen. Nachdem in den vergangenen Wochen bloß gegen Nato, EU & Co. gewettert wurde, sie würden via Ukraine einen Dritten Weltkrieg vom Zaun brechen wollen, zeigt man sich heute mit unfreiwilliger Komik neutraler: »Russland hat auch sein Leichen im Keller.« Oder wenn Demo-Mitorganisator Felix ins Mikro polternd einen Redner ankündigt: »Es stehen Millionen Menschenleben auf dem Spiel! Hallo Thorsten!« Kulturalismus bedient jener Felix, wenn er meint, man könne Stephane Simon höchstens vorwerfen, Franzose zu sein. Die hätten nämlich noch Eier, denen läge das Revolutionäre schließlich im Blut. Der ehemalige Bundespolizist Simon hat mehrfach auf den Montagsdemos gesprochen und ist jemand, an dem sich die Kritik an der Kundgebung persönlich entzündet hat. Bei der NPD-nahen oder gar von dieser initiierten »Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein« war/ist er Pressesprecher, er trat im vergangenen Herbst selbst bei einer NPD-Demo auf und ihm wird eine Nähe zu den revanchistischen Reichsbürgern attestiert. Dazu kein Wort von Felix, der lieber Simons »Mut« lobt, dem Oberbürgermeister die Stirn geboten zu haben. Inhaltlich will er sich offenkundig mit dem Moscheegegner weder auseinandersetzen noch solidarisieren. Das sei eben seine, Felix’ Meinung. Dann freut er sich noch, dass auch ein paar Gehörlose die Kundgebung besuchen. »Die« gehörten nämlich auch dazu, lässt er wissen – Othering als Geste der Inklusion?

»Wir sind keine Nazis, keine Antisemiten. Wir sind Menschen«, erklärte jemand auf einer früheren Demo. Wird auf solcher Grundlage argumentiert, wünscht man sich eine leicht geänderte Neuauflage des legendären Titanic-Covers wieder: »Schrecklicher Verdacht: War Hitler Mensch?« Der Vorwurf, mindestens rechtsoffen zu sein oder dem Prinzip Querfront zu folgen, wird damit abgebügelt, dass »Saboteur« ist, wer »Antisemit« sagt. Oder ein »Spalter«. Die Wortwahl ist bemerkenswert. Gespalten werden kann ja nur, was einmal zusammen war. Hier wird also das Volk, die Bevölkerung – am heutigen Tag wird das präzisiert: »Bürger oder alle Menschen ist besser gefasst« – gespalten. Man wähnt sich folglich einmal mehr, für alle zu sprechen, eine stille Mehrheitsmeinung zu artikulieren. Schweine statt Menschen, Volk/Wir gegen die Korrupten, immer wieder ist von der »Wahrheit« die Rede, die man selbst besitze – trotz unterschiedlicher Standpunkte, versteht sich. Vor dieser hätten die verlogenen Politiker Angst und die Medien würden daher nicht berichten. »Schmeißt den Fernseher raus und hört auf, Zeitungen zu lesen«, rufen jene, die offensichtlich gern in die Berichterstattung drängen. Mit suggestiver Pose zetert man gen City-Hochhaus, an dem ein MDR-Logo klebt, als ob sich dort der Sendersitz befindet. Mit Fakten nehmen es auch nicht alle Redner so genau. Jutta Ditfurth, die Kritik an den Demonstrationen übte, führt ein Redner noch immer als Grünenmitglied, obwohl sie bereits 1991 dort austrat. Israel werde mit Atomwaffen versorgt, hieß es zwei Wochen zuvor, während im sanktionierten Iran solche Waffen nicht gefunden worden seien – dabei besteht der Sanktionsgrund ja darin, dass der Iran bald genügend waffenfähiges Strahlenmaterial ansammeln könnte. Ein Sprecher beschwerte sich, dass Supermärkte Anfang April keine heimischen Tomaten führen und vermutet den Monopolkapitalismus dahinter. Ohnehin, das zeigten mehrere Reden der vergangenen Leipziger Kundgebungen, ist der Saatgut-Multi Monsanto an vielem Schuld und natürlich sind es die USA: »Es stecken dieselben Leute, die den Krieg anzetteln dahinter [hinter Monsanto, Anm. d. Red.] … Die sitzen irgendwo im amerikanischen Parlament und bestimmen über uns. Amerika bestimmt über uns.«

Das kann man als Einzelmeinungen am Mikro abtun. Werden aber solche Äußerungen vielfach beklatscht, fällt das Urteil anders aus. Wer will da – dazu wird immer wieder ermuntert – eine Gegenrede führen, wenn die Grundstimmung doch klar ist? Daher belassen es einige Kritiker auch dabei, sich am Rand der Kundgebung mit Transparenten aufzubauen und gelegentlich Buh-Rufe einzustreuen. Am Ende taucht noch die Partei Die Partei auf, macht ein paar Wahlkampffotos. »Inhalte überwinden« lautet einer ihrer Slogans. Besser kann man die Montagskundgebungen für ein bisschen Frieden nicht auf den Punkt bringen.

 

 

Hinweis: In einer früheren Artikelversion war der Name »Anonymous.Kollektiv« fehlerhaft geschrieben - ein Leser wies darauf hin und deutete das als Zeichen unseriöser Berichterstattung (s. Kommentare). Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.


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