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Stadtleben

»Sowas darf nicht normal werden«

Ein Eisenbahner aus Sachsen meldet antisemitische Nachrichten aus dienstlichen Chatgruppen - und wird kurz darauf gekündigt

  »Sowas darf nicht normal werden« | Ein Eisenbahner aus Sachsen meldet antisemitische Nachrichten aus dienstlichen Chatgruppen - und wird kurz darauf gekündigt  Foto: Adobe Stock

Ein Eisenbahnplaner ärgert sich über antisemitische und rassistische Äußerungen, die in dienstlichen Chatgruppen auftauchen. Seine Firma kündigt ihm und begründet dies auch mit seinem angeblich beleidigenden Verhalten. Vor dem Arbeitsgericht in Leipzig erwirkt er einen Vergleich.

Auf welchem Abstellgleis abends in Hamburg die Lok gestellt werden soll oder wie bei Sturm der Zugverkehr umgeplant werden muss: Ein Großteil der betrieblichen Kommunikation bei der Güterverkehrsfirma CD Cargo findet über Whats-App-Gruppen statt. Diese hat der Leiter der deutschen Niederlassung des tschechischen Unternehmens genau dafür angelegt. Von fünf bis über 20 Personen seien in so einer Gruppe, in denen normalerweise ein dienstlicher, konstruktiver Gesprächston vorherrsche, erzählt Chris im Gespräch mit dem kreuzer, der seit Anfang 2021 als gelernter Lokführer für das Unternehmen im Homeoffice als Eisenbahnplaner arbeitete. Es dominiere im Güterverkehr aber ein rauer Umgangston: »Die Leute sind oft gut auf Temperatur, und da klingt oft mal die persönliche politische Meinung durch.« 

Seit einem Jahr ist Chris nicht mehr bei der Firma angestellt. Im April 2023 kündigte CD Cargo ihm – weil er antisemitische Inhalte in den Chatgruppen an die Geschäftsführung gemeldet hat, sagt Chris. Die Geschäftsführung widersprach, nannte vor Gericht andere Gründe für die Kündigung. Ende Dezember hat er mit seiner Klage gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht Leipzig gewonnen, dem kreuzer liegen die Screenshots zu den Whats-App-Chats, Gerichtsprotokolle und das Kündigungsschreiben vor. Die antisemitischen Kommentare seiner Kollegen beschreibt Chris in seinem Gerichtsstatement als »Entgleisungen«, grundsätzlich habe der Eisenbahnplaner seinen alten Job aber geliebt: Es lief gut, er habe Spaß bei der Arbeit gehabt, fachlich hätte die Zusammenarbeit mit den Kollegen und Kolleginnen gut funktioniert. 

Antisemitische Kommentare im Arbeits-Chat

Schon zu Beginn seiner Tätigkeit bei der CD Cargo seien ihm in der Chatgruppe der Lokführer ab und zu auch sexistische Kommentare aufgefallen – privat habe er die Kollegen angeschrieben, um die Situationen zu klären: »Ich will hier einen respektvollen Umgang, sonst gibts Ärger, macht das in eurer Freizeit«. Die Kollegen hätten es dann eingesehen, sagt Chris. Ende 2022 fielen allerdings erneut Äußerungen in den Chats, die Chris nicht so einfach hinnehmen wollte: Als Kommentar auf ein Video in der Chatgruppe wurden Anspielungen auf die Deportationen ins Konzentrationslager Buchenwald gemacht. Ein Kollege forderte eine Anschlussweiche nach Buchenwald, ein anderer fragte, ob er denn »als (Lok)Führer oder Reisender« mitfahre. Chris fragte, ob seine Kollegen »einen an der Waffel« hätten. 

Ex-Rechter kritisiert Alltagsrassismus

Heute verortet sich Chris in der aktiven linken Szene, und erzählt, keine Ruhe zu geben, bevor die Kollegen mit den antisemitischen Äußerungen entlassen werden: »Ich habe die Schnauze voll von diesem Fascho-Dreck«. Früher war das anders, da sei es für ihn normal gewesen, sich mit Linken zu prügeln: Von früher Jugend an ist Chris acht Jahre lang in der rechten Szene mitgelaufen, mit 15 Jahren sei er in eine Wohngemeinschaft mit Rechtsextremen gezogen. Vor über 20 Jahren habe er sich aber aus der Szene gelöst, ein Aussteigerprogramm durchlaufen: »Das ist ein anderes Kapitel aus meinem Leben«, eins, über das er aktuell an den ersten Absätzen eines Buches schreibe, erzählt Chris. Da er jahrelang diese politischen Ansichten unterstützt habe, trage er heute eine Verantwortung dafür und reagiere sehr sensibel auf rechtsextreme Inhalte.

So auch, als Anfang 2023 der Niederlassungsleiter ein Video im Chat postete und sich abfällig über polnische Beschäftigte äußerte. Chris warf ihm Alltagsrassismus vor, von den Kollegen wurde er daraufhin als überempfindlich bewertet. Einige Wochen später entstand bei einem gemeinsamen Mittagessen in Dresden eine kontroverse Diskussion über Menschen, die sich vegan ernähren. Im Gespräch ärgerte sich Chris über seine Kollegen und fragte, warum sie ständig Menschen abwerten müssten. Anwältin Susette Jörk, die Chris vor Gericht vertritt, beschreibt in ihrem Schriftsatz, dass er von seinen Kollegen verlacht worden sei und nach der Diskussion die Situation verlassen hätte. Der Rechtsanwalt der CD Cargo, Kevin Teubner, schreibt wiederum im Antrag auf Klageabweisung, dass Chris zuvor noch einen Kollegen mit einem Bierdeckel beworfen und diesem gedroht habe, »mit ihm vor die Tür zu gehen«. Am Folgetag habe ihn der Niederlassungsleiter angerufen und gebeten, seine politischen Meinungen aus der Arbeit herauszuhalten – woraufhin Chris entgegnet habe, dass Antisemitismus für ihn keine politische Meinung sei. Als Reaktion entschied sich Chris dazu, die Vorgänge und Screenshots der Chats an die Geschäftsführung zu melden. Am Tag darauf schickte diese ihm eine Kündigung – aus »wichtigem Grund«. Das Arbeitsverhältnis sollte damit fristlos, bedarfsweise fristgemäß zu Mitte Mai, beendet werden. 

Klage gegen außerordentliche Kündigung

Chris beschloss, vor dem Arbeitsgericht Leipzig gegen die Kündigung vorzugehen. Vor Gericht argumentiert seine Anwältin, dass die fristlose Kündigung nicht rechtmäßig gewesen sei. Die genannten Gründe der CD Cargo würden nicht die real erlebten Situationen widerspiegeln. Zuvor hatte der Anwalt des Unternehmens im Antrag auf Klageabweisung die Kündigung gerechtfertigt: Aufgrund angeblicher Drohungen und Beleidigungen gegenüber Kollegen und Vorgesetzten sei eine außerordentliche Kündigung angemessen gewesen. Zudem seien ein unrechtmäßiges Verlassen der Arbeitsstelle und Rufschädigung der Firma Teil des Kündigungssachverhalts. 

Bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen dürfen Arbeitgeber laut Paragraph 626 im Bürgerlichen Gesetzbuch ihren Beschäftigten innerhalb von zwei Wochen auch ohne eine vorherige Abmahnung fristlos kündigen. Derartige Kündigungsgründe können zum Beispiel sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, bewusst rufschädigendes Verhalten oder Beleidigung und Bedrohungen sein.

Der Vorwurf, dass Chris den Ruf des Unternehmens geschädigt habe, bezieht sich auf ein E-Mail-Banner, das Chris anlässlich des bundesweiten Streiks der Eisenbahngewerkschaft EVG am 27. März 2023 in seinen dienstlichen Emails zwischen seinen Namen und das Firmenlogo gesetzt hatte: Ein Schriftzug vor rotem Grund, »Solidarität mit den Streikenden«, darunter eine Faust, die einen Schraubenschlüssel in die Luft hält. Da er aber nach Aufforderung seines Niederlassungsleiters das Banner entfernt habe, sei dies keine gewollte Rufschädigung des Unternehmens und könne keine fristlose Kündigung rechtfertigen, argumentiert Anwältin Jörk vor Gericht. 

Chris’ Beschwerden über die angeblichen Inhalte in den Whats-App-Gruppen seien nicht Grund der Kündigung gewesen und für den Sachverhalt nicht relevant, schreibt Rechtsanwalt Teubner in seinem Antrag auf Klageabweisung. Er betont, dass es sich um private Chatgruppen handle, auf die das Unternehmen keinen Einfluss habe. Es gäbe allerdings laut Chris auch eine kleinere Chatgruppe, die extra für die Kommunikation mit den beiden Geschäftsführern existiere. Gegenüber dem kreuzer möchte Christian Hann, Geschäftsleiter der CD Cargo Deutschland, keine Stellung dazu beziehen. Dass die Kündigung mit dem Melden der Chat-Inhalte zusammenhänge, würde nicht der Wahrheit entsprechen. 

Einigung vor Gericht

Beim zweiten Termin vor Gericht – im Dezember 2023 – einigten sich beide Seiten auf einen Vergleich: Das Arbeitsverhältnis sei nun im Mai 2023 fristgemäß eingestellt worden, an den Gründen zur außerordentlichen Kündigung hielt die CD Cargo nicht mehr fest. Chris sollte sein bis dahin ausstehendes Gehalt, ein »wohlwollendes, qualifiziertes« Arbeitszeugnis sowie eine Abfindung von 5.600 Euro erhalten. Ursprünglich hatte Chris eine Abfindung in Höhe seines Jahresgehalts gefordert. Dass er gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht klagen würde, obwohl er vielleicht die Gerichtskosten tragen müsse, sei für ihn sofort klar gewesen: »Wir haben alle die Verantwortung, das Maul aufzumachen, wenn sowas passiert. Sowas darf nicht normal werden.« Knapp 3.000 Euro Gerichtskosten trägt er nun.

Gerade aufgrund aktueller politischer Entwicklungen sei es für den Eisenbahner wichtig, derartige Äußerungen nicht totzuschweigen. Seit einem Jahr lebt er nun von Arbeitslosengeld, die freie Zeit hat er aber nutzen können: »Ich habe sehr viel politisch gearbeitet im letzten Jahr«. Was das für ihn bedeutet, lässt Chris im Gespräch offen. Nebenbei hofft er, vielleicht auch seine alte Stelle wiederzubekommen. 


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