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Politik

Nicht wie beim Tatort

Die Öffentlichkeitsfahndung nach einem gewalttätigen Legida-Gänger wirft neue Fragen über Leipzigs Polizei auf

  Nicht wie beim Tatort | Die Öffentlichkeitsfahndung nach einem gewalttätigen Legida-Gänger wirft neue Fragen über Leipzigs Polizei auf

Einer Antifagruppe gelang binnen weniger Stunden, woran eine professionelle Polizeibehörde über ein Jahr lang scheiterte: Die Fahndung nach dem Journalistenschläger von Legida ist beendet.

Die an Seltsamkeiten nicht gerade arme Zeit seit der ersten Legida-Demonstration in Leipzig ist gerade um eine Episode reicher geworden. Weit mehr als ein Jahr liegt nun die zweite Legida-Demonstration schon zurück, bei der Ende Januar 2015 gewalttätige Nazis Jagd auf Fotoreporter machten. Die Berichte über den Vorfall zogen weite Kreise, mehrere Gespräche der hiesigen Polizeiführung mit Medienvertretern waren eine Folge. Vergangene Woche wandte sich die Polizei nun überraschend mit Fahndungsfotos von einem der Schläger an die Öffentlichkeit. Offenkundig war es den Ermittlern nicht gelungen, den gesuchten Herren zu identifizieren, der einem Fotografen die Kamera aus der Hand geschlagen haben soll. Aktivisten aus dem Antifa-Spektrum brauchten dafür wiederum nur wenige Stunden. Kurz nach der Polizei-Veröffentlichung ordneten Nutzer einer Website dem Gesuchten Namen und Hintergründe zu. Obwohl die Ermittler vor Erhebung einer Anklage keine Namen von Verdächtigen herausgeben, deutet einiges darauf hin, dass die Hinweise richtig waren. Denn schon am Dienstag bedankte sich die Polizei bei der Öffentlichkeit mit der Meldung, dass es aufgrund der Hinweise gelungen sei, den Beschuldigten dingfest zu machen.

Doch wie kam es, dass die Polizei den Verdächtigen ein Jahr lang unbehelligt ließ? Immerhin hatte der Verdächtige Ricco W. offenbar schon häufiger Kontakt mit der Justiz, war insofern der Polizei bekannt und zeigte sein Gesicht später auch noch auf Legida-Demonstrationen, die von den begleitenden Polizeieinheiten mit Kamerawagen und Video-Teams aufgezeichnet werden. Vergleichsmaterial dürfte zur Verfügung gestanden haben.

Polizeisprecher Andreas Loepki reagiert etwas genervt auf eine wiederholte kreuzer-Anfrage. Nur weil jemand schon mal erkennungsdienstlich behandelt worden sei, könne daraus nicht geschlussfolgert werden, dass die von Ermittlern erstellten Fotos allen Beamten bekannt seien, schreibt der Sprecher und fügt an: »Selbst wenn sich einzelne Polizeibeamte an das Gesicht erinnern könnten, ist nicht gesagt, dass ihnen dann auch der konkrete Anlass und die Personalien des Betreffenden erinnerlich wären.« Ein automatisierter Abgleich von Bilddateien inklusive der Feststellung anatomischer Merkmale, »wie ihn gewisse Fernsehserien obligatorisch erscheinen lassen«, finde nicht statt. Außerdem müssten vorliegende Daten ja gelegentlich gelöscht werden, Speicherfristen und so weiter.

Das klingt alles seltsam vage, gemessen an der Aufmerksamkeit, die die Leipziger Polizei dem organisierten militanten Rechtsextremismus widmet. Dort kümmert sich immerhin ein Operatives Abwehrzentrum (OAZ) mit mehr als 100 Beamten um Nazis. Polizeichef Merbitz leitete viele Jahre recht erfolgreich die Sonderkommission Rex. Es gibt Gewalttäter-Dateien, die Speicherfristen bei Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (dazu zählt auch Körperverletzung) sind lang – kurz um, die Erklärungen der Pressestelle geben keine befriedigenden Antworten auf die Fragen nach den Hintergründen des Vorgangs Ricco W. Selbst wenn der ARD-Tatort mit Kriminalistik so viel zu tun hat wie Star Trek mit Weltraumforschung: Warum hat es so lange gedauert, die Identität des Verdächtigen zu ermitteln?

Es bleibt der Eindruck einer gespaltenen Behörde. Blieb denjenigen, die den rechtsextremen Gewalttäter verfolgen wollten, nur der Griff zur Öffentlichkeitsfahndung? Wollten wissende Kollegen nicht kooperieren? Die Daten, die die Polizei über den Verdächtigen gehabt haben muss, fanden jedenfalls dem Anschein nach zunächst nicht zu den ermittelnden Beamten. Wie auch immer: Wenn die Leipziger Polizei zeigen wollte, wofür investigativ arbeitende Antifa-Strukturen gut sind, ist ihr das gerade gelungen.


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